Frau stirbt an Hunger

Es mußte nicht geschworen werden, darüber zu schweigen. Es wurde aber unter größter Verschwiegenheit erzählt. Es kann jedoch, das ist zu verstehen, darüber nicht geschwiegen werden. Das müssen viele erfahren. Auch wenn es jetzt schon eine Zeit her ist, das berichtet bekommen zu haben. Es kann aber bloß allgemein darüber gesprochen werden, um dem Menschen nicht zu schaden, der diesen tragischen Tod in seiner unmittelbaren Nähe nicht mehr für sich behalten konnte, ihm das Weitererzählen eine Hoffnung war, für sich einen Umgang mit diesem vermeidbaren Tod zu finden. Er ließ Kopien der Schriftstücke, die seinen Bericht belegen, liegen, vielleicht weil — —

Die Pensionistin starb an Hunger.

Seit längerem war sie  chronisch krank, und sie brauchte deshalb ständig Medikamente. Sie hätte Hilfe gebraucht. Aber sie wußte sich nicht zu helfen. Es half ihr auch niemand von sich aus. Und wohl aus Scham wandte sie sich auch an niemanden. Sie hatte ein Leben in Arbeit hinter sich. Das Wenige an Lohn war ihr aber immerhin ausreichend gewesen, nicht hungern zu müssen. Das Wenige in der Pension reichte irgendwann nicht mehr, um alle Lebenshaltungskosten weiter decken zu können. Sie kam weiter für das Notwendigste auf, am meisten von dem Wenigen verschlangen die Miete, die schmerzlindernden Medikamente. Aber schließlich reichte das ihr gesetzlich zuerkannte Wenige gar nicht mehr, um sich auch ausreichend ernähren zu können, täglich noch satt zu werden.

Sie verhungerte.

Ein Mensch, der in einem der reichsten Staaten der Europäischen Union verhungert, hat, das hilft ihm zwar nicht mehr, ein Recht auf einen Namen, auf ein Bild, auch wenn aus dem oben genannten Grund nicht seine wahre Identität genannt werden kann.

Vor Hunger verstarb in ÖsterreichDie Frau, die in diesem sehr reichen Land den Hungertod erleiden mußte, heißt Martina Kaphofer.