Wer klug ist, denkt nicht in Schwarz-Weiß
Gerhard Zeilinger ist klug, dermaßen klug, daß sein Artikel über ein Buch von Alexander Kluge nur eine Schlagzeile der höchsten Klugheitsstufe haben kann:
Wer klug ist, denkt nicht […]
Gerhard Zeilinger eröffnet seinen Artikel mit:
Was ist das nur für ein Buch? Es geht bunt darin zu, manchmal in geradezu kitschigen Farben, aber die Denkweise ist pures Schwarz-Weiß. Alexander Kluge — und mit ihm ein Teil der in die Jahre gekommenen Linke — hat sich in den vergangenen Jahren allzu eindeutig positioniert: gegen den Staat Israel, den es zu boykottieren gelte, und gegen eine westliche Hilfe der Ukraine, die selbst Mitschuld trage am gegenwärtigen Krieg. Als Pazifist, der sich über den Dingen wähnt, formuliert Kluge in diesem Buch einen ziemlich abstrusen Lösungsansatz: Man müsse der Produktion Krieg eine „Anti-Kriegs-Produktion“ entgegensetzen, die ist natürlich waffenlos. Man stelle sich vor, die Alliierten im Zweiten Weltkrieg hätten auch so gedacht.
Und Gerhard Zeilinger beendet seinen Artikel vom 4. Oktober 2025 in der Tageszeitung des österreichischen Medienstandards:
So weit wäre dem ja zuzustimmen, dass die Lehren aus den Katastrophen nie wirklich gezogen wurden, und uns auch die Aufklärung nicht weitergebracht hat. Aber Kluges Rezept, abgesehen vom Schwarz-Weiß seiner Wahrnehmung, bleibt Utopie. Der zerstörerischen Kraft des Krieges will er die alte „Bauhaus“-Idee von Weimar und Dessau entgegenhalten, wörtlich das „Bauhaus der öffentlichen Erfahrung“: eine „Neuproduktion von Geist und Praxis“ als „Gegenproduktion“, „Gegenerzählung“, „Gegenöffentlichkeit“ und „Gegenpraxis“ gegen die Produktion Krieg. Ein philosophisches Konstrukt, das gut gemeint sein mag, für die Wirklichkeit nur nicht taugt.
Fern von einer Fürrede für „Sand und Zeit“ von Alexander Kluge ist ihm, Gerhard Zeilinger, die Frage zu stellen, nein, ihm, Gerhard Zeilinger, kann nur zugestimmt werden: Für die Wirklichkeit tauge nur die Produktion Krieg, das würde Gerhard Zeilinger keinen „abstrusen Lösungsansatz“ nennen, sondern der Wirklicheit taugliche Lösung, die, darf hinzugefügt werden, zugleich der Wirklichkeit wirksamste Losung …
Und doch ist eine Frage zu stellen, wie wirksam wäre eine „Anti-Kriegs-Produktion“, wenn in diese Billionen über Billionen investiert und
nicht mehr, endlich nicht mehr in die Kriegsproduktion gesteckt, verschleudert, luxuriös verschwendet werden würde, und zwar gleichzeitig in allen Ländern dieser Welt? Stünde dann nicht eines Tages in einem Artikel über ein Buch, das für die Produktion Krieg eintritt:
Als Kriegende über den Dingen sich wähnend wird ein ziemlich abstruser Lösungsansatz formuliert: der Anti-Kriegs-Produktion müsse eine Produktion Krieg entgegengesetzt werden; ein philosophisches Konstrukt, das für die Wirklichkeit nur nicht taugt …
Gänzlich fern einer Fürrede für Alexander Kluge soll doch etwas aus „Sand und Zeit“ zitiert werden, ebenfalls mit Seitenzahlangabe, wie es von Gerhard Zeilinger durch seinen Artikel gelernt:
Heute benötigen wir das Projekt eines BAUHAUSES DER ÖFFENTLICHEN ERFAHRUNG. Wir müssen die Traditionen des klassischen Bauhauses in Weimar und Dessau fortsetzen. Aber dieses Bauhaus hatte die Modernisierung von Industrieprodukten, menschengerechter Architektur und den Städtebau im Blick. Als Anti-Kriegs-Produktion, die dem Dämon Krieg das Handwerk legt, reicht die bloße Fortsetzung dieser Überlieferung nicht aus. Die Notwendigkeit eines zweiten Projektes tritt hinzu. das ist das BAUHAUS DER SUBJEKTIVEN ERFAHRUNG; DAS BAUHAUS DER GEFÜHLE.
Alles das sind Perspektiven, die über die Arbeitskraft einzelner Autorinnen und Autoren, ja über die Kapazität unserer beschädigten Öffentlichkeit hinausgehen.
Nicht weniger als solche Neuproduktion von Geist und Praxis, also ein ERWEITERTES BAUHAUS, ist Anti-Kriegs-Produktion. Kriege sind etwas Produziertes — von niemandem und keinem Ziel beherrschte Produktion. Der Gegenpol sind nicht Wünsche und guter Wille wie im Pazifismus. Es geht um GEGENPRODUKTION: (1) Gegenöffentlichkeit, (2) Gegenerzählung, (3) Gegenpraxis, (4) Anti-Kriegs-Produktion. Wie es im Roman heißt: „Das ist ein weites Feld.“
Das ist auf den Seiten 7 und 8 zu lesen, es scheint auch nicht von einem „Pazifismus“ diktiert, „der sich über den Dingen wähnt“ …
Alexander Kluge zitiert mit „Das ist ein weites Feld“ Theodor Fontane, und wer von ihm auch nicht namentlich genannt wird: Robert Musil, der mit seinem „Mann ohne Eigenschaften“ möglicher Anreger für den Vorspruch in diesem Buch gewesen sein könnte:
„Die einzige Verlässlichkeit in zerrissener Zeit beruht auf der Beobachtung, dass auch die kriegerische Macht stolpert …“
Dieses Zitat, als wäre es ein wörtliches Zitat, steht zweimal im Buch, einmals als Vorspruch und einmal bereits auf dem Cover des Buches gleich unter dem Titel „SAND UND Zeit Bilderatlas“, wie zugehörig zum Titel.
Und weil Gerhard Zeilinger in seinem Artikel sich auch den „Punischen Kriegen“ widmet,
Auch den Punischen Kriegen, die mit der Vernichtung Karthagos durch die imperalistischen Römer endeten, widmet Kluge mehr bild- als wortreiche Aufmerksamkeit: von Hannibals Kriegselefanten bis zu römischen Pferden, die zum Zeichen des totalen Sieges die Ruinenlandschaft des zerstörten Karthagos umpflügen. Auf einer Doppelseite, das ein „Panzerwrack in der Ukraine zeigt, wird dann bildlich auf den aktuellen Zerstörungskrieg Putins Bezug genommen. Ein Statement gegen den Aggressor ist das nicht.
Auf Seite 35 schreibt Alexander Kluge:
Der Erste Punische Krieg hatte eine Ursache, die in keinem Verhältnis stand zur Dauer und Gewaltsamkeit der drei Kriege. Er begann wie aus einem Nichts. Die MAMERTINER, eine beutemachende Söldnertruppe auf Sizilien — heute vergleichbar mit der GRUPPE WAGNER, der Söldnerarmee von Jewgeni Wktorowitsch Prigoschin,
der infolge eines Konflikts mit seinem Auftraggeber umkam […]

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