Lehrstunde der Barbara Tóth

Andreas Mayer-Bohusch: Sie akzeptieren, daß sozusagen auch die Zahl der Katholiken in Österreich offenbar dramatisch abnimmt. Wir haben eine Graphik vorbereitet, das ist natürlich auch eine Momentaufnahme aus einem Ballungsraum, in Wien ist es so, daß inzwischen 35 % der Volksschüler islamisch sind, nur 26 % sind gleich ganz ohne Religionsbekenntnis und nur 21 % sind noch katholisch, also nicht einmal ein Viertel, jeder fünfte Schüler ist nur mehr mit katholischem Glauben.

Christoph Schönborn: Noch eine andere Zahl. Die anderen Christen.

Andreas Mayer-Bohusch: So ist es. Sehr viele orthodoxe Christen.

Christoph Schönborn: Orthodoxe, orientialische Christen, die wir Dank der Immigration ja haben, und wenn wir die beiden zusammenzählen, sind wir immer noch ein bißchem mehr als die Muslime, was keine Entschuldigung ist, daß wir uns nicht anstrengen müssen, aber, ich darf jetzt den Bürgermeister Michael Ludwig zitieren, der angesichts dieser Zahl gesagt hat, ja, lieber Österreicherinnen und Österreicher dann müßt ihr euch überlegen, warum treten so viele aus der Kirche, katholischen oder evangelischen aus, da wundert euch nicht, daß die islamischen Kinder in der Mehrzahl sind. Also es ist auch eine Frage an uns. Wir sagen immer, wir das christliche Erbe bewahren. In Österreich gibt es eine klare Mehrheit in der Bevölkerung, wir wollen, daß Österreich christlich bleibt. Was tun wir dafür?

Barbara Tóth: Wäre nicht ein Ansatz noch einmal über den Religionsunterricht in den Schulen zu sprechen. Es gibt, Stichwort Brückenbauer Erzdiözese Wien, ein Pilotprojekt für ein neues Unterrichtsfach, das heißt, Werte interkulturelles Lernen Religionen W.I.R., und das ist so ein gemeinsamer Religions-Ethik-Werte-Unterricht quer über die Konfessionen hinweg. Warum ist das bis jetzt nur ein Pilotprojekt? Wäre das nicht die Antwort auf genau solche Herausforderungen?

Christoph Schönborn hätte als Antwort beispielsweise nur vorzulesen brauchen:

Seit dem Schuljahr 2021/22 ist der Ethikunterricht beginnend mit der 9. Schulstufe zweistündig ein verpflichtendes Fach. Dieser bietet den Schüler:innen die Gelegenheit, sich mit den wichtigen Grundfragen und den verschiedenen Deutungen der Wirklichkeit auseinanderzusetzen sowie Grundwerte unserer Gesellschaft kennen und verstehen zu lernen. Mit dem Schuljahr 2019/20 gibt es aufsteigend von der 5. bis zur 8. Schulstufe eine Stunde pro Woche das Fach „W.I.R.: Werte – interkulturelles Lernen – Religionen“. Der W.I.R.-Unterricht ist ein Begegnungsunterricht, der Schüler:innen die Möglichkeit bietet, gemeinsam zu philosophischen und religiösen Fragestellungen Wissen zu erwerben. Er ermöglicht über
Gemeinsamkeiten und Unterschiede ins Gespräch zu kommen und auf Augenhöhe mit- und voneinander zu lernen. Inhaltlich fördert der W.I.R. Unterricht die von der Europäischen Union beschriebenen gemeinsamen Grundwerte wie Menschenwürde, Demokratie, Vielfalt, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität oder die Gleichheit von Menschen. Er leistet einen Beitrag, Gesellschaft miteinander zu denken und zu gestalten.

LEHRPLAN
Dieser wurde ausgehend von den Schulversuchslehrplänen für Ethik an der AHS-Unterstufe, den religiös-ethisch-philosophischen Anteilen der allgemeinen Lehrpläne sowie den Lehrplänen der einzelnen Religionen für die entsprechenden Schulstufen erarbeitet.

Interkulturelles Lernen ist bereits seit 1992 als fächerübergreifendes und fächerverbindendes Unterrichtsprinzip in den Lehrplänen aller allgemein bildenden Schulen verankert. Zahlreiche Fachlehrpläne enthalten ebenfalls implizite und explizite Bezüge zur Interkulturellen Bildung.
Der Grundsatzerlass Interkulturelle Bildung, der 2017 gemeinsam mit Expert/innen unterschiedlicher Disziplinen erarbeitet wurde, beschreibt Inhalte und Umsetzung des Unterrichtsprinzips Interkulturelles Lernen. Er trägt dazu bei, dass das gemeinsame Lernen im Schulalltag in einer wertschätzenden und respektvollen Atmosphäre gelingen kann.

Wie gut, daß Sie mit Ihren Fragen doch dazu verleiteten, die gesamte Sendung anzusehen. Es war doch eine Lehrstunde an diesem Sonntag, ein erster Adventsonntag kann nicht besser begangen werden, wie einen Samstag später, am 7. Dezember 2024, festgestellt werden kann, nach einer Woche, in der beginnend am Mittwoch diese Adventstunde häppchenweise im Nachhinein angesehen wurde …

Barbara Tóth lehrte, daß ein „Pilotprojekt“ die „Antwort auf genau solche Herausforderungen“ wäre, während bis zur ihrer Unterichtung gedacht wurde, mit einem „Pflichtgegenstand“ wäre die Antwort bereits gegeben worden.

Christoph Schönborn las nichts vor von einem „Pflichtgegenstand“, wofür er auch Papiere aus seiner eigenen Organisationen hätte heranziehen können, sondern er antwortete der Lehrenden Tóth:

Christoph Schönborn: Das paßt in der Realität nicht. Weil Menschen Werte nicht abstrakt haben. Werte haben immer eine konkrete Gestalt. Für das Christentum sind das die Werte des Evangeliums, das heißt, Mitgefühl, Nächstenliebe, Sorge für die Armen, Zuwendung zu den Notleidenden. Das sind die Werte die im Evangelium ganz konkret gestaltet sind. Wo wollen Sie die Werte für einen allgemeinen Werte-Unterricht hernehmen? Der Islam hat auch seine beachtlichen Werte, die sehr oft in den Schatten gestellt werden durch den politischen radikalen Islam, aber die Alltagstugenden, die viele Muslime bei uns leben, und zwar sehr anständig, die brauchen ein konkretes Gefäß, eine konkrete Gestalt, deshalb ist unser Modell, das wir praktizieren in der pädagogischen Hochschule, St. Pölten und Wien, die die größe pädagogische Hochschule in Österreich ist, die kirchliche, dort haben wir eine interreligiöse Religionslehrerinnen- und -lehrerausbildung, eine interreligiöse, die Muslime, die Juden, die Buddhisten, die Protestanten, die Katholiken, alle werden dort gemeinsam für den Relligionsunterricht ausgebildet, das ist der Weg, wie wir gemeinsam Werte vermitteln können.

Barbara Tóth: Aber auf der islamischen Seite gibt es meines Wissens solche interreligiösen oder religionsübergreifenden Ausbildungen derzeit nicht, oder?

Christoph Schönborn: Bei uns schon.

Barbara Tóth: Nein, ich mein auf der islamischen Seite.

Christoph Schönborn: Nein. Die islamischen Religionslehrer werden auch auf der kirchlich-pädagogischen Hochschule ausgebildet. Natürlich haben sie ihren eigenen, jede dieser Religionen und Konfessionen haben ihren eigenen Teil, aber sie haben einen gemeinsamen Sockel. Sie werden wirklich gemeinsam ausgebildet. Das ist ja die geniale Idee gewesen, die Gründung dieser pädagogischen Hochschule, daß sie wirklich religionsverbindend ist. Und wir brauchen solche religionsverbindende Projekte und nicht ein säkularisiertes abgespecktes Wertesystem, das kein existenzielles Fundament hat.

Andreas Mayer-Bohusch: Kommen wir kurz noch einmal zurück zur Migration, Sie sagen […]

„Kommen wir kurz noch einmal“ auf die von Andreas Mayer-Bohusch gezeigte Graphik zurück. Welches Kind, in Erinnerung an die eigene Kindheit, sagte von sich aus, mit sechs oder sieben oder acht Jahren, es sei katholisch, es sei islamisch — Säßen die Eltern statt ihren Kindern in den Volksschulen, wäre korrekt zu schreiben: „Religionen in den Wiener Volksschulen“. Aber es sind deren Kinder, die die Volksschulen besuchen, so kann die Überschrift der Graphik korrekt nur lauten:

„Religionen der Eltern der Volksschüler und der Volksschülerinnen an Wiener Volksschulen“ …

Die Kinder werden Organisierten Glauben aufgrund ihrer Eltern zugeordnet, die Kinder sind von ihren Eltern glaubensgebrandmarkt — Das so gar beklagte Austreten etwa aus der katholischen Kirche ist also nicht die Abwendung vom Glauben, weil es keine eigene Hinwendung je gab, nicht die Aufgabe des Glaubens, weil es keine eigene Annahme des Glaubens je gab, sondern stets das auferzwungene Austreten aus einer Organisation, in die nie ein bewußtes Eintreten aufgrund einer freien Entscheidung des Kindes stattfand, sondern immer nur durch die Nötigung seiner Eltern … Es muß gar nicht von einem Irrglauben geschrieben werden, es reicht: Glaube. Was für ein Glaube, Kinder blieben ihr Leben lang das, was ihre Eltern sind, das, zu dem ihre Eltern sie von Geburt an vergatterten … Und so werden sie statistisch eingereiht, als das, was nicht sie sind, sondern ihre Eltern —