Gestatten, Oskar Deutsch, Fußballnationalmannschaftsminister: Da geht noch was!

In Österreich, hieß es einmal, ist jeder Mensch ein Teamchef der Nationalmannschaft – wie (beinahe könnten sogar bei Österreich nostalgische Gefühle aufkommen) real da der Staat noch war … und nun will anscheinend jeder Mensch Sicherheitsminister werden und sein, daß der Wunsch geäußert werden will, hätte Österreich – ach, hätte Österreich doch nur einen Fußballnationalmannschaftsminister, der dann beispielsweise auch ein Oskar Deutsch sein könnte wollen, mit Ratschlägen und Warnungen, wie die Mannschaft zu spielen hätte …

ÖsterreicherInnen wuchsen mit Antisemitismus auf

Die Überschrift könnte auch so richtig und so falsch lauten: „Österreicherinnen wuchsen mit Antisemitismus auf“. – Der Staat ist nicht mehr real.

Aber leider gibt es diesen Fußballnationalmannschaftsminister nicht und so glaubt etwa ein Oskar Deutsch, einer aus der Masse jener Menschen, die meinen, jetzt Sicherheitsminister sein zu müssen, mit seinen Ratschlägen und Warnungen, vor den Menschen, die flüchten müssen. Und wie seinerzeit jeder Teamchef (und da im Grunde ausschließlich die Männer in diesem Land sich als Teamchefs verstanden, kann auf die weibliche Form diesmal verzichtet werden) wußte, wie gespielt werden muß, weiß heute jeder Sicherheitsminister, was gegen Menschen, die flüchten müssen, unternommen werden muß, weiß heute jeder Sicherheitsminister, und also auch ein Oskar D., daß „Österreich bei der Aufnahme der Flüchtlinge am Rande seiner Kapazitäten …“

Wie seinerzeit sich stets die Frage stellte, woher wissen all die Teamchefs das alles, woher haben all die Teamchefs ihre profunden Informationen und ihr kompetentes Wissen, wo haben all die Teamchefs ihre fundamental hochwertigen Ausbildungen absolviert, stellt sich heute die Frage, woher wissen all die Sicherheitsminister, woher hat Oskar D. seine profunden Informationen, sein kompentes Wissen, seine fundamental hochwertige Ausbildung …

Der Staat ist nicht mehr real. Wenn plötzlich alle glauben Sicherheitsminister zu sein, sein zu müssen …

Der Staat ist nicht mehr real, wenn plötzlich alle glauben, mit ihren Ratschlägen und Warnungen die derzeitige Sicherheitsministerin mit ihren Teamchefinnenvorstellungen zu überdribbeln …

Der Staat ist nicht mehr real, wenn „extreme Rechte“ für sich Menschen als Fürsprecher und Verharmloser rekrutieren können, von denen bislang angenommen werden konnte, sie …

Der Staat ist nicht mehr real, wenn alle nur mehr aus Gründen ihrer partikularen Interessen Sicherheitsminister sein wollen …

Dieser Wille, Fußballnationalmannschaftsminister zu sein, dürfte im weishäutigen (sollte wer die Schreibweise bemängeln: ein Rechtschreibfehler ist das nicht) Stamm des Westens, der sich gerade aufmunitioniert, weit verbreitet sein. Denn auch in Deutschland dribbelt Josef Schuster wie Oskar D., der zusätzlich noch die Organisierten Glauben aus der Verantwortung nimmt, ein „ethnisches Problem“ der Antisemitismus … Fehlt bloß noch, daß „extreme Rechte“ nicht nur Beistand finden, sondern auch deren Vergangenheitsvokabular übernommen wird, beispielsweise „Rasse“ …

PS Die Wendung „Der Staat ist nicht mehr real“ ist entlehnt einer Formulierung aus dem „Tagebuch der Aussiedlung“, in dem Dževad Karahasan über eine Frau schreibt, die klagt, weil ihre Kinder bei ihr sind, in Sarajevo, 1992 …

Und allen Fußballnationalmannschaftsministerinnen, mögen sie Oskar, Emil, Ottilie, Almut, Josef, Agathe, Sebastian, Herbert oder kurz und knapp wie immer auch heißen, ist dieser Abschnitt aus dem Tagebuch gewidmet, der im folgenden wörtlich wiedergegeben ist, mit einer kleinen Veränderung aber, statt dem Titel „Teilung der Scham“ wurde ein neuer gewählt:

Sarajevo, Syrien, 2015 und nächstes Jahr in Sarajevo, …

Anfang November 1992, an einem schönen und relativ ruhigen Morgen, wollte ich zum Wasserholen gehen. Vor der Wohnungstür im Erdgeschoß, auf einem der Stühle, auf denen wir sitzen, wenn die Stadt »mäßig bombardiert« wird, saß unsere Nachbarin und weinte. Ich fragte, warum sie weine und ob ich helfen könne, doch die Nachbarin winkte ab und weinte weiter. Auf mein hartnäckiges Nachfragen antwortete sie nach gut zehn Minuten, sie weine, weil ihre Kinder bei ihr seien, in Sarajevo.

An diesem Morgen war die Nachbarsfrau Radmila mit ihren beiden kleinen Mädchen weggegangen. Sie war mit der UNPROFOR nach Frankreich ausgeflogen worden, wo ihre ältere Tochter Nana operiert werden sollte, die in unserem Hof, Anfang Juli, von einem Granatsplitter im Gesicht verletzt worden war. Von Juli bis November hatte sich Nanas Sehvermögen stark verschlechtert, aber in den Krankenhäusern von Sarajevo hatte man sich nicht zu einer Operation entschließen können.

Deshalb weinte Frau Marija. Sie weinte, weil ihr Kind nicht verletzt und weil es bei ihr in Sarajevo war.

Als sie mir das erklärte, begriff ich, daß meine Stadt in diesem Augenblick nicht real war, denn die Realität, die ich kenne, hatte sich verkehrt, so wie der Spiegel ein Gesicht seitenverkehrt: alles, was in der realen Welt Freude, Erleben und Schönheit bedeutet, wird hier und heute zu Schmerz. Bis in den späten Nachmittag philosophierte ich und versuchte, mich mit diesem Gedanken vom Spiegel und der Irrealität gegen die Bitternis zu wehren, die sich im Verlauf des morgendlichen Gesprächs in mein Inneres geschlichen hatte, doch am Abend brach, ganz gegen meinen Willen, eine Frage durch mein Philosophieren hindurch, die in meiner Sprache ganz deutlich lautete: Gott, warum, hast du es zugelassen, daß eine Mutter klagt, weil ihre Kinder bei ihr sind?