Es wird das Interview, das gestern vom österreichischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, nicht davon abhalten, weiter die Romane von Peter Sloterdijk zu lesen, nur, mit einer Einschränkung, das eine Buch von ihm, das bald erscheinen soll, im Mai, wird ausgelassen werden, weil es im Interview und von ihm unwidersprochen als „Roman“ angekündigt wurde, es soll sich dabei sogar um einen „erotischen Roman“ handeln, also seine, wie es allgemein heißt, philosophischen Bücher als Romane zu lesen, daran wird auch in Zukunft festgehalten werden, von ihm aber Bücher, die als Romane verkauft werden, ebenfalls zu lesen, wird für sehr unwahrscheinlich gehalten; denn seine, wie es heißt, philosophischen Bücher als Romane zu lesen, bereitete stets Vergnügen, seinen ersten Roman und gar dem noch folgende Romane auch zu lesen, ist zu befürchten, kann nur Qualen verursachen und schließlich dazu führen, auch seine philosophischen Bücher nicht mehr lesen zu wollen, sich schließlich gänzlich von ihm abzuwenden, ihn zu vergessen, nicht zu vergessen, ihn bloß in Erinnerung zu behalten als einen Schreiber, der mit seinen philosophischen Büchern, diese aber stets als Romane gelesen, heitere Stunden …
Im Grunde muß auch dieses kurze Interview, etwa elfeinhalb Minuten lang, als Roman eingestuft werden, also ein von Peter Sloterdijk mündlich vorgetragener Roman, ein Hörroman, ein Minihörroman, mit ihm als Hauptfigur. Und dann können Fragen gestellt werden, kann darauf eingegangen werden, was will diese Minihörromanfigur ihrem Gegenüber sagen? Es muß das Interview also nicht mehr als Interview eines Philosophen angehört und angesehen werden, der etwas zum Zeitgeschehen, zur aktuellen politischen Lage sagt, sondern es kann seinem Gegenüber die ganze Aufmerksamkeit geschenkt werden, wie ging es der zweiten Hauptfigur, die als Interviewerin in diesem Minihörroman eine wichtige Rolle einnimmt, was dachte sie, wenn er sprach, und sie zuhörte, was dachte sie über das von ihm Gesagte?
Dachte sie an Freud? Als er sagte: „Wer Rechts“ und dann rasch ein „wer Recht“ korrigierend anfügte, „will, muß auch Nation sagen.“
Wie zufriedenstellend fand sie seine Antwort auf ihre Frage nach dem Reizwort „Grenze“, von ihr politisch gemeint, auf die aktuelle Lage bezogen, in der Menschen über Grenzen flüchten müssen? Und er in seiner Antwort von einem Diskurs über Grenzen spricht, der vor zwanzig Jahren … ausgelöst von der Pädagogik, besorgte Pädagogen seien es gewesen, die mit den Grenzen, er von Grenzziehungen in der Erziehung von Kindern spricht, um von daher etwas Positives zu finden, am Nationalstaat als Rechtsraum.
Dachte sie noch einmal an Freud? Oder stellte sie sich vor, welche Informationsquellen er wohl verwendet? Als er zuerst sagen wollte, „fast eine Millia…“ und sich rasch korrigierte, „fast eine Million“ seien im letzten September, innerhalb weniger Monate, über die Grenzen hinweggegangen. Auf seine anschließende Frage, wie solle das anders genannt werden als „Überrollung“, gab sie keine Antwort. Wie schätzte er ihr Schweigen dazu ein. Die Haltung als Laissez-faire zu bezeichnen, weil Menschen, die auf der Flucht sind, aufgenommen werden, das kann bloß einer Romanfigur, ob sie sich das gedacht hat, in diesem Fall einer Minihörromanfigur einfallen, die fern von allem lebt, beschäftigt bloß noch mit dem eigenen, schwächer und schwächer werdenden Körper, gegen den angekämpft werden muß, mit dem Schreiben noch, wenn auch nur mit dem Schreiben eines erotischen Romans als vergebliches Anschreiben gegen den Verfall.
Dachte sie daran, der Verfall müsse den armen Mann wohl am meisten in seinem Kopf martern, wie durcheinander seine Erinnerung schon ist? Als er von der Drohung der Masseneinwanderungen begann, seit zehn Jahren liege die Drohung in der Luft, mit Gaddafi, der vor zehn Jahren schon drohte, „Millionen von Afrikanern in Marsch setzen zu wollen“. Wen setzte Gaddafi, als er vor rund fünf Jahren hilflos drohte, in Marsch? Gaddafi wurde in Marsch gesetzt. Einer Romanfigur kann nachgesehen werden, so zu denken, einer könne Millionen in Marsch setzen, alles außer Acht zu lassen, in einer Realität zu leben, die ihr guttut, auch wenn es die Realität von Charles de Gaulle ist: in einem „Europa der Vaterländer“, eine Romanfigur muß sich nicht entwickeln, eine Romanfigur darf sich auch zurück entwickeln, eine Romanfigur hat für die Realität keine Bedeutung, sie soll unterhalten.
Und es war eine gute Unterhaltung. Dafür ist dem österreichischen Rundfunk zu danken. Weil es aber doch ein sogenannter öffentlich-rechtlicher Sender ist, wäre eine genauere Ansage angebracht gewesen, um eventuelle Mißverständnisse zu vermeiden. Manche werden doch meinen, es sei ein Philosoph zum aktuellen Zeitgeschehen interviewt worden, während in Wahrheit ein Minihörroman gesendet wurde.
Es hätte eine kurze Ansage gereicht, vielleicht in der Art:
Sie sehen jetzt den Rückentwicklungsminihörroman „Peter Sloterdijk“. Viel Vergnügen.