Kirchstetten, am 29. September, ein weltberühmter Dichter stirbt

Bald werden es, am 29. September 2023, fünfzig Jahre her sein, daß der weltberühmte Dichter verstorben ist. Die Marktgemeinde Kirchstetten im Niederösterreichischen, in der er seine Sommer verbrachte, auf deren Friedhof er begraben ist, wird ihm wohl zu diesem Anlaß, der Wiederkehr seines fünfzigsten Todestages am 29. September 1973, recht groß feiern, von überall her werden sie wohl nach Kirchstetten eilen, um seiner zu gedenken, die Männer und Frauen,

voran wohl die Frauen und Mannen der niederösterreichischen Macht des Normaldenkenden,

an seinem Grabe, ihn zu ehren, werden sie zusammenführen, was zusammengehört, in seinem Sinne vereinen das Prä und das Post —

An diesen fünfzigsten Todestag muß gedacht werden. Als wieder einmal, in diesem Juli 2023, in einem Buch, das nicht in Niederösterreich, das nicht in Österreich geschrieben wurde, sein Name gelesen wurde, diesmal in „Der Schatten im Exil“ von Norman Manea, einem Schriftsteller aus Rumänien, den Normaldenkende mit einer Kindheit in einem Lager in der Ukraine beschenkten; ein recht größeres Geschenk kann einem Kind wohl nicht gemacht werden, als sich, befreit von äußeren Einflüssen, ganz auf seinen zukünftigen Beruf eines Schriftstellers konzentrieren zu dürfen.

Wie oft in all den letzten Jahrzehnten wurde sein Name, wurden Verweise auf ihn, wurden Zitate von ihm in Büchern gelesen, die allesamt weder in Niederösterreich noch in Österreich geschrieben wurden, in wie viel gesehenen Filmen wurden von ihm Gedichte rezitiert, die allesamt nicht in Niederösterreich noch in Österreich produziert wurden, daß es tatsächlich die Wahrheit ist, er, der in Kirchstetten Begrabene, ist weltberühmt, nicht nur in der Sprachwelt seiner Herkunft, sondern gänzlich unabhängig von Sprache und Land, wer immer zu lesen und zu schreiben vermag, gleich in welcher Sprache, gleich wo auf dieser Welt, ist der in Kirchstetten begrabene Dichter nach wie vor ein Dichter, auf den zu beziehen, auch fünfzig Jahre, nach seinem Tod kein Fehl ist, so meinen es jene, die weltweit —

So viele Bücher in denen
sein Name steht und
von ihm keines
im Regal — rätselhaft
wie ein Gedicht enträtselbar

Es heißt, er habe sich vom Preisgeld das Haus in Kirchstetten gekauft, vom Geld des Preises nach einem Künstler, den Jahrzehnte später ein Schriftsteller auf dem Lande, dem Häuser zu erwerben eine Leidenschaft war, ablehnte; müßig zu spekulieren, ob er Jahrzehnte zuvor den Preis aus den Mordhänden der „üble[n] Verführer“ abgelehnt hätte, er sich ebenfalls hätte, wie es im Gedicht des Weltberühmten heißt, das heute noch auf der Website der Gemeinde Kirchstetten zu lesen ist, einwickeln lassen, durch das Anbot, damit auf dem Lande Haus um Haus …

Eines ist gewiß, der „Begnadete“ hat den Preis nach einem Tonkünstler nicht abgelehnt, er hat, heißt es, sich auch ein Haus in Kirchstetten gekauft, wo er eingegraben wurde. They buried you like a loved old family dog. Dich wie einen geübten alten Familienhund begrub. In dieser Übertragung steht es auf der Website des Dorfes Kirchstetten. Es gibt dafür auch eine andere, und für den „Begnadeten“ wohl zutreffendere Übersetzung, von Johannes W. Paul: Wie den geliebten alten Hofhund eingrub.

Mit diesem Gedicht ist der Weltberühmte in kirchstetterischer Nachbarschaft seines Grabes in die niederösterreichische und also in die österreichische Falle gegangen, es wurde ihm in Kirchstetten und um Kirchstetten herum erzählt, was alle in Kirchstetten und um Kirchstetten herum und also in ganz Österreich vom „geliebten Hofhund“ nur erzählt werden wollte, nur das, was alle nur hören wollten, nur das, worauf sich alle verständigten, was vom „Hofhund“ nur zu erzählen ist. Und sie werden den Weltberühmten vielleicht auch mit Literatur über den „Hofhund“ versorgt haben, die er dann für dieses Gedicht auch verwenden konnte, mit dem heute noch Kirchstetten hausieren gehen kann. Take you in, who to Goebbels‘ offer of culture countered – in Ruah lossen?

Und gerade im Angesicht der kürzlichen Verweigerung der Annahme der „ORF-Petition“ durch die ÖVP kann auf die Anekdote aus dem Bundesrat vom 22. Juli 1966 nicht verzichtet werden, diese wiederzugeben:

Von der Presse will der Rundfunk nichts anderes als sachlich fundierte Information ihrer Leser und natürlich auch objektive Kritik. Vom Staat und von den Parteien wünschen wir uns die Erfüllung einer Bitte. Es ist heute hier so viel von Alleinherrschaft und Diktatur gesprochen worden; ich darf also zu einer echten Diktatur hinüberwechseln: Es war etwa im Jahre 1938 oder 1939, da wurde der heute schon einmal zitierte unsterbliche Josef Weinheber nach Weimar zu einem Dichtertreffen befohlen. Weinheber – nomen omen: ein Freund des guten Weines – war schon in sehr beschwingter Stimmung. Er war immer ein mutiger und bekenntnisfreudiger Mann von allergrößter Zivilcourage. Er wurde vom allmächtigen Kulturpapst Goebbels angesprochen, und das Gespräch ist als authentisch überliefert: „Was könnte man tun, Herr Weinheber, um die Dichtung in der Ostmark“ – sozusagen – „auf Trab zu bringen ?“ Und Weinheber – das ist ein Männerstolz vor Königsthronen – hat ihn aus verschwimmenden Augen angeschaut und hat dann gesagt: „Herr Minister, in Ruah lassen, in Ruah lassen!“ (Allgemeine Heiterkeit.) Ich möchte auch diese Bitte also an Regierung, an Politik und Parteien richten: Den Rundfunk „in Ruah lassen, in Ruah lassen“, dann wird er schon ein Instrument sein, das uns allen nützt und dem Staat auch im Ausland nur Ehre machen wird.

Woher Bundesrat Hofmann-Wellenhof von der Volkspartei dieses „authentisch überliefert[e Gespräch]“ hatte? Vielleicht aus „Bekenntnis zu Josef Weinheber“, jedenfalls klingt es ganz nach dem Buch von Heinrich Zillich, in dem mit Heiterem

Als Goebbels bei einem Bankett sprach, hörte ihn Weinheber, die Hand unterm Kinn, aufmerksam, obschon vom Weine beschwingt, an. Gefiel ihm ein Satz, rief er wohlwollend: »Bravo, Josef!,« rief es immer wieder […]. Plötzlich aber trat ein großes Erstaunen in Weinhebers Gesicht, von einer Erleuchtung heimgesucht, hob er das Haupt, blickte herrscherlich rundum und verkündete laut: »Ja, aber – der Josef, der bin ja i!«

vom „Hofhund“ der Vergangenheit Verklärung ganz nach österreichischem Geschmacke …  

Spätestens mit der zitierten Rede des Bundesrates der ÖVP ist es unmißverständlich: der Weltberühmte in diesem Kapitel ist nicht Josef Weinheber, der auf seinem Grund, irgendwo im Garten, vor oder hinterm Haus, eingegraben ist —

der Weltberühmte ist Wystan Hugh Auden