Für eine Premiere war es ein schwacher und vor allem kurzer Applaus. Freilich, es gab einige Bravo-Rufe. Aber das Josefstadt-Publikum ist ein gesittetes Publikum. Vielleicht mehr noch, ein freundliches Publikum, jedenfalls dann, wenn es gilt, eine Premiere zu retten. Das Publikum hat durch die wenigen Bravo-Rufe den Abend als Premiere gerettet, in die Erinnerung wird sich dieses Bühnentun als eine Premierenvorstellung schleichen.
Das Publikum also hat in der Josefstadt die Premiere gegeben. Eine halbe Premiere. Zu einer ganzen Premiere gehören auch die Buh-Rufe. Die gab es nicht. Vielleicht, weil das Bühnentun derart langweilig war, daß es nur Gähnen verursachte, aber Gähnen ist im Theater nicht zu hören. Ob das Publikum beim Schlußapplaus durchweg gähnte, dafür hätte jedes einzelne Gesicht im Publikum betrachtet werden müssen, um das festzustellen zu können. Es wäre möglicherweise überhaupt spannender gewesen, während der gesamten Vorstellung die Gesichter im Publikum zu betrachten, das Publikum zu beobachten, statt auf die Bühne zu starren, auf der nichts passierte, was spannend zu nennen ist. Vielleicht hat sogar Helmuth Lohner weggeschaut – aus Scham aber, und das wäre ihm hoch anzurechnen, nicht in die Gesichter des Publikums -, um nicht sehen zu müssen, was er da auf der Bühne tut. Bei einem Schauspieler gehörte sich zu schreiben: was er da auf der Bühne spielt. Es muß eingestanden werden, seit Jahrzehnten nicht zu verstehen, wie Helmuth Lohner als Schauspieler sein Leben finanziell sichern konnte, als Statist, gut, die werden gebraucht, von einem Statisten wird auch nicht höchste Schauspielkunst erwartet. Seit Jahrzehnten aber nur blankes Erstaunen darüber, daß Helmuth Lohner als großer Schauspieler gilt.
Heute wird Helmuth Lohner in Kritiken der Tageszeitungen für seinen Valmont gelobt – ob die alle nicht in der gestrigen Vorstellung waren? Gestern mußte von Beginn weg, beim Zusehen des lohnerischen Tuns auf der Bühne, durchweg gedacht werden, wo ist der Mensch, der erklären kann, weshalb Helmuth Lohner als ganz großer Schauspieler, und nicht einfach als überaus gut beschäftigter Statist …
Elisabeth Trissenaar als Merteuil … vielleicht hat sie sich nur von Helmuth Lohner anstecken, sich auf die Höhe seines Tuns ziehen lassen, jedenfalls auch sie eine Garantin dafür, daß es allemal spannender gewesen wäre, in die Gesichter des Publikums zu schauen, um nicht sehen zu müssen, was sie da auf der Bühne tut.
Die dritte Person dieses Quartetts ist Heiner Müller, der Autor des Textes, der für das gestrige Bühnentun ausgewählt wurde, über dessen Schreiben einmal wer sagte: „saurer Kitsch“.
Und die vierte Person ist Hans Neuenfels, am Ende angekommen, am Ende in der Josefstadt angekommen. Von Eliabeth Trissenaar und von Helmuth Lohner kann zumindest gesagt werden, sie haben auf der Bühne etwas getan, aber was hat Hans Neuenfels als Tunleiter getan?
„Regie-Rebell“ Hans Neuenfels am Ende in der Josefstadt angekommen. In der Josefstadt ein „Regie-Rebell“. Am Ende. Vielleicht ist es gestern das gewesen: ein persönliches Endspiel von Hans Neuenfels, inszeniert aber ohne zu inszenieren. Ein Regie-Rebell endet in der Josefstadt. Das ist eine Klamotte.
Eine Klamotte war das gestrige Bühnentun allerdings nicht, auch wenn Hans Neuenfels meint, Quartett könne, habe Heiner Müller gesagt, auch als Klamotte gespielt werden. Dafür hätte es für den frauenspielenden Valmont allein schon und vor allem eine andere Besetzung – um große Namen zu nennen, die dem Josefstadt-Quartett geläufig sind – geben müssen: Peter Alexander oder Heinz Rühmann statt Helmuth Lohner.
Es gab für Hans Neuenfels, als er schweren Ganges zum Schluß auf die Bühne kam, keinen aufbrausenden Applaus, wie es übrigens auch weder für Helmuth Lohner noch für Elisabeth Trissenaar je einen aufbrausenden noch tobenden Applaus gab. So schleppend wie sein Gang ist, so schleppend war insgesamt das gestrige Bühnentun … Gehen und Denken, wie von manchen gesagt wird, vor allem von Thomas Bernhard, hängen zusammen, und das Denken von Hans Neuenfels scheint sehr gebrechlich schon geworden zu sein, unfähig nahezu dafür, neu zu denken, Quartett neu zu denken. Wie dem Programmheft zu entnehmen ist, rechnet es sich Hans Neuenfels hoch an, ältere Schauspieler genommen zu haben, aber er machte nur nach, was Heiner Müller selbst ihm schon vormachte, als er die Merteuil mit der vierundachtzigjährigen Marianne Hoppe besetzte, freilich in einer unvergleich spannenderen Konstellation, da er ihr einen um Jahrzehnte jüngeren Valmont zur Seite stellte. Und wie ist es um die Besetzung von Merteuil mit Elisabeth Trissenaar bestellt? Nun, ab einem gewissen Alter geht niemand mehr gerne ohne Vertraute außer Haus, ist der Schutz, den Angetraute bieten, das Wichtigste, wird die Sicherheit eines Bunkers zum Lebensentscheidenden, der vor allem Neuen schützende Bunker Josefstadt, der das Theater in der Josefstadt seit jeher ist, in dem nun – aufgetragen die Patinafarbe Moderne – auch gestrige „Regie-Rebellen“ ihr Ausgedinge …
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