Im dritten Bezirk in Wien wurde 1950 bis 1951 in der Kegelgasse ein Gebäude errichtet, mit der Hausnummer 44.
Mit einem Relief über dem Hauseingang: „Gänseweide“.
Zugeschrieben der Künstlerin Margarete Hanusch. Als Errichtungsdatum 1951 angegeben. Vor siebzig Jahren also.
„Gänseweide“.
Sechs Jahre nach dem Ende des nationalsozialistischen Massenmordstaates, sechs Jahre nach der Befreiung der gerade noch am Leben sich befindlichen Menschen aus dem Vernichtungslager Auschwitz war der Wille in Österreich groß, daß nichts an die grauenhaften Verbrechen erinnern darf. So ist es verständlich, daß in der Kegelgasse keine Gedenktafel angebracht wurde, sondern ein liebliches Relief mit Gänsen, die Auslöschung also der Tatsache, daß die „Gänseweide“ einst eine Hinrichtungsstätte für eine sehr lange Zeit war, auf der auch jüdische Menschen verbrannt, ermordet wurden.
Die Künstlerin kam diesem Ansinnen, daran nicht zu erinnern, nach.
Nicht daran zu erinnern, daß die „Gänseweide“ einst eine Hinrichtungsstätte war, auf der auch jüdische Menschen verbrannt, ermordet wurden. Es sollte nur diese eine Erinnerung geben, daß nämlich die „Gänseweide“ einmal eine Gänseweide war, auf der tatsächlich Gänse unschuldig weideten; als Eigenbild für Österreich, das sich ebenso unschuldig wie Gänse sehen wollte.
Und die Künstlerin kam dem vollends nach.
Ein Relief, das daran erinnert hätte, daß die „Gänseweide“ einst eine Hinrichtungstätte war, auf der auch jüdische Menschen ermordet wurden, hätte zu sehr daran erinnert, wie lange die Geschichte von Auschwitz besonders in Österreich zurückreicht; mit dem Verkauf Österreichs als unschuldige Gans wäre es augenblicklich vorbei gewesen.
Über Jahrhunderte der Antisemitismus in Österreich ein mörderischer …

Die Künstlerin wird wohl auch aus persönlichen Gründe nicht ungern dieser Darstellung der „Gänseweide“ mit friedlich unschuldigen Gänsen nachgekommen sein. Sie hätte etwa nach ihrer Teilnahme 1937 und 1938 an der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ im hitlerischen Massenmorddeutschland gefragt werden können …
So aber keine Fragen, die die Künstlerin zu beantworten hatte, dafür für sie weitere Aufträge im dritten Bezirk von Wien, etwa die „Blut-und-Boden“-Plastik „Die Familie“ fünf Jahre später, 1956, das war auch das Jahr, in dem der Rassengesetzejurist des massenverbrecherischen Staates des österreichischen Adolf Hitler den „zweithöchsten Orden der Republik“ Österreich erhielt …
Nun wird mit einer Ausstellung im Bezirksmuseum Landstraße im Amtshaus für den 3. Bezirk mit dem Karl-Lueger-Gedenkbrunnen davor an die Künstlerin der „Blut-und-Boden“-Plastik ehrend gedacht.

Von diesem besonderen Bezirksmuseum im Amtshaus für den dritten Bezirk sollte auch einmal erzählt werden, vielleicht im übernächsten Kapitel.
Gleich welche Künstlerin es war, die das Relief „Gänseweide“ tatsächlich schuf, eines bleibt unverändert, vor siebzig Jahren sollte kein Relief an die Hinrichtungsstätte, auf der auch jüdische Menschen ermordet wurden, erinnern. Es wäre das Eingeständnis gewesen, daß Österreich keine unschuldige Gans war, weder vor noch während der Auschwitzzeit.
Nach 1951, lange nach 1951, wohl sehr lange nach 1951 wurde dann doch eine Gedenktafel angebracht, nicht auf der Fassade des Hauses Kegelgasse 44, nicht statt des Reliefs „Gänseweide“, sondern auf der Fassade des Hauses Kegelgasse 40, die daran erinnert, daß die „Gänseweide“ eine Hinrichtungsstätte einst war, auf der auch jüdische Menschen ermordet, verbrannt wurden.

Es könnte nun gemeint werden, es hat gedauert, es hat in Österreich lange, sehr lange, sehr lange gedauert, bis es aufhörte, daß sich Österreich als unschuldige Gans der Welt zeigen will.
Auch noch im Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts.
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