Schafe im Sold der Wölfe

Der Auftritt von Björn Höcke in der Pension „Zum Schäfchen“ in Schnellroda im März ’20 lädt ein, über Schaf und Wolf zu sprechen.

Das Schäfchen, das nach eigenem Bekunden ein Wolf

„Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, liebe Freunde, meine hier, wir entscheiden uns in dieser Frage: Wolf.“

sein möcht‘, droht im „Schäfchen“ der eigenen Parteikameraderie. Das Schäfchen schaut dabei in das Mikrofon und sieht sich als Wolf widergespiegelt. Aber ein Mikrofon ist kein Spiegel. So ist es verständlich, daß das Schäfchen ein falsches Bild von sich …

Es bleibt nicht aus, wenn ein Schäfchen Mäh-Mähs blökt, die vor ihm schon Schafe, die ebenfalls meinten Wölfe zu sein, blökten. Aber der Spitzname „Wolf“ des Gefreiten aus Österreich diente ihm bloß dazu, für sich und für alle zu verschleiern, ein Schäfchen zu sein. In den madigen zwölf Jahren wird es nicht leicht gewesen sein, zu unterscheiden, zu bestimmen, wer ist Wolf, wer ist Schaf.

In diesen madigen zwölf Jahren wird die Behauptung von Menschen, wenn sie beispielsweise die Schafe Goebbels und Hitler gesehen haben, sie hätten wirkliche Wölfe gesehen, wahr gewesen sein. Sie traten schließlich auf wie wirkliche Wölfe, benahmen sich wie wirkliche Wölfe, wie wirkliche Wölfe rissen sie Schafe, nein, wie Menschen rissen sie in maßloser Blutgier Menschen massenweise, an ihrem Ende nach madigen zwölf Jahren rissen sich die vermeintlichen Wölfe selbst wie wirkliche Schafe. Sie waren doch bloß künstliche Wölfe.

Avatare im Sold der tatsächlichen Wölfe.

Nun, im Rückblick, von der Gegenwart aus, auf die Vergangenheit, um doch einen Zeitraum zu nennen, im Rückblick auf die vergangenen hundertzwanzig Jahre kann kein Mensch mehr Schafe und Wölfe verwechseln, die tatsächlichen Wölfe sind die, die immer Wölfe waren und sind und weiter sein werden.

Wer kennt sie nicht, die tatsächlichen Wölfe. Alle kennen die tatsächlichen Wölfe, die unbeschadet durch alle Zeiten streifen, unangetastet auf ihren Thronen hoch über den Wäldern sitzen, von wo aus sie Schafe erwählen, um sie als Wölfe auszuschicken. So wollen sie selbst als Wölfe unerkannt bleiben, als mildtätige Schafe geachtet, bewundert und gelobt werden.

Von diesen tatsächlichen Wölfen wird in „Die Tagesordnung“ erzählt, aus der zu zitieren ist, nicht um etwas Neues erzählen, sondern nur zur Erinnerung an die Gegenwart der Wölfe …

„Sie heißen BASF, Bayer, Agfa, Opel, I. G. Farben, Siemens, Allianz, Telefunken. Unter diesen Namen kennen wir sie. Kennen sie sogar bestens. Sie sind hier, unter uns und zwischen uns. Sie sind unsere Autos, unsere Waschmaschinen, unsere Reinigungsmittel, unsere Radiowecker, unsere Hausversicherung und die Batterie in unserer Uhr. Sie sind überall, in Gestalt von Dingen. Unser Alltag ist der ihre. Sie heilen und bekleiden uns, fahren uns über die Straßen der Welt und lullen uns ein. Und die an jenem 20. Februar im Reichtstagspräsidentenpalais versammelten vierundzwanzig Biedermänner sind nichts anderes als ihre Bevollmächtigten, der Klerus der Großindustrie; Hohepriester des Ptah. Reglos verharren sie dort, wie vierundzwanzig Rechenmaschinen an den Toren zur Hölle.“

Es wird von einem Montag erzählt. Von einer Sitzung am 20. Februar ’33.

„Göring macht seine Hausherrenrunde, hat für jeden ein persönliches Wort und schüttelt wohlmeinend sämtliche Hände. Doch der Reichtstagspräsident ist nicht nur zu ihrer Begrüßung gekommen, er nuschelt ein paar Willkommensworte und kommt umgehend auf die baldigen Wahlen am 5. März zu sprechen. Die vierundzwanzig Sphinxe lauschen aufmerksam. Der in Aussicht stehende Wahlkampf sei entscheidend, erklärt der Reichtstagspräsident, mit der Instabilität des Regimes müsse nun endlich Schluss sein; die Wirtschaftstätigkeit verlange Umsicht und Entschlossenheit. Die vierundzwanzig Herren nicken andächtig mit dem Kopf. Die elektrischen Kerzen des Kronleuchters flackern, die große, auf die Decke gemalte Sonne leuchtet kräftiger als vorhin. Und falls die Nazipartei die Mehrheit erringe, fährt Göring fort, seien diese Wahlen die letzten für die nächsten zehn Jahre, ja, setzt er lachend hinzu, für die nächsten hundert.

Eine zustimmende Regung geht durch die Zuhörerschaft. Im selben Moment hört man Türgeräusche, endlich betritt der neue Kanzler den Salon. Diejenigen, die ihm noch nie begegnet sind, harren neugierig auf seinen Anblick. Hitler lächelt, wirkt entspannt, überhaupt nicht wie man es sich vorstellt, leutselig, ja geradezu liebenswürdig, sehr viel liebenswürdiger als gedacht. Er hat für jeden ein Wort des Dankes, einen energischen Händedruck. Als die Begrüßungen absolviert sind, nehmen alle wieder in ihren behaglichen Sesseln Platz. Krupp sitzt in der ersten Reihe und pickt mit einem nervösen Finger in seinem winzigen Schnurrbart; direkt hinter ihm schlagen zwei Direktoren der I. G. Farben, aber auch von Finck, Quandt und einige andere gewichtig die Beine übereinander. Man hört ein kehliges Husten, das kaum vernehmliche Klicken einer Stiftkappe. Stille.

Sie hören zu. Die wesentliche Aussage lässt sich wie folgt zusammenfassen: Es gelte, mit einem schwachen Regime Schluss zu machen, die kommunistische Bedrohung abzuwehren, die Gewerkschaften abzuschaffen und jedem Chef zu erlauben, in seinem Unternehmen ein Führer zu sein. Die Rede dauert eine halbe Stunde. Als Hitler fertig ist, steht Gustav auf, tritt einen Schritt vor und dankt ihm im Namen aller anwesenden Gäste, endlich die politische Situation geklärt zu haben. Der Kanzler dreht noch eine kurze Runde und bricht wieder auf. Man beglückwünscht ihn, zeigt sich zuvorkommend. Die alten Industriellen wirken erleichtert. Sobald er gegangen ist, ergreift Göring das Wort, wiederholt nachdrücklich ein paar Ideen und kommt erneut auf die Wahlen vom 5. März zu sprechen. Es sei eine einmalige Gelegenheit, der bisherigen Sackgasse zu entkommen. Doch um einen Wahlkampf zu führen, brauche man Geld; die Nazipartei habe jedoch keinen müden Groschen mehr, und der Wahlkampf rücke näher. In diesem Augenblick erhebt sich Hjalmar Schacht, lächelt in die Versammlung und ruft: ‚Und nun, meine Herren, an die Kasse!‘

Seine zugebenermaßen etwas zackige Auffordeurng ist für diese Männer nichts sonderlich Neues; sie sind mit Bestechungs- und Schmiergeldern bestens vertraut. Im Budget großer Unternehmen ist die Korruption ein unumgänglicher Posten mit unterschiedlichen Namen: Lobbying, Gratifikation, Parteienfinanzierung. Die Mehrheit der Gäste zahlt umgehend etliche hunderttausend Reichsmark. Gustav Krupp spendet eine Million, Georg von Schnitzler vierhunderttausend, und so kommt ein hübsches Sümmchen zusammen. Dieses Treffen vom 20. Februar 1933, in dem man einen einen einmaligen Moment der Arbeitgebergeschichte sehen könnte, ein unerhörtes Zugeständnis an die Nazis, ist für die Krupps, die Opels und die Siemens nicht mehr als eine alltägliche Episode des Geschäftslebens, ein banales Fundraising. Sie alle sollten das Regime überlegen und in Zukunft mit ihren jeweiligen Erträgen noch weitere Parteien finanzieren.

Doch um besser zu verstehen, was dieses Treffen vom 20. Februar bedeutet, um seinen Ewigkeitsgehalt zu begreifen, müssen wir diese Männer künftig bei ihrem Namen nennen. Nicht mehr Günther Quandt, Wilhelm von Opel, Gustav Krupp und August von Finck versammeln sich an jenem frühen Abend des 20. Februar 1933 im Reichtstagspräsidentenpalais; es müssen andere Namen her. Denn Günther Quandt ist ein Deckname; hinter ihm verbirgt sich etwas ganz anderes als der Biedermann, der sich gerade den Schnurrbart schmierig macht und brav auf seinem Platz am Ehrentisch sitzt. Hinter ihm, ganz dicht hinter ihm schwebt eine ungleich imposantere Silhouette, ein übermachtiger Schatten, kühl und undurchdringlich wie eine Statue aus Stein. Grimmig und anonym überragt sie sein Gesicht mit ihrer ganzen Macht, lässt es starr wirken wie eine Maske, eine Maske jedoch, die ihm besser zu Gesicht steht als die eigene Haut — und man erahnt über ihm die Accumulatoren-Fabrik AG, die spätere Varta, die wir kennen, weil die juristischen Personen ihre Avatare haben, so wie die antiken Gottheiten unter vielerlei Gestalt auftraten und sich im Laufe der Zeit mit anderen Göttern vereinigten.

So also lautet der eigentliche Name der Quandts, ihr Demiurgenname, denn, er, Günther, ist nur ein winziger Haufen Fleisch und Knochen, wie Sie und ich, und nach ihm werden seine Söhne und die Söhne seiner Söhne den Thron besteigen. Der Thron aber bleibt, wenn der kleine Haufen Fleisch und Knochen in der Erde verschimmelt. Und so heißen die Vierundzwanzig weder Schnitzler noch Witzleben noch Schmitt, Finck, Rosterg oder Heubel, wie uns ihr Familienname weismachen will. Sie heißen BASF, Bayer, Agfa, Opel, I. G. Farben, Siemens, Allianz, Telefunken. Unter diesen Namen kennen wir sie. Kennen sie sogar bestens. Sie sind hier unter uns und zwischen uns. Sie sind unsere […]“

… Autos ihre Autos, bereitgestellt zum freiwilligen Dienst als Kraftwagenführer, Chauffeusen für sie.

Solche Sitzungsmontage werden nach wie vor nicht aufgegeben. Immer wird irgendwo auf dieser Welt zu jeder Zeit ein Sitzungsmontag zelebriert, mit liebenswürdigen

Seit dem Montag ’33 ist es also zu keiner entscheidenden und wesentlichen Veränderung im Verhalten gekommen. Nur, neue Konzerne sind hinzugekommen, die es damals noch nicht gab, Konzerne, die für ihr Geld scheffeln keinen Hammer und keinen Amboß mehr brauchen, sondern nur die virtuelle Welt, in der sie agieren wie seit jeher in der analogen …

Und mit diesen neuen Konzernen kann zu Björn Höcke, das Schäfchen zurückgekehrt werden. Was wären solche Figuren wie Höcke ohne die neuen Konzerne, ohne all die neuen Plattformen, auf denen sie blöken, als wären sie Wölfe? Wie Mercedes, wie Thyssen werden auch die Namen der neuen Konzerne gekannt, Facebook, Google und so weiter und so fort.

Wenn der Konzerne Laune es beliebt, wird das Blöken der Wölfe stumm geschaltet, die Bilder der Schäfchen gelöscht … Wer erführe dann noch, was etwa ein Höcke blökt? Der Nachbar vom Schäfchen vielleicht noch, weil der hat es nicht weit in die Wirtsstube in Schnellroda …