習近平 / 习近平 – 生命就是死亡, 死亡也是生命

Wenn Xi Jinping in dem Beitrag vom 19. April 2006 „die sozialistischen Dörfer neuen Typs“ erwähnt, spricht er die erlittenen Verluste und den hohen Preis an, den die Menschen beim Eintritt in die Industriegesellschaft gerade in den ländlichen Gebieten zu zahlen hatten. Bewusst bezieht sich Xi Jinping bei seinen Vorstellungen von der Modernisierung auf Friedrich Hölderlin und dessen Hymne „In lieblicher Bläue“, auf den sich im deutschen Modernisierungsdiskurs auch Martin Heidegger immer wieder bezieht, so wenn er den Satz zitiert: „Schwer verlässt / Was nahe dem Ursprung wohnet, den Ort“. Xi Jinping will dafür sorgen, dass die „Menschen im Einklang mit der Natur leben und ihnen lückenlose öffentliche Dienstleistungen […] zur Verfügung stehen, adressiert mit seinem Hinweis auf Hölderlin dann doch aber weniger die Landbewohner als die Literaten und damit die Elite.

Xi Jinping bezieht sich, so Helwig Schmidt-Glintzer in „Der Edle und der Ochse – Chinas Eliten und ihr moralischer Kompass“, auf Friedrich Hölderlin —

Hölderlin, der ein Grübeln darüber auslösen könnte, was jene eint, die sich weiter nach ihren Gesinnungen auf Hölderlin beziehen, etwa von Peking bis Todtnauberg — Und auch, irgendwo auf dieser Strecke, in Wien — in Österreich werden Verse Hölderlins gar recht zu Herzen genommen, eint diese alle weltanschaulich, werden zur tatenlosen Anleitung, zur Schule der Nachsichtigkeit, etwa jener aus „An die Deutschen“ —

Spottet nimmer des Kinds, wenn noch das alberne
Auf dem Rosse von Holz herrlich und viel sich dünkt,
Oh ihr Guten! auch wir sind
Tatenarm und gedankenvoll!

Wer sonst als Hölderlin sollte dem nach österreichischer Art bildungsbürgerlichen Mann der Rösser ein geliebter Dichter sein können, sind doch für ihn auch seine Verse in Österreich lebendig in Stein

Dies sind Verse – tatsächlich von Friedrich Hölderlin.

Recht anders verhält es sich bei der eindeutigen Zuordnung von „In lieblicher Bläue“

Es wird Xi Jinping wohl daran gelegen gewesen sein, die von ihm Adressierten nicht zu überfordern – Friedrich Hölderlin, so könnte seine Vermutung gewesen sein, wird ihnen doch irgendwie geläufig sein, hingegen Friedrich Wilhelm Waiblinger — Xi Jinping bezieht sich, wie bei Helwig Schmidt-Glintzer zu lesen ist, nicht auf Friedrich Wilhelm Waiblinger und auf seinen Briefroman „Phaeton“; vielleicht war es Xi Jinping zu unangenehm, die Quelle für „In lieblicher Bläue“ preiszugeben, die eben dieser Briefroman „Phaeton“ ist, in dem zu unmißverständliche Stellen gibt, daß Männer bei Männern liegen —

„In lieblicher Bläue“ könnte durchaus ein Gedicht von Friedrich Hölderlin sein. Aber, so die Vermutung, ihm von Waiblinger gestohlen, der es in seinen Briefroman in Prosazeilen aufnahm, freilich, ohne zu erwähnen, daß es ein Gedicht von Hölderlin sei. Deshalb ist „In lieblicher Bläue“ auch nicht aufgenommen in den Band „Friedrich Hölderin – Sämtliche Gedichte und Hyperion“ beispielsweise vom „Insel Verlag“, 7. Auflage 2020″:

Der vorliegende Band vereinigt das gesamte poetische Werk Friedrich Hölderlins und ordnet die Gedichte in chronologischer Reihenfolge, einschließlich der Entwürfe, größeren Fragemente und Skizzen (1791-1806), der Pläne, Bruchstücke und Notizen sowie der späteren Gedichte, die in der Zeit der geistigen Umnachtung (1807-1843) entstanden sind.

„In lieblicher Bläue“ soll 1808, so die bevorzugte Datierung, entstanden sein, also in der Zeit „geistiger Umnachtung“, wenn es denn von Friedrich Hölderlin, und ihm von Waiblinger gestohlen für seinen Briefroman, der für „In lieblicher Bläue“ einzig gedruckter Nachweis ist. Ein handschriftliches Original von „In lieblicher Bläue“ von Hölderlin gibt es nicht. Oder „In lieblicher Bläue“, das nicht als Titel im Briefroman Phaëton geführt ist, sondern „In lieblicher Bläue“ ist einfach wie kurz der Beginn des ersten Satzes: „In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der Kirchthurm.“, doch von Waiblinger selbst —

Was sagt dies über Xi Jinping aus? Sich auf etwas in geistiger Umnachtung Entstandenes zu beziehen. Sich auf etwas Gestohlenes zu beziehen. Oder. Sich auf etwas zu beziehen, und dabei dessen Verursachenden falsch zu benennen.

Vielleicht hat der letzte Satz von diesem Abschnitt im Briefroman es Xi Jinping einfach angetan: „Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.“

„Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.“

Wer immer von den Männerliebenden diese Zeilen geschrieben hat, ob Hölderlin, ob Waiblinger, das ist im Grunde einerlei — Es ist eine Zeile, die Titel jedweder Diktatur, die der erste Paragraph jedweder diktatorischen Verfassung ist: Leben ist Tod, und Tod ist auch ein Leben.

Tod ist das Leben in jedweder Diktatur, und der Tod das Leben jedweder Diktatur, jedwede Diktatur die Stätte der Unbegrabenen.