Emigration ins Innere, in den Luxus

Die Schreibenden auf der Website „Projekt Gutenberg-DE“ sind alphabetisch geordnet. Nach Schreibenden unter A und B soll in diesem Kapitel ein unter C gereihter Schreibender vorgestellt werden, mit dem auf die Frage, ob es denn eine verzeihliche Nachlässigkeit sei, gewisse biographische Angaben zu verschweigen, bereits eine Antwort gegeben werden kann, zum Teil eine Antwort gegeben werden kann.

Unbeantwortet wird je bleiben, ob es verzeihlich ist. Gewiß ist nur eines, die Frage nach Verzeihlichkeit oder Unverzeihlichkeit ist eine vollkommen falsch gestellte Frage. Verzeihlich ist aus der Frage zu streichen.

Die Frage kann daher nur lauten, auf vier Fragen aufgeteilt: Darf es diese Nachlässigkeit noch geben? Warum diese Nachlässigkeit? Ist diese Nachlässigkeit tatsächlich nur eine Nachlässigkeit und wenn nein, zu welchem Zweck? Was „Projekt Gutenberg-DE“ konkret betrifft, kann mit einem Schreibenden mit dem Anfangsbuchstaben C beantwortet werden. Es ist keine Nachlässigkeit.

Carossa Hans

Es ist keine Nachlässigkeit, wenn auf „Projekt Gutenberg-DE“ von Hans Carossa lediglich zu erfahren ist:

Hans Carossa wurde am 15. Dezember 1878 in Tölz geboren und starb am 12. September 1956 in Rittsteig bei Passau. Er war ein deutscher Schriftsteller. Seine Arztpraxis gab er schließlich auf, um sich ganz seiner literarischen Betätigung widmen zu können.

Da es beinahe wortgleich ist, darf durchaus gesagt werden, zumal von „Projekt Gutenberg-DE“ bei anderen Schreibenden selbst als Quelle für dessen biographischen Angaben dieses digitale Nachschlagwerk genannt wird, es ist von dieser Enzyklopädie übernommen, zitiert nach dieser, in der der Eintrag über Hans Carossa derart beginnt. Nur das wird von „Projekt Gutenberg-DE“ übernommen, alles, was sonst noch über Hans Carossa im Eintrag steht, wird nicht übernommen, wird also verschwiegen. Zu verschweigen ist keine Nachlässigkeit, sondern, wer verschweigt, entscheidet sich bewußt für das Verschweigen.

Er, Carossa, selbst aber hüllte sich nicht in Schweigen, während Jahrzehnte später, wie zu lesen ist am 11. Oktober 2023 auf der webseitigen „weltweit größte deutschsprachige Volltext-Literatursammlung kostenlos für alle an: für Schüler, Lehrer und Studenten, für Menschen“ —

Sobald der Name Hans Carossa fällt, fällt sofort unweigerlich der Begriff „Innere Emigration“ …

Ein „Magazin für politische Kultur“ der besonderen Art etwa weiß augenblicklich,

als was der heutige Umgang mit Menschen wie Hans Carossa zu benennen ist:

„Cancel Culture“ … und die Bewahrung des ehrenvollen Ansehens und Gedenkens von Menschen wie Hans Carossa ist menschgemäß nicht ohne eine gewisse Verschwiegenheit —

Es gibt heutzutage auch die Bemühungen für die „neue Würdigung der Inneren Emigration“ von Menschen mit einer Gesinnung der besonderen Art …

Was zur „Inneren Emigration“ einfällt, ist das Wort „Luxus“. Auch und gerade zur „Inneren Emigration“ des Hans Carossa. Was für eine luxuriöse Emigration.

Als Emigrant 1933 in das Innere von Goebbels in die „Deutsche Akademie der Dichtung“ berufen zu werden, es aber abzulehnen.

Als Emigrant 1941 zum „Präsidenten der nationalsozialistischen ‚Europäischen Schriftsteller-Vereinigung‘ ernannt zu werden. „Auf Bitten von Joseph Goebbels.“

Als Emigrant 1944 von „Hitler persönlich in die sogenannte Gottbegnadetenliste“ aufgenommen zu werden.

Als Emigrant „mit Erfolg Kontakte zum Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels“ nutzen zu können, „um Alfred Momberts Entlassung aus dem Konzentrationslager Gurs und die Genehmigung seiner Ausreise ins Schweizer Exil zu erwirken.“ Auch „erfolgreich für die Freilassung von Peter Suhrkamp“ sich einsetzen zu können.

Die Emigration in das Innere, ein Luxusleben.

Als Emigrant 1938 den „Goethepreis der Stadt Frankfurt“ verliehen zu bekommen.

Als Emigrant 1938 zum „Ehrendoktor der Universität zu Köln“ ernannt zu werden.

Als Emigrant 1939 den „San-Remo-Preis“ im gesinnungsgemäß verbündeten Ausland verliehen zu bekommen.

Es gibt noch eine Enzyklopädie, die sich gesinnungsgemäß als eine „alternative“ versteht, von der über dieses Luxusdasein in der Emigration im Inneren zu erfahren ist:

Carossa wurde als Sohn eines Landarztes mit Vorfahren aus Oberitalien geboren. Im Ersten Weltkrieg als Militärarzt verwundet, ließ er sich anschließend in den 1920er Jahren mit einer Praxis in München nieder. Er wurde einer der erfolgreichsten Schriftsteller der Weimarer Republik, geprägt von einem katholischen Humanismus. In der BRD wurde seine Selbstdarstellung, er sei unter der Regierung Adolf Hitler in eine innere Emigration gegangen, akzeptiert. Tatsächlich hatte er auflagenstarke Werke veröffentlicht und 1942 auch eine Hymne auf den Reichskanzler verfaßt. 1938 wurde er im Deutschen Reich mit dem Frankfurter Goethepreis, 1939 in Italien mit dem San-Remo-Preis geehrt. Auf Bitten von Joseph Goebbels übernahm er 1941 die Präsidentschaft des Europäischen Schriftstellerverbandes.[1]

Die Emigration in das Innere, in den Luxus, eine Erfolgsgeschichte der Integration, zu der beide Seiten beitrugen, die den Emigranten Hans Carossa Aufnehmenden und der Emigrant Hans Carossa, der wußte, was sich gehört, der wußte, was für ein Verhalten von einem Emigranten erwartet wird, Emigrierende wissen, für die Willigkeit zur Integration braucht es Beweise, und wie belegen Emigrierende ihre Bereitschaft zur Integration – am besten durch eine „Hymne auf den Reichskanzler“ …