Franz Antel zum Todenjahr 18
Vor 18 Jahren starb Franz Antel, am 12. August 2007, ein rechter Zeitpunkt zu erinnern, wie Franz Antel in seinem „Bockerer“ aus dem Arzt Schebesta einen Nazi und dem Wahn Verfallenden machte. Allein dadurch, daß er den Namen des Arztes für seine Figur nahm: „Schebesta“ …
Was zum antelschen „Bockerer“ zu erzählen war, im Vergleich zur Verfilmung durch Michael Kehlmann, wurde bereits erzählt, dazu die Geschichte rundum das Stück „Der Bockerer“, in der auch Torberg und Weigel ihre unvergeßlichen Rollen spielten, und es müßte darüber hinaus nichts mehr erzählt werden, aber das, aus einem Arzt allein durch den Mißbrauch seines Namens einen Nazi und dem Wahn Verfallenden zu machen, ist doch in einem eigenen Kapitel noch zu erzählen,
Nun, wie machte das Franz Antel vor mehr als vier Jahrzehnten? Indem er einfach eine Figur für seinen „Bockerer“ erfindet, schreiben läßt, die es in der „Tragischen Posse in drei Akten“ von Peter Preses und Ulrich Becher nicht gibt, wie er, Antel, nach seiner Weltanschauung überhaupt aus dem „Bockerer“ von Ulrich Becher und Peter Preses seinen recht eigenen „Bockerer“ machte, und er, Antel, gab dieser hinzu erfundenen Figur den Namen „Schebesta“.
Schebesta ist im antelschen Bockerer ein fanatischer und diebischer, arisierender Nationalsozialist und der gegen Ende des Films dem Wahn verfällt, Adolf Hitler zu sein, und als solcher dem mit hohem Fieber im Bett liegenden Karl Bockerer aufsucht …
Im Stück von Preses und Becher wird von dem, der das Ehepaar Blau bestiehlt, lediglich erzählt, Herr Blau erzählt es Maximilian Rosenblatt, auf dem Westbahnhof, in der Szene, in der Karl Bockerer mit seiner Frau ebenfalls auf dem Westbahnhof ist. Herr Blau erzählt von seinem „Kommissär Rufnagel“, der das Geschäft des Ehepaares Blau „übernommen“ hat, dem er sein gesamtes Lager verkaufen mußte, um achttausend Mark, während es fünfunddreißigtausend Mark wert war, und dafür überfällt Rufnagel mit zwei SA-Soldaten spät in der Nacht das Ehepaar Blau, dringt gewaltsam in die Wohnung ein, um ihnen die achttausend Mark zu stehlen …
HERR BLAU: Mich hat der Rufnagel an die Wand gestellt und hat mir einen Revolver ins Kreiz gesteckt und geschrien: Wo is das Geld, dreckiger Saujud?!
Das Ehepaar Blau wartet wie Rechtsanwalt Rosenblatt auf den Zug, weil sie Österreich ebenfalls verlassen müssen. Rufnagel selbst aber tritt im Stück von Becher und Preses nicht auf. Von seinem Verbrechen wird berichtet.
Antiquarisch ist das Stück von Preses und Becher noch zu erhalten. Eine Neuauflage des Stückes wäre geboten.
Im „Der Bockerer“ von Peter Preses und Ulrich Becher kommt der Name „Schebesta“ zwar vor, zweimal, einmal wird Doktor Schebesta von Karl Bockerer genannt, als er von Dr. von Lamm von der Geheimen Staatspolizei verhört wird. Jedoch eine Figur „Schebesta“ gibt es in dem Stück von Becher und Preses nicht. Im Stück gibt es eine Figur, die dem Wahn verfällt, Adolf Hitler zu sein, und sie heißt Alois Selchgruber, ein Tapezierergesell und Insasse der Anstalt Steinhof. Es kommt zu einer Begegnung zwischen dem sich für Adolf Hitler haltenden Alois Selchgruber und Karl Bockerer, der aber nicht mit hohem Fieber im Bett liegt.
Und auch in dieser Szene zeigt es sich, wie sehr Michael Kehlmann sich an das Stück hielt; seine filmische Adaptierung ist eine werktreue Verfilmung im besten Sinn, die Verfilmung von Franz Antel hingegen ist eine opportune Stückplünderung nach seiner Weltanschauung —
Die Szene im Stück, in der der Name „Schebesta“ fällt:
VON LAMM (schnarrt): Die rechte Hand zum Deutschen Grub heben, hab ich gesagt.
BOCKERER: Kann mer net machn.
VON LAMM (sehr scharf): Was?
BOCKERER: Ein Ding der Unmöglichkeit, mei liaber Herr. (Tritt an den Schreibtisch.) Hier, bitte, wann S‘ mir’s net glauben. (Legt seine Melone auf den Schreibtisch, nestelt mit der Linken unbeholfen-umständlich ein zerknülltes Papier aus der Rocktasche, legt es vor Lamm hin.)
VON LAMM (klemmt sein Monokel fest, überfliegt verärgert das Papier.): Ärztliches Attest …? Was hat denn das damit zu tun?
BOCKERER: Sehr viel, mei liaber Herr. Der Doktor Schebesta, der was mei Hausarzt is, hat mer des ausgfertigt. Innerlicher Bluterguß im rechten Bizeps. (Klemmt den rechten Oberarm an den Körper, hält den Unterarm mit der ausgestreckten Hand waagrecht.) Schaun S‘ der Herr — des is alles, was i machen kann. Höcher geht’s nimmer. (Hebt den Unterarm ein wenig, stöhnt.) Oha! Des tuat scho weh. I kann ja net amal im Gschäft ’s Fleisch ausbaandeln. (Schüttelt ernsthaft den Kopf,) Von aan Deutschen Gruß kann gar keine Rede sein.
VON LAMM (wirft das Papier vor Bockerer hin): Dumme Zicken!
BOCKERER (steckt das Papier weg, beschwichtigend): Schaun S‘ her. Mit’n linken Arm kann i’s ja machen, ohne jede Schwierigkeit … (Reckt die Linke senkrecht empor.) Aber wie schaut denn das aus? Mit dar Linken? Is ja zum Lachen. Die Leut möchten ja glauben, i will ihner frozzeln.
VON LAMM (versonnen): Sollten Sie mal bißchen mensendieken lassen hier — unten in unsrer Turnhalle — Würde Ihnen die Faxenmacherei schon vergehn.
Ein fanatischer Nationalsozialist, wie es der Glaserer Schebesta im antelschen Bockerer ist, hätte Karl Bockerer ein solches Attest wohl nicht ausgestellt, aber der Hausarzt Doktor Schebesta hat nach bestem Wissen und Gewissen Karl Bockerer dieses Attest ausgestellt; es ist nicht schwer zu deuten, warum Doktor Schebesta das Attest ausstellte, diese Szene läßt die Deutung zu, daß es ein Attest aus, aber nicht nur aus medizinischen Gründen ist. Franz Antel und seine Drehbuchschreibenden nehmen den Namen des Hausarztes, der sich offenbar nicht gemein macht mit den Nationalsozialistischen, um aus ihm ihren Schebesta zu machen, den fanatischen Nationalsozialisten und schließlich gänzlich dem Wahn Verfallenden; allerdings könnte gesagt werden, dem Wahn war der antelsche Schebesta von Anfang verfallen, in einen behüteten und in den herrschenden Verhältnissen des Österreichers in Österreich seit 1938 nicht auffallbaren Wahn, der ihn dann 1945 schließlich in den persönlichen und nun bemerkbaren und nun auch nicht mehr geduldeten Wahn verfallen läßt …
Die Absicht von Franz Antel und seinen Drehbuchschreibenden dahinter, diesen Nationalsozialisten für ihren Bockerer mit dem Namen „Schebesta“ zu erfinden, läßt sich schwer anders deuten, als das, was es ist, in der Gegenwart Untadelige zu diffamieren.
Die Werktreue von Michael Kehlmann gegen das von Franz Antel aus diesem Stück Gemachte zeigt sich auch besonders in der Szene, die aus der Kehlmann-Verfilmung bereits zitiert wurde, in der es um die „Liquidation“ geht, SS-Offizier Ferdinand Gstettner im Café Tosca Hans Bockerer aufklärt:
Mir räumen schon auf. Dafür san mir ja da, mir Einsatzgruppen unterm Kaltenbrunner. Auf den können mir stolz sein, mir in der Ostmark, auf’n Kaltenbrunner. Ein Liquidationsgenie. Hab übrigens an großen Stein bei ihm im Brett. […] Liquidation der verdächtigen Elemente im besetzten Gebiet. Waaßt ja, was die Tschechen im letzten Krieg gemacht ham: Dolchstoß von hinten. Verdächtig san alle. Russn, Poln, Judn, de ganzen Viecher mit an Wort. ’s gibt natürlich verschiedene Methoden. Erstaunlich wie weit deutsche Erfindungskunst und Technik fortgeschritten sind. Zum Beispiel a Lastwagen … a ganz gewöhnlicher Heereslastwagen, nix verdächtiges dran zu bemerken. Und waaßt, was wirklich is? […] A ambulante Gaskammer. […] Wer‘ dir des jetz ganz genau technisch erklären. Die Viecher, die Untermenschen, wern amal einipfercht in den Wagen. Je mehr, desto besser. Damit mer kan Wirbl mit eahner ham, wird ihnen — auf Anordnung vom Kaltenbrunner — gsagt, daß s‘ umgsiedelt wern zu an andern Wohnplatz. Is amal die Tür zua, und der Motor fangt zum rennen an, strömt automatisch Gas in das hermetisch abgeschlossene Inne des Wagens. Automatisch – tulli, was?
Die Werktreue von Michael Kehlmann, um ein Beispiel dafür noch anzuführen, auch in der Szene, in der Alois Selchgruber in der Wohnung von Karl Bockerer auftaucht, in der Karl Bockerer Hitler als Alois Selchgruber, den er einen „Massenmord-Fabriksdirektor nennnt, u. v. a. m. vorhält:
Und S i e ham die Stirn, zu mir einizkommer, i soll Ihner helfen, i, der Bockerer, bürgerlicher Fleischhauer und Selchermaaster? Wia ham S‘ denn mir gholfen? Schaun S‘ mei Geschäft heut an — ruiniert is! Am Hund is, wegen Ihner. […] Vierzig Millionen Menschen san verreckt wegen Ihner — und Ihnen soll i helfn mit mein abghärmten Gsicht? Von wo hab i’s denn?
Der antelsche Bockerer in seinem hohen Fieber verschweigt sich nicht, er wirft Schebesta als Hitler vor, ein „Massenmörder“ zu sein, der „Millionen umgebracht …“. Und Hitler als Schebesta läßt sich nicht gefallen, er will ihn verhaften lassen, durch Himmler, das ist Hitler einfach zu viel, daß ihn Karl Bockerer auch noch als „Vegetarier“ beschimpft, Karl Bockerer beschimpft ihn nicht nur als „Vegetarier“, er duzt Hitler dabei auch noch — Karl Bockerer hält Alois Selchgruber als Hitler auch vor: „Sie — Sie — Sie Vegetarier!“ Jedoch er siezt Selchgruber als Hitler in der gesamten Szene, Karl Bocker ist mit ihm nicht wie der antelsche Bockerer mit Hitler als Schebesta per Du.
Alois Selchgruber als Hitler will Karl Bockerer mit einer Fleischeraxt enthaupten.
BOCKERER (weicht nicht): Ah … Köpfen wolln S‘ mi? Mit mein eignen Hackl, was gstohln ham draußen im Gschäft … Tan S‘ es, wann S‘ Ihner traun … Na kommen S‘ … I hab ka Angst mehr vor Ihnen, Herr Hitler … A ganze Welt hat vor Ihner zittert … aber jetzt hat’s umgschnappt mit der Angst! … Na, kommen S‘ doch … kommen S‘ do…
HITLER (stelzt ein paar Schritte auf Bockerer vor, duckt sich plötzlich zur Seite, stolpert übers Lavoir und bricht auf dem Sofa zusammen. Stöhnt): Ech … ech … gann gein Blut sehn …
Da Karl Bockerer im Stück selbst sich einen „bürgerlichen Fleischhauer“ nennt, ist es nicht zu umgehen, aus einer Diplomarbeit zu zitieren: „Der österreichische Film als Medium des Geschichtsunterrichts Darstellungen von österreichischen TäterInnen des Nationalsozialismus im österreichischen Film nach 1945 und die Veränderung der TäterInnendarstellungen“. In dieser an der Karl-Franzens-Universität in Graz der Begutachterin Dr. Heidemarie Uhl 2018 vorgelegten Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie wird zum „Bockerer“ ausgeführt:
Den Weg für die erfolgreiche Filmversion von 1981 bereitete einige Jahre später ausgerechnet die Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter in der Karl Merkatz, der Karl Bockerer von 1981, die Hauptrolle übernahm. Diese Serie war die erste erfolgreiche, die – genau wie Der Bockerer – eine österreichische Arbeiterfamilie in den Mittelpunkt rückte. […]
Dabei ist bereits auf der ersten Seite des Stückes von Preses und Becher in der Regieranweisung zum ersten Bild im ersten Akt zu lesen: „An der Ecke eine Straßenlaterne, die in einem etwas nebligen spätmärzlichen Abend des Jahres 1938 hinausscheint und ein über dem Laden angebrachtes langes Schild mit der Aufschrift: KARL BOCKERER, BÜRGL. FLEISCHHAUER & SELCHERMEISTER, fahl beschimmert.“
Schebesta
Den Gegenpart zu Karl Bockerer stellt Herr Schebesta aus der Nachbarschaft der Familie dar.
Auch er entstammt wie Bockerer der Arbeiterschicht, geht aber mit der neuen Situation ganz
anderes um. Schebesta scheint höchst erfreut über die neuen politischen und gesellschaftlichen
Gegebenheiten und nutzt diese, um sich selbst zu bereichern. Der jüdischen Familie Blau
verspricht er, sie sicher außer Landes zu bringen, nur um sie dann deportieren zu lassen und
ihre Besitztümer an sich zu nehmen.211
Gegen Ende des Films wird Schebesta als wahnsinnig dargestellt. Mit Hitlerbart im Gesicht
rennt er aufgeschreckt durch die Stadt, hält sich für den Führer persönlich und muss in eine
psychiatrische Klinik eingeliefert werden. Somit stellt der Film jene, die sich dem neuen System ganz und gar verschrieben haben, als diejenigen dar, die der Obsession so verfallen, dass sie
ihren Verstand einbüßen.212
Mit Ende des Krieges scheinen keine Anhänger des Nationalsozialismus mehr in Österreich
übrig geblieben zu sein. Entweder haben diese ihre politische Einstellung geändert, wie
beispielsweise Binerl Bockerer, oder sie wurden wie Schebesta für verrückt erklärt und in eine
psychiatrische Anstalt eingeliefert.
Nebenher ist doch auch zur Namensverwendung im antelschen Bockerer zu bemerken: der Sohn von Karl Bockerer wird von Franz Antel und seinen Drehbuchschreibenden lieblich „Hansi“ genannt, im Stück von Preses und Becher heißt der Sohn „Hans“. Freilich kann gesagt werden, hier halten sich Franz Antel und seine Drehbuchschreibenden an Preses und Becher: die Eltern rufen ihren Sohn selbstverständlich „Hansi“. Aber der Hans im Stück von Becher und Preses ist kein Hansi, und in einer Szene mit seinem Vater ist das besonders deutlich:
HANS (lächelt unvermittelt): Aussaschmeißn? M i ? Du willst mi aussaschmeißn aus unserer Wohnung? Ja, weißt du denn überhaupt, wer i bin?
BOCKERER: Des will i gar nimmermehr wissen.
HANS: Da wer i dir halt sagen, wer i bin. (Ekstatisch.) Ein Soldat des Führers, der als illegaler Kämpfer für die Idee seine Haut zu Markt tragn hat, des bin i! An angesehnes Parteimitglied, des bin i! A Oberscharführer, der nächste Wochn zum Truppenführer befördert wird, der was die Blüte unserer deutschn Jugend kommandiert, des bin i! … (Entspannt.) Und du willst mi ausserschmeißn? Geh, laß di net auslachen. (Setzt sich wieder, schnürt weiter seinen Stiefel auf, ohne zum Vater aufzusehn, höhnisch.) Wann’s dir net paßt, kannst d‘ es ja ändern. Kannst du ja ausziehn mitsamt deine Würscht. Hähä! Mi aussaschmeißn, wia willst es denn machen, ha? (Immer mit seinen Stiefeln beschäftigt, ohne aufzusehn.) Zur Polizei gehn, wo s’die eh schon kenner? Hä! Froh sein kannst, daß i da bin. Anstatt, daß d’mehr dankbar bist, weil i di protegier … Wo glaubst denn, wo’s d’heut wärst ohne meine Verbindungen —
HANS (hat sich endlich losgemacht, wuchtet den Vater von sich, der an der Tischkante vorbeisaust, auf das Sofa niederschlägt. Hans kräht bleich): An Schmarrn wer i, i brauch ka Hilf, i brauch kann Vatter, mein Vater ist der Führer! Ein SA-Mann hat keinen anderen Vater, verstehst? Recht is eahm gschehn, dem Hermann, dem roten Hund. Das hab i jetzt davon, daß i so anständig war und a guats Wort einglegt hab für di. Des is der Dank! A Narr bin i gwesn, mi so einzusetzen für di. Ghörst ja nirgends anders hin als in a Konzentrationslager. Das ist der einzige Platz, wo s‘ no an Menschen aus dir machen können …
HANS (reißt seine Jacke vom Stuhl): Stad sei! Von jetz an wird nur mehr gredt, wenn ös gfragt werds! Jetz bin i-i der Herr im Haus, verstanden?!
Und im Café Tosca spielt er, der kurz davor noch mit Mizzi Haberl in einer Loge Abschied feierte, mit dem SS-Mann Gstettner Billard, der ihm „Informationen“ geben, der ihm erzählen soll, was an der „Ostfront“ —
HANS (auf den Billardstock gestützt): Sag, is des eigentlich wahr, daß die Gorillas auf aamal auftauchn, in denen weißen Gewändern, auf Skiern, — auf aamal san ’s da, und mer waaßt net, von wo s‘ kommen? … Von wo haben s‘ denn die Waffen her?
GSTETTNER: Stehln tan s‘ von uns. Na, spiel scho, du kommst.
HANS (macht, ohne bei der Sache zu sein, seinen ersten Stoß): Eigentlich merkwürdig, daß diese Bolschewiken, diese Untermenschen — die Courasch ham, an so an hirnrissigen Widerstand zu leisten.
GSTETTNER: Tiere. Wilde Bestien, wia der Führer selbst gesagt hat.
Und Ferdinand Gstettner, SS-Mann, informiert ihn ausführlich, was mit den Menschen, mit den Männern, Frauen, Kindern passiert, die er „Viecher, Untermenschen, Brut, verdächtige Elemente, Spione“ …
Hans Bockerer sitzt also nicht wie im antelschen Bockerer mit Ferdinand Gstettner in der Loge, sondern mit Mizzi Haberl. Einmal soll doch aus dem antelschen Bockerer zitiert werden, um all die Verfälschungen beispielhaft aufzuzeigen:
Gstettner (Michael Schottenberg): Oda host vielleicht an ondern? oder eine?
Hansi Bockerer (Georg Schuchter): Schau, red‘ ma doch wie Männer.
Gstettner: Mit Vergnügen. Aber du red’st ja imma wie a hysterisches Weib. Es muß aus sein! Aus und vorbei!
Was in der Loge tatsächlich passierte, also im Stück von Preses und Becher, kurz bevor Hans Bockerer mit Ferdinand Gstettner Billard spielt und dabei über die „ambulante Gaskammer“ informiert wird, erzählt Mizzi Haberl:
MIZZI: Mein Bräutigam, den Hansi Bockerer, den ham s‘ auch eliminiert. War zwar ka General, aber ein Feldwebel. Und auch kein Von nicht.
DR. GALLEITNER: Mumpitz. Der ist ja ordnungsgemäß vor dem Feind gefallen. Außerdem — Bräutigam …?
MIZZI: Eine Unverschämtheit! wo mer uns no im Café Tosca am Gürtl verlobt ham, am Tag, wo er weg is.
MIZZI: (weist nach rechts in die Gasse): Da kommt er ja, der alte Bockerer, der, was beinah mein Schwiegervatter gwordn wär. Jessas, wia der rennt!
MIZZI: (drängt sich zu Bockerer durch, fällt ihm um den Hals, schluchzt theatralisch): Vatter Bockerer — a so a Unglück — a so a Luftdruck … Aus’n Bett hat’s mi gschupft.
Ja, Mizzi Haberl dürfte es mit der Wahrheit nicht so ernst nehmen, wie Franz Antel und seine Drehbuchstreibenden mit der Werktreue. Eine Hofratstocher, die gar die Braut von Hans Bockerer ist, kommt im Stück von Becher und Preses weder als Figur vor, noch wird von einer solchen erzählt.
HANS: Heil Hitler, Fräuln Haberl.
MIZZI (hängt sich in ihn ein, blickt mit klimpernden Augendeckeln zu ihm auf, gurrt): Wo warn mer denn am Samstag, du Schlimmer, du?
HANS: Glaubst, daß i allerweil Zeit für meine Privatangelegenheiten hab? Die Verteidigung an der Innern Front is genau so wichtig wie die an der äußern.
MIZZI: Aber, Hansi, du mit dein Sportherz, wo s‘ di doch zruckgstellt ham vom Militär —
HANS: Blödsinn, Sportherz is ja Nebensache. Brauchen tuans mi hier, weil sie si auf mich verlassen können. Keinen zweiten November Achtzehn nicht. Deswegen bhalten s‘ mi hier. Du, gestern bin i wieder befördert worden, zum Obersturmführer. Na?
MIZZI (schmiegt sich an ihn): Gratulier dir sehr schön, Hansi … am Donnerstag gehn mer tanzen mitanander ins Cafè Tosca, gell?
HANS: Uih jegerl, des kost mi wieder a Fleisch.
MIZZI: Und wenn i a Schnitzlfleisch kriag, gehn mer nachher in unsre Log‘. Willst?
HANS: Na ja, meinetwegen. Wart halt da draußen. I muaß nachschaun, ob net der Alte drin is.
MIZZI: Tumml di, tumml di.
In Antiquariaten ist das Stück von Preses und Becher noch erhältlich. Eine Neuauflage des Stückes nach Jahrzehnten wäre aber durchaus angebracht, es könnte um die Drehbücher der Verfilmungen von Michael Kehlmann und Franz Antel erweitert werden, so wäre in einem Buch festgehalten, im Vergleich, was Franz Antel mit seinen Drehbuchschreibenden aus diesem Stück machte, wie unverdient es ist, daß nunmehr nur noch von Antels Bockerer gesprochen und geschrieben wird, allen bei „Bockerer“ nur noch Antel einfällt, als hätte er ein Meisterwerk geschaffen, während er doch nur opportun seine Weltanschauung bediente, sein verfilmter Bockerer nichts anderes ist als ein Hansi —
Die biographischen Angaben zu Franz Antel in dieser Diplomarbeit, nun, Franz Antel hätten diese wohl gefallen.
Der Regisseur von Der Bockerer, Franz Antel, wurde 1913 in Wien geboren und verstarb mit
94 Jahren 2007 in seiner Heimatstadt. Nachdem er sich an seinem Erstlingswerk Vagabunden
versucht hatte, arbeitete er bis Kriegsbeginn in Berlin. 1939 musste Antel für drei Monate beim
Militär einrücken, bevor er zurück nach Wien geholt wurde, um dort als Produktionsleiter für
die frisch ins Leben gerufene Wien-Film Produktionsfirma zu arbeiten. 1942 kehrte er nochmals
zurück an die Front, wo er die kulturelle Truppenbetreuung überhatte. Gegen Ende des Krieges
geriet er von der Front in Berlin in russische Gefangenschaft, aus welcher er jedoch bereits
1945 schon wieder nach Wien zurückkehrte.
Weniger bis gar nicht hätte es Franz Antel wohl gefallen, was er auf Wien Geschichte Wiki“, am 31. August 2025 gelesen, über sich zu erfahren hätte:
1936 ging Antel nach Berlin zur Terra-Film als Produktionsleiter, später zur Tobis-Film. 1939 holte ihn Regisseur Karl Hartl zurück zur Wien-Film. 1940 wurde er zur Deutschen Wehrmacht eingezogen, kam zu einer Propagandakompanie und agierte in Fronttheatern. 1944 geriet er in russische Gefangenschaft, konnte aber bereits 1945 nach Wien zurückkehren. Die Historikerin Hanja Dämon machte im Herbst 2021 publik, dass Antel, als er 1936 nach Berlin ging, angab, vom „Ständestaat“ aufgrund seiner seit 1933 bestehenden Mitgliedschaft in der NSDAP verfolgt zu werden. Offenkundig hegte er Sympathien für das NS-Regime und begrüßte den „Anschluss“ 1938. Bereits 1937 hatte er um die deutsche Staatsbürgerschaft angesucht, die er erst 1960 zurücklegte. Nach Kriegsende gliederte sich Antel in das aufstrebende österreichische Kinowesen ein, konnte zunächst jedoch nur in der sowjetischen Besatzungszone arbeiten, da er den westlichen Besatzern suspekt war.
Aufmerkenswert ist auch, was in dieser Diplomarbeit darüber geschrieben wird, was erfolgreich und was nicht erfolgreich war:
Franz Antels Film Der Bockerer beruht auf dem gleichnamigen Theaterstück von Ulrich Becher
und Peter Preses aus dem Jahre 1948. Dem Film wurden zusätzliche Szenen hinzugefügt, die
von H. C. Artmann eigens dafür verfasst wurden. Das Stück wurde von seinen Autoren im Exil
verfasst und einige Jahre darauf in Österreich uraufgeführt. Zwischen den beiden Fassungen
lassen sich auch klare Unterschiede erkennen: Es gilt zu bemerken, dass die filmische Version
der Geschichte um Längen erfolgreicher war als die Bühnenfassung. Vermutlich kann dies
darauf zurückgeführt werden, dass beide ein ganz anderes Publikum vor sich hatten. Während
das Bühnenstück in einem Österreich gezeigt wurde, das noch von den Kriegsschäden
gezeichnet war und in dem Unsicherheit bezüglich der Überlebensfähigkeit des neuen kleinen
Staates herrschte, hatte der Film es mit einem österreichischen Publikum zu tun, das schon
nationales Selbstbewusstsein verinnerlicht hatte. Weiters präsentiert sich Bechers und Preses‘
Bockerer als eine sehr selbstreflektierte Person, was auf den filmischen Bockerer definitiv nicht
zutrifft. Antels Protagonist ist ein eher naiver Mensch, der die Ignoranz der Schuld der
Vergangenheit in der Bevölkerung perfekt widerspiegelt.147
Ebenso wenig erfolgreich wie das Bühnenstück blieb eine 1963 veröffentlichte Fernsehversion
von Der Bockerer mit Fritz Muliar in der Hauptrolle. Den Weg für die erfolgreiche Filmversion
von 1981 bereitete einige Jahre später ausgerechnet die Fernsehserie Ein echter Wiener geht
nicht unter in der Karl Merkatz, der Karl Bockerer von 1981, die Hauptrolle übernahm. Diese
Serie war die erste erfolgreiche, die – genau wie Der Bockerer – eine österreichische
Arbeiterfamilie in den Mittelpunkt rückte. Wie auch später als Karl Bockerer verkörpert Merkatz in Ein echter Wiener geht nicht unter ein liebenswertes wienerisches Original: einen
zwar jähzornigen aufbrausenden Familienvater, der etwas zur Naivität neigt, im Innersten aber
ein netter Kerl ist und dies in den richtigen Momenten zum Vorschein kommen lässt.148
Bevor Karl Merkatz die Rolle des Bockerers vor der Kamera mimte, übernahm er genau diese
auch auf der Bühne des Wiener Volkstheaters 1980. Die Inszenierung enthielt einige Szenen,
die in der Originalfassung noch nicht vorhanden waren. Von Kritikern wurden die
Aufführungen hoch gelobt und die Inszenierung wurde vom österreichischen Fernsehen
ausgezeichnet.
Wenn eine Inszenierung durch das österreichische Fernsehen aufgezeichnet wird, dann kann ein Theater sich wohl als ausgezeichnet —
Der Aussage des späteren Bockerer-Regisseurs Franz Antel zufolge, wurde
dieser selbst erst durch die Volkstheaterinszenierung auf das Stück aufmerksam und wollte dies
unbedingt mit Merkatz in der Hauptrolle verfilmen. Auch mehr als zehn Jahre nach der
Veröffentlichung des Films verkörperte Merkatz den Bockerer noch auf der Bühne, so
beispielsweise am Klagenfurter Stadttheater und am Salzburger Landestheater.149
Es genügt, hierzu aus dem Nachwort von Wolfgang Lesowsky zu zitieren, enthalten in „Peter Preses und Ulrich Becher. Der Bockerer. Thomas Sessler Verlag. Der Souffleurkasten. Erste Buchausgabe. ISBN 3-85173-018-024-9. Wien.“, vor über vier Jahrzehnten veröffentlicht, in Antiquariaten nur noch weiterhin erhältlich:
Erschreckend andererseits die Aufführungsgeschichte: 1948 inszeniert von Günther Haenel im Neuen Theater in der Scala, das damit wie so oft richtungsweisend war, die Uraufführung des Stücks mit Fritz Imhoff in der Tittelrolle und Karl Paryla als wahnsinnigen Tapezierergesellen Alois Selchgruber, der sich für Hitler hält.
Ein wahrlich shakespearehafter Einfall: die Ideen Hitlers einem Irren in den Mund zu legen. Der Zuschauer lacht, weil Bockerer den Irren tatsächlich für Hitler hält, und das Grauen schüttelt ihn, muß er sich doch eingestehen, daß er selbst diesen „Irren“ sehr ernst genommen hat.
Die Aufführung wurde ein ungeheurer Erfolg. Imhoff, Paryla, das ganze Ensemble und Regisseur Haenel mit Lob überschüttet. Achtzig Aufführungen und eine Österreich-Tournee folgten. „Die größte Rolle meines Lebens!“, schrieb Imhoff an Ulrich Becher. Trotzdem prominente Autoren wie Heinrich Mann dem Stück einen Siegeszug über die deutschen Bühnen weissagten, trotz regem Interesse des Berliner Schillertheaters und Brechts Berliner Ensemble, trotz persönlichem Einsatz der verschiedenen Regisseure und Schauspieler kam es unfaßlicher Weise zu keiner weiteren Aufführung.
Fünfzehn Jahre später produzierte das Österreichische Fernsehen den „Bockerer“. Wieder gab es eine exemplarische Interpretation durch Regisseur Kehlmann, wieder gab es einen verdienten Erfolg des Hauptdarstellers: „Und Fritz Muliar konnte hier beweisen, daß er einer der wenigen wirklich großen österreichischen Volksschauspieler ist. Respekt!“
Und wieder nichts! Wieder vergehen fünfzehn Jahre, bis endlich im Oktober 1978 die bundesdeutsche Theater-Erstaufführung am Nationaltheater Mannheim erfolgreich über die Bühne geht. Jenem Theater, dem Becher zur Eröffnung 1957 sagte: „Therater: die Welt? Heute mehr: Theater zum Zweck der Erhaltung der Welt!“
Herbert Ihering schrieb: „Brecht und Ulrich Becher — das deutsche Theater ist nicht so arm, wie diejenigen, die sie nicht spielen wollen, angeben.“
Brecht hat sich durch seine eigene Bühne und ein reichverzweigtes Epigonentum über alle Weigels und Torbergs hinweg die Bretter erobert, die die Welt interpretieren.
Nun sollte es Preses (und Becher) endlich gelingen, auf den deutschsprachigen „Volks“-Theatern den vorrangigen Platz einzunehmen, der ihnen längst gebührt.
Und es könnte dann schon vorkommen, daß dem einen oder der anderen zu Hansi Hansl einfällt, der schalwarme Rest im Bierkrug, oder das mit einem Karomuster versehene Hanslband mit seiner Tradition in Österreich zum Nähen eines handgezogenen Dirndlrocks …










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