Es gibt wieder einmal eine Debatte um einen Begriff. Nun in Österreich. Es ist sogar ein Wettbewerb ausgelobt, um für „Kulturschaffende“ einen anderen Begriff zu finden. Um nicht mehr „Kulturschaffende“ zu verwenden, weil „Kulturschaffende“ auch von Nationalsozialisten verwendet wurde.
1 Die Argumentation, ein Wort nicht mehr zu verwenden, weil es auch von Nationalsozialistinnen verwendet wurde, müßte in letzter Konsequenz dazu führen, die gesamte deutsche Sprache nicht mehr zu sprechen.
1.2 Diese letzte Konsequenz wird aber nicht gezogen.
1.3 So wird bloß in der Sprache herumgepickt. Wörter und Bergriffe aufgepickt. Als wären diese von einer Bäuerin ausgestreute Körner. Und manche werden halt herausgepickt. Wie eben auch aktuell wieder einmal „Kulturschaffende“.
1.4 Das rechnen sich Wörterpickerin je hoch an, Wörter des Nationalsozialismus auszuscheiden.
1.5 Wörterpicker verstehen sich dabei auch als Wörterwächter.
1.6. Begriffswärterinnen überwachen. Sie patroullieren. Sie gehen die Textblöcke ab. Sie drehen ihre täglichen Runden in den Absätzen. Sie haben ihre Ohren sperrangelweit offen. Damit ihnen ja nichts entgeht. Und wenn ein von ihnen herausgepicktes und von ihnen ausgeschiedenes Wort irgendwo entdeckt, irgendwann gehört wird, dann erfüllen sie willkürlich ihre Pflicht, es zur Anzeige zu bringen.
1.7 Sie picken aber bei weitem nicht jedes Wort zum Ausscheiden auf. Oh, wie viele Wörter gäbe es, die nicht mehr verwendet werden dürften, weil diese vom Nationalsozialismus verwendet wurden.
Es sind gar zu viele.
So exemplarisch nur ein, zwei oder drei Wörter …
„Frei“ ist etwa so ein Begriff. „Arbeit“ ist etwa so ein Wort.
1.8 Besonders ein Wort wird nicht aufgepickt, besonders ein Begriff wird nicht ausgeschieden: „Nationalsozialismus“. Obgleich „belastet“. Dafür von dieser Gesinnung sogar zwei Wörter geraubt wurden. „National“ wird dennoch unbeanstandet weiter verwendet. „Sozialismus“ wird dennoch unbeanstandet weiter verwendet.
2 Was ihnen aber vor lauter Aufpicken und vor lauter Ausscheiden entgeht, ist, daß sie dem Nationalsozialismus weiter Macht und Besitz bestätigen. Sie anerkennen, nationalsozialistische Eigentumsrechte an Wörtern, nationalsozialistische Eigentumsrechte an Begriffen. Denn. Wenn ihre aufgepickten und ihre ausgeschiedenen Wörter und Begriffe niemand sonst, so ihr Welthofanspruch, mehr verwenden darf, heißt das, es bleibt das Eigentum der Nationalsozialisten. Sie sind die Hüterinnen des Eigentums der Nationalsozialistinnen. Sie sind die Wahrer nationalsozialistische Eigentumsrechte.
2.1 Aber auch im Fall der Sprache hat der Nationalsozialismus nicht durch eigene Arbeit, hat der Nationalsozialismus nicht durch eigene Leistung (noch so ein Beispielbegriff, der nicht aufgepickt und nicht ausgeschieden) Eigentum geschaffen.
2.2 Auch im Fall der Wörter und Begriffe war es bloßer nationalsozialistischer Raub.
2.3 So wie Nationalsozialisten Kunstwerke raubten, raubten Nationalsozialistinnen Wörter, Begriffe. Wofür auch „Kulturschaffende“ beispielhaft genannt werden kann. Wie lange davor gab es bereits diesen Begriff, ehe dieser auch Verwendung fand in diesen madigen zwölf Jahren der nationalsozialistischen Totalmassenmorddiktatur. Wie lange davor, wie sehr lange davor wurde bereits vom Menschen als von einem „kulturschaffenden Wesen“ etwa gedacht, gesprochen und geschrieben.
3 Was kann es also für eine Konsequenz dann tatsächlich noch geben? Wenn selbst die Wörterwarte nicht auf die deutsche Sprache in ihrer Gesamtheit, das die einzige tatsächliche letzte Konsequenz nach deren eigener Argumentation wäre, zu verzichten bereit sind, wenn selbst die Begriffspickerinnen gegen ihre eigene Argumentation weiter die deutsche Sprache sprechen und sprechen wollen, keine Bereitschaft zeigen, die gesamte deutsche Sprache durch eine andere Sprache gänzlich zu ersetzen.
3.1 Eine Konsequenz: Damit endlich aufzuhören, vor dem Nationalsozialismus derart auf dem Bauch zu liegen, als wäre dieser seit 1933 immer noch an der Macht, als dauerte seine Diktatur seit 88 Jahren ununterbrochen an, während es doch nur madige zwölf Jahre waren, und in Österreich waren es noch madigere sieben Jahre.
Was aber, gerade in Österreich, seit 76 Jahren anhält, ist ein Umgang mit dieser Vergangenheit der madigen zwölf Jahre und der noch madigeren sieben Jahre, der …
3.2 Eine weitere Konsequenz: Den nationalsozialistischen Sprachraub genauso so zu behandeln wie den nationalsozialistischen Kunstraub.
3.3 Das heißt, den nationalsozialistischen Raub nicht nachträglich noch als nationalsozialistischen Besitz zu bestätigen, nicht weiter nationalsozialistisches Raubgut als nationalsozialistisches Eigentum zu legitimieren.
3.4 Mit einem Wort, auch im Fall der Sprache: Restitution.
3.5 Die Rückgabe der Wörter und Begriffe ist die einzige Konsequenz, die aus dem nationalsozialistischen Sprachraub noch gezogen werden kann. Das nationalsozialistische Raubgut an Wörtern und Begriffen ist einfach an die Sprache zurückzugeben.
3.6 Es müssen für diktatorisch gestohlene Wörter keine alternativen Wörter erfunden werden. Es müssen gleich welcher Gesinnung diktatorisch gestohlene Begriffe nicht umgedeutet werden.
3.7 Es muß also auch das von einem Bauer ausgestreute „Kulturschaffende“ einfach der Sprache zurückgegeben werden. Ob es sich in der Sprache behaupten wird können, ob es sich in der Sprache als Wort, als Begriff halten wird können, hängt nicht davon ab, daß „Kulturschaffende“ kurz geraubt war für eine Diktatur, es ist die Entwicklung der Sprache, die darüber entscheidet, ob ein Wort, ob ein Begriff sprachlich fortbesteht oder nicht.

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