Land unter Trachten

„Tracht ist Uniform“ schrieb vor einigen Tagen die Umsonstzeitung heute, allerdings eingeschränkt auf  Tracht sei die Party-Uniform Nummer 1, noch die Uniform der Feste, die sonst nur halb so lustig, halb so urig -, allerdings bereits ungeschränkt: die Tracht ist absolut alltagstauglich

Die Umsonst schränkt die trachtenuniformierte Party noch räumlich und zeitlich ein -, allerdings scheint inzwischen das ganze Land eine einzige Trachtenparty geworden zu sein -, wenn an die christschwarzen Trachtner und Trachtnerinnen voran … Es gesellen sich, besser, drängeln sich in der erste Reihe vor allem die freiheitlichen Trachtner

Welch ein Glück oder welch ein Unglück, 2012 in Österreich zu leben. Weil, es muß nichts Neues geschrieben werden, es muß nicht die Zeit damit verplempert werden, eigene Formulierungen dafür finden zu müssen, was Anton Kuh bereits 1928 schrieb, und der sich ebenfalls nicht die Mühe machenn wollte, alles selbst formulieren zu müssen, was zu Österreich damals zu heute zu sagen war -, der Unterschied höchstens darin, daß es damals um andere Gesetze und Verordnungen ging, und auch wieder nicht, denn in irgendeiner Form ist Überwachung stets dabei. Anton Kuh überließ es also Franz Blei:

Ich beginne mit den Worten eines andern. Nachdrücklich sei die Wiener Öffentlichkeit auf das Feuilleton verwiesen, das Franz Blei kürzlich im „Berliner Tageblatt“ über Wien schrieb. Ich weiß, daß man diesen Schriftsteller gerade in seiner Wiener Heimat wenig kennt und schätzt. Ich weiß auch die Gründe: man ist hierzulande in aktuellen Bildungsdingen auf die Gnade und Informiertheit der Mittler angewiesen; und Blei genießt bei denen keine Sympathie. Nun, ich lasse hier einige Zeilen des Berichtes folgen:

„Und eine Bundeshauptstadt, eines Bundes provinzialer Landschaften, ohne sonderliches, sondern von allgemein alpinen, bauernhaftem Gepräge. Mit den ländlichen Regenten dieses kleinen Bauernstaatswesens zog ein gar nicht in das Format und die Vergangenheit passender Geist in diese Weltstadt und richtete sich da ein. Etwas mit dem Haß und der Verachtung, die der bäuerliche Mensch immer gegen die Stadt und die Städter hat, die er von der Sommerfrische her zu kennen glaubt, und verachten zu müssen glaubt, weil sie sich ‚wurzen‘ lassen.

Dieser Bundesgeist, der nach dem Lande riecht, kann man in Wien überall dort wahrnehmen, wo der Bund verwaltet, sei es in Justiz, sei es in Wehrmacht, sei es das Bildungswesen. Es ist das ein provinzieller etwas stark hinterweltlerischer Geist, der so wenig Geist ist, daß er selbst seinen eigenen noch für zu viel hält. Drastisch gesprochen könnte man sagen, die tierärztliche Hochschule erscheint diesem Geiste wichtiger als die menschenärztliche, weil man vom Gesundbeten der Bäuerin überzeugter ist als vom Gesundbeten der Kuh.“

Wir gehen rigorosen Zeiten entgegen. Und es wird nicht lange dauern, daß man einen neuen Franz Stelzhammer, der den Vers zu dichten wagte: „Ein Östereicher bin i/Aus’m Österreicher Land/Das is zwar ka Unglück/Aber do is a Schand‘!“ im Zeichen der „Rechtsangleichung“ wegen Hochverrats zu fünf Jahren Zuchthaus verdonnert!

Die Woche trug Anton Kuh für seinen Artikel eine Reaktion in Österreich auf eine 700 km entfernte Kriminalbegebenheit zu, die österreichische Reaktion also auf einen Fall in Deutschland, wobei die Angelegenheit, bei der es um Jugend und deren Verführbarkeit ging, selbst nicht von Belang ist, sondern die damalige scharfe Reaktion in Österreich, weil sie vom heutigen Österreich ebenfalls bekannt ist … Es kann darin kein Fortschritt gesehen werden, daß im heutigen Österreich weiter als bis nach Deutschland gesehen wird, sogar bis Norwegen, denn im heutigen Österreich hinkt die Reaktion dem Agieren in Norwegen nach, wie seinerzeit die Reaktion in Österreich den Überlegungen in Deutschland nachhinkten, wo „sogar in rechtsstehenden Blättern die Frage aufgeworfen wurde, ob sich nicht Sport, Studium, Familienzucht, väterliche Kontrolle und staatliche Sittenüberwachung zum Schluß als untaugliche Mittel erwiesen“ … Die Reaktion in Österreich hinkt wohl je, ganz gleich ob auf eine belanglose Kriminalbegebenheit oder auf 77 Morde, nach, weil es eben ein reaktionäres Land ist, und aus diesem Grunde stets seine Reaktion zum Anlaß nimmt, mit weit Entferntem seine Reaktion immer endlich ungeniert wieder ausleben zu können …

Diesen Trachtengeist in der Bundeshauptstadt verströmen nicht nur jene, die in Tracht mit dem Handy telefonieren, das sie als einziges Accessoire der Moderne an ihnen zulassen und an sich heranlassen, sondern schon auch jene, die noch nicht, bis jetzt noch nicht in Tracht gesehen wurden, aber als Mittler ihres Geistes beispielsweise die Umsonst bevorzugen und verhätscheln …

Anton Kuh, Franz Blei und nicht zu vergessen, Hugo Bettauer, der in den 1920er Jahren Wien beschrieb, wie Wien als Stadt in Tracht hergerichtet und zugerichtet war … Und an Thomas Bernhard ist zu erinnern, weil er sich irrte, als er schrieb, in Österreich sei die gegenwärtige Situation noch viel schlimmer als vor fünfzig Jahren, und er bezog sich damals auf das Jahr 1938. Denn schlimmer als das Jahr 1938 konnte kein Jahr in Österreich nach 1945 gewesen sein, auch nicht das Jahr 1988, am Heldenplatz. Aber ein jedes Jahr nach 1945 war schlimmer als die 1920er Jahre, und die gegenwärtige Situation in Österreich ist noch einmal eine viel schlimmere, nicht nur weil alles über die 1920er Jahre gewußt werden müßte, und auch darüber, was danach aus diesen Jahren kroch, sondern auch deshalb, weil nicht einmal mehr die Mühe unternommen wird, für die Politik Menschen zu gewinnen, die wenigstens das geistige Niveau des Jahres 1928 … Vor allem das rechtsstehende Lager beleidigt permanent durch ein Personal, das 1928 nicht einmal eine Anstellung gefunden hätte: weder in einer Partei noch in einem Medium …

Wenn die Party „mit den ländlichen Regenten“ vorüber sein wird, was wird dann sein, was wird kommen? Was wird geblieben sein? Einzig die Tracht -, dann aber nur mehr als reine Uniform, der der Alltag absolut unterworfen sein wird …

Ein Gedanke zu „Land unter Trachten

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