In den letzten Wochen durfte allenthalben von einer rührenden Sorge um Menschen in Gefängnissen gelesen werden, wie es Menschen wohl in Haft gehe, was Menschen den ganzen Tag in Haft machen würden, was Menschen in Gefängnissen tun dürfen, was sie nicht tun dürfen, was sie in Haftanstalten zu essen bekommen würden, ob sie sich ihre Haft erleichtern könnten und so weiter und so fort. Menschen, die bereits in Haft sind, Menschen, die kurz vor ihrem Haftantritt stehen, wünschten sich wohl alle, Karl-Heinz Grasser zu heißen, denn dann würde ihnen allen ebenfalls diese rührende Sorge zuteil werden, aber sie heißen nicht alle Karl-Heinz Grasser, und vor allem, sie alle waren nicht der Schwiegereltern liebster Finanzminister, dem nun auf so einzigartige Weise diese rührende Sorge zuteil wird.
Der Sorge rührendste ist wohl jene von Irmgard Griss, von ihr geäußert in ihrem Gastkommentar am 16. Mai 2025 in der Tageszeitung „Kleine Zeitung“, ihr hehres Ansinnen, einen Menschen vor dem Gefängnis zu bewahren, ihn in seinem bequemen Zuhause in gemütlicher und vertrauter Atmosphäre … Herzerweichend, wie sie sich einfühlen kann, was ein Mensch an Energie noch aufbringen könne, der so tief gefallen sei, es werde für alle ein warnendes Beispiel sein, die in Gefahr seien, „ihrer Gier nachzugeben und ihre Position dazu zu missbrauchen, sich zu bereichern“ —
Es sind im Wesentlichen zwei Zwecke: Spezialprävention und Generalprävention. Der Verurteilte soll davon abgehalten werden, weitere Straftaten zu begehen. Und auch auf die Allgemeinheit sollen Strafen abschreckend wirken. Durch Strafen soll bewusst gemacht werden, dass mit harten Konsequenzen rechnen muss, wer jemanden verletzt oder gar tötet, sich an fremdem Eigentum vergreift oder sich sonst strafbar macht.
Abgesehen davon, stellt sich hier die Frage, ob jemand, wie Karl-Heinz Grasser, aus spezialpräventiven oder generalpräventiven Gründen eingesperrt werden muss. Ich glaube das nicht. Wer so tief fällt, wird kaum die kriminelle Energie für weitere Straftaten aufbringen, auch wenn er nicht ins Gefängnis muss. Und auch bei Vollzug der Strafe nur oder hauptsächlich durch eine Fußfessel wird sein Absturz ein warnendes Beispiel für alle sein, die in Gefahr sind, ihrer Gier nachzugeben und ihre Position dazu zu missbrauchen, sich zu bereichern.
Ja, das Gefängnis, ja die in einer Haftanstalt abzusitzende Strafe hatte bisher, wie muß darin Irmgard Griss zugestimmt werden, nicht „abschreckend“ gewirkt, erst die „harten Konsequenzen“ durch den Aufenthalt im vertrauten Eigenheim mit einem vielleicht nicht nach jedem Menschen modischen Geschmacke zu tragenden Fußketterl wird größtmöglich „abschreckend wirken“. Darüber hinaus, nichts kann dermaßen abschreckend wirken als die Beibehaltung der eigenen Wohnadresse, wie wurde doch bisher regelrecht dazu eingeladen, Straftaten gleich welcher Art zu begehen, allein durch die Bekanntgabe der neuen Adresse Stein, Graz-Karlau, Justizanstalt Innsbruck …
Wie viele der Menschen, die bereits in einer Justizanstalt einsitzen, die kurz vor ihrem Haftantritt stehen, jetzt wohl einen Eid darauf ablegen würden, niemals würden sie eine Straftat begehen, stünden ihnen derart harte Konsequenzen bevor, mit einem Fußketterl in den eigenen vier Wänden …
Aber sie freuen sich, ob in Wiener Neustadt, am Mittersteig , in Wien-Josefstadt und so weiter und so fort, über die nun hereinbrechende rührende Sorge um sie, wie es ihnen denn in den Anstalten ergehe, und sie dürften gegen ihren Bruder wohl dankbar sein, der erst die Sorge ausgelöst, daß sie endlich wahrgenommen werden.

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