Gesinnungsweinkameraden

Es heißt, wenn im ersten Akt eines Theaterstücks ein Revolver vorkommt, dann muß im letzten Akt geschossen werden. Ob das auch auf den Roman zutrifft, kann nicht gesagt werden, will auch nicht überlegt werden; aber wenn schon einmal in einem Kapitel der Name Gerhard Schumann gefallen ist, sogar mit so etwas wie einem Versprechen, es werde von ihm noch erzählt werden, dann sollte von ihm doch noch erzählt werden, obgleich er zu jenen Figuren zählt, die gleich beim ersten Erwähnen mit ihren Namen mit einem Fußtritt aus dem Roman zu schmeißen sind.

Nachdem es aber nicht um ihn geht, er, auch er, bloß das dunkle Umfeld erhellt, von dem erzählt wird, er nur Vergangenheit ist, während das Milieu, von dem erzählt wird, nicht Vergangenheit ist, auch wenn dessen Gesinnung dunkle Vergangenheit ist, kann auch von ihm, Schumann, erzählt werden, der, auch der, des Milieus Gegenwart ist.

Es wird nicht von Gerhard Schumann erzählt, es wird nur berichtet, genauer, es wird ein Bericht über Gerhard Schumann übernommen.

Um damit vor allem zu zeigen, es gibt Stiftungen und Stiftungen.

Es gibt beispielsweise die Stiftung Geißstraße in Stuttgart, deren Engagement u. v. a. m. den Bericht über Gerhard Schumann …

Und dann gibt es eben die Stiftung Hofgasse in Graz, deren Engagement ihre Gesinnung —

So großväterlich harmlos mit einem Glaserl Wein im wohl vertieften Gespräch, wie es auf der Website der grazerischen Stiftung zu sehen ist, an diesem 14. Mai 2023, der „Dichter Gerhard Schumann“ und der Stifter Dombrowski, solch ein ihm schmeichelndes und ihm zu Bedeutung erhebendes Foto gibt es vom „Dichter Gerhard Schumann“ auf der durch das Engagement der Stiftung Geißstraße erstellten Website nicht.

Damit ist das Versprechen, nein, das Vorhaben, von dem in einem Kapitel so leichtfertig erzählt wurde, doch noch umgesetzt, auch etwas über den Weinkameraden der Dombrowskis zu berichten.

Gerhard Schumann besucht die Evangelisch-theologischen Seminare in Schöntal und Urach. 1928 erscheinen erste Gedichte in Zeitungen und Zeitschriften. Zwei Jahre darauf beginnt er ein Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen, das er später abbricht. Noch im selben Jahr tritt er der NSDAP sowie der SA und dem nationalsozialistischen Studentenbund bei. Rasch macht er Karriere: mit zweiundzwanzig Jahren ist er 1933 bereits Bezirksführer des NS-Studentenbundes und Führer der studentischen SA in ganz Württemberg. An der Gleichschaltung der Universität Tübingen ist er maßgeblich beteiligt. Nach der so genannten »Machtübernahme« setzt Schumann seine Karriere als völkisch-nationaler Schriftsteller und Funktionär im NS-Kulturbetrieb fort. In rascher Folge erscheinen von ihm Gedichtsammlungen, die teilweise hohe Auflagen erreichen. 1935 erhält er den »Schwäbischen Dichterpreis«, 1936 wird ihm im Beiseins Hitlers, den er in vielen Gedichten als Führer des neu erstandenen Reiches feiert, der »Nationale Buchpreis«, die höchste literarische Auszeichnung des nationalsozialistischen Regimes überreicht. Schumann nimmt als Freiwilliger am Frankreichfeldzug teil. Nach einer Verwundung kehrt er nach Deutschland zurück und übernimmt 1942 die Chefdramaturgie am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, ein Jahr später wird er erster Präsident der Hölderlin-Gesellschaft. 1944, nach der Schließung der Theater in Deutschland, wechselt Schumann in die Kulturabteilung des SS-Hauptamtes und gerät beim Rückzug in Kriegsgefangenschaft. Aus dreijähriger Internierung entlassen, setzt er schon 1949 seine publizistische Tätigkeit mit der Gründung des Europäischen Buchklubs fort. 1962 gründet er in Esslingen einen eigenen Verlag, den Hohenstaufen-Verlag, um unter anderem ehemaligen nationalsozialistischen Autoren Publikationsmöglichkeiten zu schaffen. Schumann wird zu einem Sprachrohr der rechten Szene, Zitate aus seinem Werk finden sich bis heute auf einschlägigen Internetseiten. Die Mitgliedschaft in weiteren national-konservativen Vereinigungen folgt. 1974 erscheint Schumanns Autobiografie Besinnung. Von Kunst und Leben, die ihm zur Rechtfertigung dient. Darin werden einzelne Fehler des NS-Regimes, wie die Ermordung der Juden, zugestanden, zugleich aber einigen wenigen Akteuren an der Spitze zugeschrieben. Seine Faszination für den Nationalsozialismus und für eine Erneuerung des alten mittelalterlichen Reichs aus völkisch-nationalen Wurzeln unter einer Führerpersönlichkeit hält an. So trägt eines seiner späten Gedichte den programmatischen Titel »Am Tag der Schmach verfasst anlässlich des 17. Mai 1972«, mit dem der Revanchist Schumann gegen die Verabschiedung der Ostverträge durch die Regierung Brandt polemisiert. iw

Karl-Heinz J. Schoeps: Zur Kontinuität der völkisch-nationalkonservativen Literatur vor, während und nach 1945: Der Fall Gerhard Schumann. In: Monatshefte für deutschsprachige Literatur 91 (1999). S. 45–63.