Es werden auch in Österreich Kriegsflüchtlinge als Wirtschaftsflüchtlinge denunziert, diffamiert, von vielen aus der sogenannten Bevölkerung und von vielen, die sogenannte hohe und höchste politische Verantwortungspositionen innehaben, von einem Außenminister auf- und abwärts. Es werden nun auch die Rufe lauter und lauter und mehr und mehr, aus allen sogenannten Bevölkerungskreisen und aus allen sogenannten politischen Lagern, nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge nicht nach Österreich zu lassen, sondern auch Obergrenzen bei Kriegsflüchtlingen festzulegen, also auch diese nur mehr eingeschränkt in das Land zu lassen, bis irgendwann überhaupt keine Kriegsflüchtlinge dann mehr in das Land gelassen werden. Derzeit scheint noch das Wort Kriegsflüchtlinge abzuschrecken, auch gegen diese mit aller Härte und mit der größten Eiseskälte vorzugehen, wie schon lange gegen Wirtschaftsflüchtlinge.
Es darf also erwartet werden, es wird nicht mehr lange dauern, bis das Wort Kriegsflüchtlinge durch eines ersetzt werden wird, das es erlauben wird, mit gutem Gewissen mit aller Härte und mit der größten Eiseskälte mehrheitsgestützt Menschen, die vor Kriegen flüchten müssen, an den Grenzen abzuweisen, die Einreise zu verweigern, die Hilfe zu versagen, die Aufnahme und die Gewährung von Schutz und Sicherheit abzulehnen, sie zurückzuschicken. Es wird vielleicht ein englisches Kunstwort sein, und das in einem Land, in dem von nach Österreich kommenden Menschen verlangt wird, Deutsch zu lernen, ein zusammengesetztes englisches Wort, irgend eines mit wargame… vielleicht, aber gewiß so harmlos klingend und so förderlich, um sich aus der Verantwortung zu stehlen, so hilfreich, um jedwede Schuld von sich weisen zu können, wie es mit dem Wort Wirtschaftsflüchtlinge in Österreich und also in der gesamten Europäischen Union und also im sogenannten gesamten Westen bereits gelungen ist.
Noch wird kein derartig schuldvergebendes Wort für Kriegsflüchtlinge verwendet, daß auf dieses weiter eingegangen werden muß, vor allem was Krieg bedeutet, auch wenn zu befürchten ist, daß viele auch in diesem Land nicht wissen, nicht wissen wollen, was Krieg bedeutet, was es heißt, in einem Krieg zu leben, wird bedacht, wie viele bereits das Kriegsgeheul anstimmen, vor allem in und aus gewissen Kreisen heraus nach Kampf, nach Krieg geschrien wird, die hier nicht konkreter identifiziert zu werden brauchen, sie sind zur Genüge bekannt.
Deshalb soll dieses unselige Wort Wirtschaftsflüchtlinge in den Mittelpunkt gerückt werden, ein Wort, das endlich wieder aus dem Vokabular ersatzlos zu streichen ist. Oder nur mehr und ausschließlich für jene zu verwenden ist, die tatsächlich vor der Wirtschaft flüchten, beispielsweise vor der Wirtschaft in die Politik flüchten, um dann zu profitieren, wie beispielsweise vor allem jene aus einer gewissen Gemeinschaft, die hier auch nicht konkreter identifiziert zu werden brauchen, aber, wenn Sie es interessiert, mit einem Klick auf diesen Link kommen Sie rasch zu deren linken … Aber ist nicht die Wirtschaft überhaupt die einzige, die flüchtet? Ist es nicht Flucht vor dem Wirtschaften, wenn Betriebe in Erdteile verlagert werden, in denen die diktierten Bedingungen es leicht machen, erfolgreich zu sein, Gewinne zu maximieren, es also nicht davon abhängig ist, wirtschaften zu können, sondern nur von beispielsweise niedrigsten arbeitsrechtlichen Konditionen zu profitieren.
Damit wieder einmal darauf aufmerksam gemacht wird, was sich hinter dem Wort Wirtschaftsflüchtlinge tatsächlich verbirgt, ist auf „Der Hunger“ von Martín Caparrós hinzuweisen, wieder einmal ein Buch, das auf die ungeheuerlichen Vorgänge in dieser Welt eindrücklich eingeht, und das von vielen aus der sogenannten Bevölkerung und von allen in politischen Verantwortungspositionen gelesen werden sollte, um als erste Erkenntnis aus der Lektüre, nie wieder das Wort Wirtschaftsflüchtlinge zu verwenden. Es ist aber zu befürchten, es wird ein Bestseller werden, wie so viele Bücher über das bewußt wirtschaftspolitisch geschaffene Elend in dieser Welt, ohne irgend etwas zu ändern, weil Beststeller über das Elend bereits dazugehören, zum westlichen Geschäft.
Auch wenn die Hoffnung tot ist. Dennoch.
Vor ein paar Tagen, am 18. November 2015, berichtete die Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ darüber, daß im nächsten Jahr eine Frau heiliggesprochen werden könnte und zählt dabei wohlwollend ihre Verdienste und ihre dafür erhaltenen Ehrungen auf, die Frau, die als „Mutter der Armen weltweit bekannt ist“. Eine Frau, die Kinder gebärt, ist eine Mutter, und was gebar diese Frau, die Mutter genannt wird? Arme. Und wenn Fräulein Agnes im kommenden Jahr heiliggesprochen wird, wird auch der Westen heiliggesprochen, denn das Verhalten des Westens kann mit dem Agieren von Fräulein Agnes, dieser im Westen wohl deshalb nach wie vor so hoch angesehenen und hoch geschätzten und zu einer weltlichen Ikone aufgestiegenen Frau beschrieben werden, wie es Martín Caparrós tat und hier aus „Der Hunger“ in voller Länge wiedergegeben werden muß:
Schon vor zwanzig Jahren hat mich die Konsistenz einer Ideologie erschreckt. Das Sterbehaus von Mutter Teresa lag neben dem Kalighat-Tempel, dort konnte man ruhiger – zumindest ein weniger ruhiger – sterben. Mutter Teresa hatte es 1951 gegründet, als ein muslimischer Händler ihr das Haus für ein paar Rupien überlassen hatte, weil er sie bewunderte und sagte, er müsse Gott ein wenig von dem zurückgeben, was er ihm geschenkt habe – oder so ähnlich.
Als ich es aufsuchte, waren die Wände weiß gestrichen, es gab Plakate mit Gebeten, Regale voller Figuren der Mutter Gottes. Kruzifixe und ein Foto von Mutter Teresa mit Papst Wojtyla. „Sorgen wir dafür, dass die Kirche in der heutigen Welt präsent ist“, stand auf einem Schild direkt darunter. Der Saal für die Männer war etwa fünfzehn Meter lang und zehn Meter breit. An den Längsseiten gab es jeweils eine erhöhte Fläche mit billigen Mosaiken: auf jeder standen vierzehn Pritschen, dazwischen am Boden weitere zwanzig. Auf den Pritschen lagen himmelblaue Plastikmatten und ein Kissen aus dunkelblauem Stoff. Laken gab es keine. Auf jeder Pritsche wartete ein ausgemergelter Körper auf den Tod.
Damals sammelten Freiwillige Sterbende auf den Straßen ein und brachten sie zu den himmelblauen Pritschen; sie wuschen sie und richteten sie für den Tod her.
„Denen auf den Podien geht es etwas besser, vielleicht überlebt der ein oder andere sogar.“
Sagte Mike, ein dreißigjähriger Engländer mit Pferdeschwanz in radebrechendem Französisch.
„Die unten machen’s nicht mehr lange; je näher sie an der Tür liegen, desto schlechter ist ihr Zustand.“
In dem Saal hörte man leise Klagelaute. Ein Junge – wenn es überhaupt ein Junge war, er konnte dreizehn, aber ebenso gut fünfunddreißig sein –, der nichts auf den Rippen und eine heftige Kopfverletzung hatte, schrie „Babu, babu“. Richard, ein Schrank von einem Kerl, blond, Durchschnittsamerikaner mit dem Gebaren eines Priesters aus Milwaukee, verständnisvoll, aber streng, tätschelte seinen Rücken. Dann brachte er einem alten Mann an der Tür ein Glas verdünnte Milch. Der alte Mann lag reglos da, der Kopf hing über das Ende der Pritsche hinaus. Richard bettete den Kopf wieder auf das Kissen, doch der alte Mann schob sich unter Aufbietung der letzten Kräfte zurück, bis der Kopf wieder nach unten hing.
„Ihm geht es sehr schlecht. Er kam gestern, wir wollten ihn ins Krankenhaus bringen, aber man hat ihn nicht aufgenommen.“
„Warum?“
„Geld.“
„Sind das denn keine staatlichen Krankenhäuser?“
„In den staatlichen Krankenhäusern gibt es vielleicht in vier Monaten ein Bett. Das nutzt uns nichts. Wir haben ein paar Betten in einem privaten christlichen Krankenhaus, doch die sind alle belegt, und so wurden wir abgewiesen. Wir sind hier nicht in Amerika; hier sterben Menschen, weil sie nicht behandelt werden können.“
Richard erzählte mir bei der Gelegenheit von einem Mann, der mit einem gebrochenen Bein eingeliefert worden war: Sie konnten das Bein nicht versorgen, und er starb an der Wundinfektion. Er kannte noch mehr Fälle. Es kam nicht selten vor, erklärte er, dass jemand starb, ohne aufzubegehren.
„Wir können sie nicht gesund machen. Wir sind keine Ärzte. Wir haben einen Arzt, der kommt zweimal in der Woche, aber wir haben keine Geräte und keine Medikamente. Wir können sie nur trösten, uns um sie kümmern, ihnen ein wenig Zuwendung schenken, ihnen ein würdiges Sterben ermöglichen.“
Damals war Mutter Teresa schon auf der ganzen Welt berühmt und bestens ausgestattet mit Spenden und finanziellen Mitteln – die sie allerdings nicht in eine gute medizinische Versorgung am Hauptplatz ihrer Organisation investierte.
Ich beendete damals meinen Besuch mit den Worten: „Zu gern würde ich das Sterbehaus von Mutter Teresa als edle, erhabene Einrichtung beschreiben, doch das Ganze stößt mich ab: Diese fromme Idee, Sterbende von der Straße zu holen, damit sie sauber sterben. Wenn sie etwas für die Leute tun wollen, dann sollten sie ihnen doch zu einem besseren Leben verhelfen und nicht zu einem besseren Sterben. Natürlich muss man, wenn einem der Tod ein solch wichtiges Anliegen ist, daran glauben, dass er ein Übergang in eine andere Welt ist und dass es vielleicht wichtig ist, in welchem Zustand man dort ankommt, aber ich glaube nicht, dass eine Pritsche mehr oder ein paar verschorfte Stellen weniger einen großen Unterschied machen. Zudem halte ich das Sterbehaus nach wie vor für einen Auswuchs des klassischen katholischen Wohlfahrtsgedanken: eine Form, die sichtbarsten Folgen der sozialen Missstände abzumildern, ohne auch nur im Mindestens die Ursachen dieser Missstände anzugehen. Und während eine Ziege und ein nackter Junge gegenseitig mit hungriger Inbrunst an ihren Ohren knabbern, erscheint mir Mutter Teresa plötzlich wie eine dieser ergebenen Damen unserer Parroquia del Pilar, und das macht mich furchtbar wütend.“
Dabei wusste ich damals vieles noch nicht. Später erfuhr ich, dass Agnes Gonxha Bojaxhiu, auch bekannt als Mutter Teresa von Kalkutta, das kampfeslustige Abbild ihrer heiligen Mutter war und dass sie einige krasse Vorstellungen vertrat. Darunter die, dass das Leiden der Armen eine Gabe Gottes darstelle: „Es liegt Schönheit darin, wie die Armen ihr Schicksal erdulden, wie Christus am Kreuz zu leiden“, hat sie mehr als einmal gesagt. „Die Welt gewinnt viel durch ihr Leiden.“
Vielleicht hat die Ordensfrau deshalb die Betroffenen der berühmten Katastrophe von Bhopal aufgefordert, sie möchten „vergessen und verzeihen“, statt von Union Carbide Schadenersatz zu fordern. Vielleicht ist die Ordensfrau deshalb 1981 nach Haiti gereist, um sich von Diktator Jean Claude Duvalier – der ihr eine Menge Geld spendete – einen Orden verleihen zu lassen und zu erklären, Baby Doc würde „die Armen lieben und deshalb von ihnen bewundert“. Vielleicht ist die Ordensfrau deshalb nach Tirana gereist und hat einen Kranz am Denkmal von Enver Hoxha niedergelegt, dem stalinistischen Führer des Landes, einem der erbärmlichsten Unterdrücker Europas. Vielleicht hat die Ordensfrau deshalb einen amerikanischen Banker verteidigt, der ihr ein erkleckliches Sümmchen hatte zukommen lassen, bevor er verhaftet wurde, weil er Hunderttausende von Kleinanlegern betrogen hatte. Die Liste der Fehltritte ließe sich noch erweitern.
Damals, 1994, hatte ich auch noch keine Ahnung davon, wie gut Fräulein Agnes es verstand, aus dem Heiligenschein, den sie sich erworben hatte, Profit zu schlagen: Heilige dürfen überall und zu jeder Zeit sagen, was sie wollen. Sie nutzte diese Narrenfreiheit, um ihre größte Kampagne voranzutreiben: den Kampf gegen Verhütung und Abtreibung. Schon als sie 1979 den Friedensnobelreis erhielt, sagte sie: „Der größte Feind des Weltfriedens ist die Abtreibung“, und kurz darauf, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: „Verhütung und Abtreibung sind moralisch als gleichwertig zu betrachten.“
Und vor dem US-amerikanischen Kongress, der ihr den seltenen Titel der „Ehrenbürgerin“ verliehen hatte: „Die Armen haben vielleicht nichts zu essen, kein Dach über dem Kopf, aber sie können großartige Menschen sein, wenn sie geistig reich sind. Und die Abtreibung, die häufig auf die Verhütung folgt, lässt die Menschen geistig verarmen, und das ist die schlimmste Armut, die, die sich am schwersten besiegen lässt“, sagte die Ordensfrau, und Hunderte von Kongressabgeordneten, von denen viele Abtreibung und Verhütung befürworteten, applaudierten begeistert.
An dem Abend in Washington fand Kardinal James A. Hickey klare Worte: „Ihr liebevoller Aufschrei und ihre Verteidigung des ungeborenen Lebens sind keine leeren Phrasen, denn sie dient den Leidenden, den Hungernden und den Dürstenden“ … Dafür war die Ordensfrau nützlich, unter anderem.
Sie erfüllte noch eine weitere Funktion. „Alle – Länder, Gruppen von Freunden, Volleyballmannschaften, Teams – brauchen einen Guten: ein Vorbild, ein Wesen ohne Fehl und Tafel, jemanden, der ihnen zeigt, dass noch nicht alles verloren ist. Es gibt viele Modelle des Guten. Es kann ein verständnisvoller Priester sein, ein Walretter, ein ehemaliger Was-auch-immer, ein Hund, ein aufopferungsvoller Arzt: Man muss an etwas glauben. Der Gute ist unverzichtbar, eine Grundvoraussetzung des Lebens. Und die Welt schafft es, Gute zu finden, sie auf den Thron zu heben, aus ihnen herauszuholen, was herauszuholen ist“, sagte sie, und deshalb – aber nicht allein deshalb – nahm Fräulein Agnes einen besonderen Platz ein: den der universellen Guten.
Den hat sie immer noch. Einige von uns versuchen zwar, etwas Licht in die dunkle Seite dieser Geschichte voller Korruption und Opportunismus zu bringen, aber keiner schenkt uns Gehör: Es ist besser und vor allem bequemer, weiter zu glauben, sie sei gutmütiger gewesen als Lassie. Viele bedienen sich ihres Images. Vor allem ist sie nützlich, wenn es darum geht, bestimmte Grundvorstellungen zu untermauern. Zum Beispiel dass dieses Leben der Weg zu einem anderen, besseren an der Seite des Herrn ist. Deshalb ist es nicht so wichtig, was uns in diesem Leben widerfährt, sondern wie wir uns auf das andere vorbereiten: indem wir lammfromm, unterwürfig, schicksalsergeben sind. Deshalb war ihre erste Initiative auch die Gründung eines Sterbehauses, eines Ortes, an dem man reiner sterben kann. Fräulein Agnes ist mit Preisen, Spenden, Subventionen für ihre religiösen Projekte überschüttet worden. Sie hat die Bilanzen ihrer Unternehmen nie offengelegt, aus ihren eigenen Aussagen weiß man allerdings, dass sie fünfhundert Klöster in hundert Ländern gegründet hat – aber ein Krankenhaus in Kalkutta war nicht drin.
Wie gesagt: Der wesentliche Gedanke, den das Fräulein der ganzen Welt verkauft hat, ist der, dass das Leiden der Armen eine Gabe des Allmächtigen ist. Hören wir noch mal hin: „Es liegt Schönheit darin, wie die Armen ihr Schicksal erdulden, wie Christus am Kreuz zu leiden.“ Dass ist der Kern, das Grundlegende. Zweitausend Jahre Kollaboration in einem Satz kondensiert, nicht schlecht. „Es liegt Schönheit darin, wie die Armen ihr Schicksal erdulden.“ Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, der Hunger verleiht den Hungernden Würde. Das sagte unser Fräulein, gut wie sie war.
Jetzt zeichnet sich ein Wandel ab: Kardinal Bergoglio, ebenfalls treu und gut wie Lassie, nur mit mehr Macht, ist es gelungen, eine im freien Fall befindliche Institution zu retten. Dank des perronistischen Papstes hat die katholische Kirche beim Kampf um den Sinn des Daseins wieder ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.
Durch ihn wird wieder in den Mittelpunkt gerückt, wie die Massen auf Gehorsamkeit dressiert werden, darauf, das Unerklärliche klanglos anzunehmen – das, was die „Wissenden“ sagen, diejenigen, die Macht über das Wissen haben.