Beim Lesen „Ruhe in der Unruhe“ in der Wochenendausgabe der Tageszeitung des österreichischen Medienstandards an diesem letzten Sonntag im Mai 2024 setzte rasch eine Ablenkung ein, ein Abschweifen zu einer Erinnerung an einen Abend vor Jahren am Radetzkyplatz, als von Franzobel, so hell erleuchtet war der Schanigarten, eine Falte gesehen wurde … nun beim Lesen seines Essays in Erinnerung an diesen Abend stellt sich von selbst die Frage ein, die menschgemäß sonst gestellt wird, wenn ein Mensch beispielsweise der Literatur gestorben ist, was wird von diesem Menschen bleiben, aber es eine Frage, die durchaus und vielleicht klugerweise schon zu Lebzeiten eines sogenannten schöpferischen Menschen gestellt werden sollte, und Franzobel mit seinem Essay eignet sich dafür hervorragend, damit zu beginnen, zu fragen, bei Lebzeiten von Franzobel zu fragen, was wird von ihm bleiben —
Und weil es eine Frage zu Lebzeiten ist, was wird von ihm bleiben, kommt von selbst die Frage hinzu: Was kann aus ihm noch werden? Darum ist es schlecht bestellt, mit einem Blick in seinen Essay …
[W]er im Ukrainekrieg die russsische Seite verstehen will, ist ein Putin-Troll, und wenn man die Folgen der Migration anspricht, gilt man ungeschaut als Rechtsradikaler.
Als Aschermittwochschreiber wird der kleine Gebirgsjäger Franzobel nicht brauchen können, das schreibt er sich schon lange selbst, und bei so einem wie den oben zitierten Satz könnte gemeint werden, er, Franzobel, schreibe vom Gebirgsjäger ab.
Es ist nicht nur dieser Satz in seinem Essay, es könnte sein Essay Satz für Satz durchgegangen werden, ein jeder Satz aufgelöst werden, bis von keinem Satz etwas überbleibt, damit wäre aber zugleich der Eindruck vermittelt, von ihm bliebe doch etwas, zum Beispiel sein Essay, sein Essay bleibt auch — zum Vergessen. Natürlich schreibt Franzobel nicht dem Gebirgsjäger nach, sein Koordinatensystem ist vielleicht ein in Villach weltberühmter Filosof …
Mehrmals in seinem Essay erwähnt er Grönland, oh Grönland, das „ein Land des Weinanbaus“ einst, jedenfalls für einen, der abgelöst wurde und ihm nun vielleicht ein Sehnsuchtsland, einst in Grönland als Weinbauer —
Viele Menschen wissen nicht, wie sie Minderheiten benennen sollen, ohne als Rassist zu gelten. In Grönland ist das Wort Eskimo zum Beispiel kein Zeichen für koloniale Ignoranz […]
Wie in Österreich, in dem zum Beispiel das Wort „Zigeuner“ kein Zeichen für koloniale Ignoranz ist, wer kann in diesem Portschyland Rassistin genannt werden, wenn sie bloß ein Wort verwendet, mit dem sich manche Menschen dieser „Minderheit“ gar selbst benennen, und, ach die armen Menschen, die nicht wissen, wie sie Minderheiten benennen sollen, kann denn „Rassist“ überhaupt ein Vorwurf sein, ist doch „Rasse“ ein Wort der österreichischen Bundesverfassung …
Viel schreibt Franzobel von Orientierungslosigkeit, ja wie wahr, wohin das Orientierungslose führt, immer schon führte, eindrücklich führt er das vor, etwa in den „Dreißigjährigen Krieg“ …
Ein Satz muß doch noch zitiert werden, als Zeugnis für seinen Essay:
Mit der Entwicklung atomarer Waffen kam die Friedensbewegung.
Was für ein Segen die „Entwicklung atomarer Waffen“ doch war, ohne diese Entwicklung hätte vor zehn Jahren nicht zweihundert Jahre Friedensbewegung gefeiert werden können, ohne diese Entwicklung hätte vor einhundertfünfundreißig Jahren nicht „Die Waffen nieder! veröffentlicht werden können, geschrieben von einer Österreicherin, die damit einen Weltbestseller schrieb, ohne die „Entwicklung atomarer Waffen“ hätte es beispielsweise 1914 keine Weltfriedenskonferenz gegeben, ohne diese Entwicklung wäre 1913 der Friedenspalast in Den Haag nicht fertiggestellt worden, der heute Sitz des Internationalen Gerichtshofs …
Sein „gescheiterter Künstler“, auch das wieder vom „gescheiterten Künstler“ muß Franzobel für seinen ihm bekannten Österreicher anführen, hingegen schrieb nur einen „Bestseller“, aber wie viele Direktiven waren, als er endlich dazu in der Lage war, dafür notwendig, daß dieser zu einem tatsächlichen „Bestseller“ …
Mit jedem Satz in seinem Essay schreibt Franzobel im Grunde sich selbst die mündliche Beurteilung; Lehrerinnen freuten sich wohl sehr, hätten sie solche Schüler, die ihnen diese aufwendige Arbeit abnähmen.
Beste Voraussetzungen, um in einen neuen Faschismus zu geraten. Er wird anders aussehen, aber genauso intolerant sein und mit allen Freiheiten aufräumen wie der vor hundert Jahren.
Unlängst hat man mich gefragt, warum die Kulturschaffenden gerade so ruhig sind. […] Aber warum sind die Kulturschaffenden gerade so leise?
Das wird Franzobel vielleicht ein Mensch gefragt haben, der sich nach Grönland zurückgezogen hat, zu einem Leben ohne alles, auch ohne „Fußball, Thermomix, iPhone, Tupperware, Taylor Swift“ … Ein Mensch, der nicht in seinem Grönland ohne alles lebt, wird das je nicht gefragt haben können, und er selbst, wäre er außerhalb seines Grönlands unterwegs, könnte diese Frage je nicht stellen, sogar Taylor Swift, das wissen Menschen mit „Fußball, Thermomix, iPhone, Tupperware“, meldet sich politisch zu Wort, auch in diesem Jahr 2024 weiter, wie sie es auch beispielsweise schon 2020 tat, als sie schrieb: „We will vote you out in November.“
Das Wort „Kulturschaffende“ wird vielleicht einigen sauer aufstoßen, aber das muß Franzobel nicht bekümmern, diesen Kulturschaffenden, der sich zu Wort meldet, der nicht leise ist, er selbst also kein Zeuge dafür ist, daß die Kulturschaffenden gar so leise seien, dabei, was für eine Karriere als Kronzeuge stünde ihm offen, meldete er sich nicht zu Wort, bliebe er leise —



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