„Volkes Stimme“ – Als der „Pöbel“ noch einen Namen hat

… heute, am 17. März 2016, darf in der Qualitätszeitung „Der Standard“ gelesen werden: das von Barbara Coudenhove-Kalergi unter dem Titel „Volkes Stimme“ Geschriebene:

„Joseph II., Sohn Maria Theresias, war ein Mann der Aufklärung. Er führte wichtige Reformen ein, aber er hatte die Exzesse der Französischen Revolution erlebt, die seine Schwester Marie Antoinette unter die Guillotine gebracht hatten, und er misstraute dem Pöbel. Seine Devise lautete: Alles für das Volk. Nichts durch das Volk.“

Das ist ihr erster Absatz. Verantwortliche einer Zeitung von Qualität hätten wohl bereits nach diesen wenigen ersten Zeilen gesagt, vielleicht können Sie es einer anderen Zeitung verkaufen …

Oder aber die Redaktion dieser Zeitung hütet ein Geheimnis. Nämlich das Geheimnis, wie es Josef Habsburg möglich war, die „Exzesse der Französischen Revolution“ zu erleben, die „seine Schwester Marie Antoinette unter die Guillotine gebracht hatten“. Das Geheimnis kann, darf vermutet werden, nur sein, Josef Habsburg stand von den Toten auf und wandelte Jahre unter den Lebenden, schrieb möglicherweise Tagebuch, das dieser Redaktion vorliegt. Das wäre wahrlich eine Sensation, Jesus schaffte es bloß für Stunden aufzuerstehen. Josef Habsburg hingegen mindestens drei Jahre, das ist in etwa die Zeitspanne zwischen seinem Tod am 20. Februar 1790 und der Hinrichtung seiner Schwester am 16. Oktober 1793 …

Und welche „Exzesse“ konnte Josef Habsburg seit dem „Sturm auf die Bastille“ bis zu seinem Tod erlebt haben, in diesen gerade einmal sieben Monaten? Den „Exzess“ der Abschaffung der Vorrechte des Adels? Den „Exzess“ der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte?

Den „großen Terror“, die „Schreckensherrschaft“ oder mit dem Wort von Barbara Coudenhove-Kalergi, die „Exzesse“ konnte Josef Habsburg nur als Auferstandener erlebt haben …

„Er führte wichtige Reformen ein.“ Wahrscheinlich durfte er von den Toten wieder auferstehen, wohl als eine Art Dankesgeschenk Gottes an ihn, weil er viele Reformen wieder zurücknahm, unmittelbar vor seinem Tod, vielleicht ahnend, daß Gott einen „Mann der Aufklärung“ nicht in seinen Räumlichkeiten …

Ach, Josef Habsburg beugte sich, als er seine Reformen zurücknahm, keinem Druck auf Erden. Ein Herr gibt, ein Herr nimmt. Und was der Herr wieder genommen hat und wer doch auf den hohen Herrn Druck ausgeübt hat, davon will Barbara Coudenhove-Kalergi nichts berichten.

„Da sind die Massen in Europa, die Viktor Orbán gewählt haben, Marine Le-Pen, Jaroslaw Kaczyński, Silvio Berlusconi, H.-C. Strache und sich von diesen das Heil versprechen.“

Wenn die Massen aber stumm ergeben das Unheil der hohen Herren und hohen Frauen, wie jenen, um bei der von ihr eingeführten Familie zu bleiben, aus der Sippe Habsburg ertragen, dann ist für Barbara Coudenhove-Kalergi die Welt in Ordnung, mit einem „Volk“, das wunschlos, forderlos, aber jubelreich gegen die hohen Herren und hohen Frauen … Denn von hohen Herren und hohen Frauen hat die „Masse“ nichts zu fordern, von hohen Herren und hohen Frauen darf sich die „Masse“ nichts versprechen. Den hohen Herren und hohen Frauen , was deren ist: das Heil, und dem „Volk“, was dem „Volk“ zusteht: das Unheil.

„Das Volk ist ein großer Lümmel, meinte Heinrich Heine. Der große Lümmel hörte und hört zu, wenn ihm jemand mit hinlänglicher Überzeugungskraft erklärt, alles würde gut und alle würden wohlhabend, wenn man nur alle sogenannten Volksfeinde vertriebe (oder umbrächte). Die Protestanten aus Österreich, die Aristokraten aus Frankreich, die Armenier aus der Türkei, die Kapitalisten aus der Sowjetunion, die Juden aus Deutschland, die Deutschen aus der Tschechoslowakei, die Muslime aus den USA, die Flüchtlinge aus Europa.“

Was für eine bizarre Aufzählung. Oder muß hier selbstkritisch eingestanden werden, nicht zu wissen, daß die „Masse“ oder das „Volk“ oder „der trübe Bodensatz des Volkes“ zu jener Zeit, als Josef Habsburg vor allem Sohn war, Protestantinnen und Protestanten zu Tausenden aus Österreich vertrieben wurden, nur aus einem einzigen Menschen namens Maria Theresia Habsburg bestand? Wer hat dem „Pöbel“ Maria Theresia Habsburg das alles nur so überzeugend einreden können, auch den Antisemitismus und auch die Brutalität gegen Roma und Sinti?

„Aber die wirklichen großen Politiker waren immer diejenigen, die sich nicht vom Mainstream tragen ließen, sondern diesem ihre eigene, wohlerwogene Vision entgegenstellten. De Gaulle, Churchill, Roosevelt, Adenauer, Kreisky.“

Was für eine …

Genug, genug …

Das Malheur des Menschen ist, immer wieder darauf zu vergessen, was er sich schon einmal vorgenommen hat … Als im Oktober 2014 „Islam im Zwielicht“ gelesen wurde, wurde der Vorsatz gefaßt, sich sofort von der Lektüre der Artikel von Barbara Coudenhove-Kalergi zu pensionieren. Und das Ergebnis? Ein gescheiterter Vorsatz mehr. „Volkes Stimme“ aber verspricht eines, keinen Vorsatz mehr fassen zu müssen, um je wieder …

Als der Pöbel Maria Theresia hieß