Die Schieflage des Turms von Pisa beträgt in etwa vier Grad. Die Schieflage des Karl-Lueger-Denkmals wird nach seiner ordentlichen Reinigung von dreikommafünf Grad betragen. Damit weniger schief als der Turm von Pisa — und doch schiefer als der…
Mit der Kür von Wihlidals Projekt ist fürs Erste ein Schlussstrich gezogen unter eine Debatte, die sich seit 14 Jahren zieht (siehe Chronologie rechts). Erste Proteste gegen das Lueger-Denkmal gab es im Jahr 2009. Die Universität für angewandte Kunst schrieb damals einen internen Wettbewerb für die künstlerische Kontextualisierung des Denkmals aus. Lueger, der nicht nur Modernisierer der Stadt war – Stichwort: Hochquellleitung – sondern auch glühender Antisemit, sollte ein Gegengewicht bekommen. Wihlidals Entwurf ging damals als Sieger hervor. Für die Jury des aktuellen internationalen Wettbewerbs habe der Entwurf von damals „nichts an Aktualität eingebüßt“, heißt es im Medienstatement der Stadt. „Die minimale formale Irritation erweist sich in der Stadt als starkes Zeichen“, argumentiert die Jury konkret. Die „visuelle Pointe“ erschließe sich auch ohne Vorinformation.
Rechtsruck am Dr.-Karl-Lueger-Platz: Denkmal wird um 3,5 Grad gekippt, Kurier, 31. Mai 2023
Ein „Schlussstrich“ also, wird nun gesagt, sei jetzt mit dieser Schieflage gezogen, ein österreichischer Strich des Schlusses, Karl Lueger bleibt weiter ein „Modernisierer“, und um das zu untermauern, muß immer wieder die „Hochquellleitung“ herhalten …
Bereits im Juni 1875, keine zwei Jahre nach der Eröffnung der ersten Hochquellleitung, wurde eine Kommission beauftragt, ein Konzept für verlässliche Wasserversorgung zu entwerfen. 1877 wurde beschlossen, für die bestehende Leitung neue Quellen zu nutzen, auch die Wasserbehälter sollten vergrößert werden. Zusätzlich sollte das Schöpfwerk in Pottschach an Tagen aushelfen, an denen die Hochquellleitung den Tagesbedarf nicht deckte. Bei einer Debatte im Gemeinderat (13. Jänner 1893) wurden als Grundprinzipien festgelegt, dass die Wasserversorgung nicht in die Hände Privater gelegt werden, die Trinkwasserqualität sich nicht verschlechtern dürfe und alle Bezirke in gleicher Weise versorgt werden müssten; hier wurde auch die Notwendigkeit einer neuen Leitung konkret diskutiert. Der Ausbau der Ersten Hochquellenleitung war 1895 größtenteils abgeschlossen, während die Suche nach Quellen für eine zweite Leitung in vollem Gange war. Mit dem Amtsantritt Dr. Karl Luegers wurden die Vorstudien abgeschlossen. Noch vor endgültigem Baubeschluss begannen Verhandlungen über den Kauf der Quellen und Wasserrechte. Die Erste Hochquellenleitung (bis 21. April 1922: erste Kaiser-Franz-Joseph-Hochquellenleitung), ist ein Teil der Wiener Wasserversorgung. Die 1873 eröffnete, 95 Kilometer lange Leitung kostete 16 Millionen Gulden und ermöglichte erstmals die flächendeckende Versorgung Wiens mit einwandfreiem Trinkwasser. Sie wurde deshalb zum Symbol für die Befreiung von Wassernot und Seuchengefahr. Sie ist eine reine Gravitationsleitung, was bedeutet, dass das Wasser nur durch Schwerkraft befördert wird. Durch die Einleitung weiterer Wasserfassungen beträgt die Gesamtlänge der Ersten Hochquellenleitung heute 150 Kilometer. Sie fördert 220 Millionen Liter täglich aus dem Rax, Schneeberg-, Schneealpengebiet nach Wien. Hintergrund Da die bestehenden Wasserleitungen, wie zum Beispiel die Albertinische- oder die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung nach der Eingemeindung der Vorstädte (1850) für den Bedarf der Großstadt Wien nicht ausreichten, beschloss der Gemeinderat nach langjährigen Beratungen am 12. Juli 1868 über Anregung des Geologen Eduard Suess und aufgrund eines starken persönlichen Engagements von Bürgermeister-Stellvertreter Dr. Cajetan Felder, eine neue Wasserleitung zu errichten. Das Wasser sollte bevorzugt aus dem Hochquellengebiet zugeleitet und nicht aus der Donau filtriert werden (wie dies bei der Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung geschehen war), obwohl sich Skeptiker gegen eine solche Trassierung ausgesprochen hatten. Wurden bis dahin 20.000 Kubikmeter Wasser am Tag gefördert, so sollte nun eine tägliche Wassermenge von 138.000 Kubikmeter bestes Gebirgsquellwasser zur Stadt geführt werden.
Vor weit mehr als einhundert Jahren wurde um die Bedeutung von Karl Lueger noch genau Bescheid gewußt, konnte zwischen Mär und Wirklichkeit noch unterschieden werden.
Und weil im Zusammenhang mit den Wasserleitungen als Modernisierungsbeleg oben der Name eines weiteren Bürgermeisters von Wien mit einem „autokratischen Kurs“, wie es heißt, genannt ist, darf ein weiteres Mal nicht unerwähnt bleiben, daß auch dieser Bürgermeister in der Gegenwart eine Rolle bei einem Denkmal spielt, das erst vor wenigen Jahren in Wien errichtet wurde, und das ebenfalls als ein Propagandadenkmal errichtet wurde.
Ein „Schlussstrich“ also, wird nun gesagt, sei jetzt mit dieser Schieflage gezogen, ein österreichischer Strich, mit diesem wird es nun geschafft sein,
je noch von dem Denkmalnationalratspräsidenten, dem „österreichischen Streicher“, zu sprechen,
je noch von dem denkmalbildhauernden Eisenwehrmann zu sprechen, die mit ihrer
Gesinnungskameraderie Karl Lueger für ihre Gesinnungspropaganda mißbrauchen
bis herauf zu ihren wiedergängerischen —
„Die ‚visuelle Pointe‘ erschließe sich auch ohne Vorinformation.“ Wird nun gesagt. Und das ist wahr. Touristen kommen ohne „Vorinformation“ aus, Touristinnen brauchen keine Information, um auf dem KL-Platz, vorinformiert in italienischen Urlauben, prustend auszurufen: „Det is ja wie der Schiefe!“
Und wenn etwas schief steht, dann wissen Menschen auch ohne Information augenblicklich, die Ursache dafür ist ein morastiger Untergrund …
Und das ist doch das Wichtigste, Menschen, die Wien besuchen, unbeschwerte, fröhliche Stunden zu bieten, Erholung, Entspannung in ihrem schwer verdienten Urlaub, eine tourismusgerecht zugerichtete Stadt, auch mit diesem wienerischen Platz zusätzlich zu den weiteren, und das ist wohl die erste Pointe auf diesem österreichischen Strich …
Und auch die sogenannten Einheimischen werden etwa mit dem Nationalratspräsidenten einer Meinung zu sein, weder den Wienreisenden noch ihnen ist auf diesem Platz mehr an Vorinformation oder gar Information zuträglich, nur das ist auf diesem Platz angemessen, ordentlich gereinigt schief schön anzuschauen, und recht bald schon ein beliebtes Handykameramotiv, der Schiefe mit Kind und Kegel …

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