„Zeit im Bild“

„Ich hätte gerne Tantiemen von der ZiB für den Titel! Dabei ist der Name wirklich nichts Besonderes. Ich habe ihn mir damals kaum vorzuschlagen getraut, weil er so altvaterisch klingt. Fernsehchef Freund meinte: Na ja, gut ist er nicht, aber lassen wir ihn einstweilen einmal. Und wie man sieht: Ein österreichisches Provisorium hält lange.“
– Teddy Podgorski: Interview in der Wiener Zeitung, Februar 2012

Die Tantiemen, wenn der 1936 geborene Teddy Podgorski diese je bekommen hätte, wären ihm nicht geblieben, er hätte sie gleich weiter überweisen müssen, an die Illustrierte „Zeit im Bild“, die ab 1946 in der sowjetischen Besatzungszone und dann in der DDR erschien. Aber auch der „Zeit im Bild“ wären die Tantiemen nicht geblieben, die „ZiB“ hätte sie ebenfalls gleich weiter überweisen müssen, an „Die Zeit im Bild“, illustrierte Wochenschrift ab 1903 …

Als in diesem März 2024 Teddy Podgorksi starb, mußte augenblicklich an die „Zeit im Bild“ gedacht werden, in der ab dem 1. Jänner 1914 „Der Unteran“ von Heinrich Mann in Fortsetzung erschien, aber nur bis zum 13. August 1914, der Kriegsausbruch verhinderte einen vollständigen Abdruck des „Untertanen“ in der „Zeit im Bild“ als Fortsetzungsroman.

Es ward aber auch gleich wieder vergessen, bis zum Juli ’24, als auf der Konzernplattform X einer Lesung aus dem „Untertanen“ zugehört wurde.

Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt. Ungern verließ er im Winter die warme Stube, im Sommer den engen Garten, der nach den Lumpen der Papierfabrik roch und über dessen Goldregen- und Fliederbäumen das hölzerne Fachwerk der alten Häuser stand. Wenn Diederich vom Märchenbuch, dem geliebten Märchenbuch aufsah, erschrak er manchmal sehr. Neben ihm auf der Bank hatte ganz deutlich eine Kröte gesessen, halb so groß wie er selbst! Oder an der Mauer dort drüben stak bis zum Bauch in der Erde ein Gnom und schielte her!

Der Mann in seinem Garten, auf seiner Bank, liest seinen „Untertanen“, in Fortsetzung.

„Hurrah!“, schrie Diederich, denn alle schrien es; und inmitten eines mächtigen Stoßes von Menschen, der schrie, gelangte er jäh bis unter das Brandenburger Tor. Zwei Schritte vor ihm ritt der Kaiser hindurch. Diederich konnte ihm ins Gesicht sehen, in den steinernen Ernst und das Blitzen; aber ihm verschwamm es vor den Augen, so sehr schrie er. Ein Rausch, höher und herrlicher als der, den das Bier vermittelt, hob ihn auf die Fußspitzen, trug ihn durch die Luft. Er schwenkte den Hut hoch über allen Köpfen, in einer Sphäre der begeisterten Raserei, durch einen Himmel, wo unsere äußersten Gefühle kreisen. Auf dem Pferd dort, unter dem Tor der siegreichen Einmärsche und mit den Zügen steinern und blitzend, ritt die Macht! Die Macht, die über uns hingeht und deren Hufe wir küssen! Die über Hunger, Trotz und Hohn hingeht! Gegen die wir nichts können, weil wir alle sie lieben! Die wir im Blut haben, weil wir die Unterwerfung darin haben! Ein Atom sind wir von ihr, ein verschwindendes Molekül von etwas, das sie ausgespuckt hat! Jeder Einzelne ein Nichts, steigen wir in gegliederten Massen als Neuteutonen, als Militär, Beamtentum, Kirche und Wissenschaft, als Wirtschaftsorganisation und Machtverbände kegelförmig hinan, bis dort oben, wo sie selbst steht, steinern und blitzend! Leben in ihr, haben teil an ihr, unerbittlich gegen die, die ihr ferner sind, und triumphierend, noch wenn sie uns zerschmettert: Denn so rechtfertigt sie unsere Liebe! … Einer der Schutzleute, deren Kette das Tor absperrte, stieß Diederich vor die Brust, dass ihm der Atem ausblieb; er aber hatte die Augen so voll Siegestaumel, als reite er selbst über alle diese Elenden hinweg, die gebändigt ihren Hunger verschluckten. Ihm nach! Dem Kaiser nach! Alle fühlten wie Diederich. Eine Schutzmannskette war zu schwach gegen so viel Gefühl; man durchbrach sie. Drüben stand eine zweite. Man musste abbiegen, auf Umwegen den Tiergarten erreichen, einen Durchschlupf finden. Wenige fanden ihn; Diederich war allein, als er auf den Reitweg hinausstürzte, dem Kaiser entgegen, der auch allein war. Ein Mensch im gefährlichsten Zustand des Fanatismus, beschmutzt, zerrissen, mit Augen wie ein Wilder: Der Kaiser vom Pferd herunter, blitzte ihn an, er durchbohrte ihn. Diederich riss den Hut ab, sein Mund statt weit offen, aber der Schrei kam nicht. Da er zu plötzlich anhielt, glitt er aus und setzte sich mit Wucht in einen Tümpel, die Beine in der Luft, umspritzt von Schmutzwasser. Da lachte der Kaiser. Der Mensch war ein Monarchist, ein treuer Untertan! Der Kaiser wandte sich nach seinen Begleitern um, schlug sich auf den Schenkel und lachte. Diederich aus seinem Tümpel sah ihm nach, den Mund noch offen.

Es ist nicht von Heinrich Mann, das der Mann auf seiner Gartenbank liest, er liest aus einem Buch, dessen Titel ebenfalls „Untertan“ enthält, aus einem Buch, das nicht in der „Zeit im Bild“ abgedruckt wurde, sondern von einem Verlag vertrieben, dessen Qualitätsnamen compacte Mannen wie Jürgen Elsässer auf ihrer Brust als Orden tragen.

Und dann fällt doch noch einmal Teddy Podgorski ein, in seiner Zeit, in der er noch berufstätig war. Es gab damals eine Sendung mit einer Signation, in der über lange Zeit ein recht lieb und freundlich lächelnder Mann gezeigt wurde — in der Art, wie in diesem Land ein jeder Mensch die Macht sich erträumt — mit seinem Modigruß.