Ernst und Rosa von Dombrowski-Stiftungsfondspreisträgerin Hannah Oppolzer: „Es ist ein Zusammenschmelzen von Gegenwart und Vergangenheit. Vielleicht müssen wir heute gedenken, weil damals zu wenig gedacht wurde.“

Es ist sein Name, der. Mir. Brücken schlägt zu jener Vergangenheit. Der Hinweis auf die Individualität, die sich trotz der Kollektivvernichtung, die diesen Ort kennzeichnet, bewahrt hat. Die Buchstaben allein lassen nicht auf seine Persönlichkeit, auf seine Eigenarten, auf seinen Charakter schließen. Sie klingen fremd. Aber genauso fremd bin. Ich. An diesem Ort des Gedenkens. Ich. Die. Ich. Nie wissen werde, wie es sich anfühlte für ihn. Ich. Die. Ich. Nur versuchen kann, nachzuvollziehen, was an diesem Ort geschah. Aber etwas verändert sich, wenn. Ich. Den Namen lese, wenn. Ich. Dem Klang der Buchstaben lausche. Es ist ein Zusammenschmelzen von Gegenwart und Vergangenheit. Denn plötzlich bekommt all das, was. Ich. Über diese Gräueltaten gehört habe, Bedeutung. Plötzlich kenne. Ich. Ein Gesicht zu den Fakten und Zahlen, und alles wird greifbarer. Ich. Habe das Gefühl, die Bahnen der Zeit zu durchbrechen. Meine. Schritte auf kantigem Stein, die vielleicht er mit seinen Händen gelegt hat. Meine. Hände auf der Mauer, die ihn von den Menschen trennte, als der er geboren wurde und ihn zu der Nummer machte, als der er sterben mußte. Ich. Sehe den Namen und weiß, daß sich dahinter ein Leben verbarg, das auszulöschen niemand das Recht hatte. Und. Ich. Stehe hier an diesem Ort des einstigen Schreckens und überlege, was er wohl für ein Mensch war. Seine Lieblingsfarbe will. Ich. Wissen, und ob er lieber Äpfel oder Birnen gegessen hat. Ich. Weiß nicht viel über ihn, aber. Ich. Denke der größte Unterschied zwischen ihm und. Mir. Liegt wohl in der Zahl der Möglichkeiten. Ich. Habe eine Perspektive, ein Leben, eine Zukunft, ihm aber wurde seine zerstört, bevor er danach greifen konnte. Wer hat das Recht, jemanden die Zukunft zu stehlen? wer hat das Recht, jemanden das Privileg zu verwehren, eines natürlichen Todes zu sterben? Denn bei ihm hat der Tod all seine Natürlichkeit verloren, er ist Opfer einer Zeit geworden, die Leben wie Lebensmittel abgewogen hat, zur falschen Zeit am falschen Ort, die falsche Nationalität, die falsche Sprache. Wir sind es gewohnt, alles zu kategorisieren, wir haben Vorstellungen von gut und schlecht, richtig und falsch. Aber wir müssen verhindern, daß Menschen selbst dieser Wertung unterzogen werden. Wir dürfen nicht zulassen, daß wir Leben gegen Leben abwiegen. Und wir müssen ein Bewußtsein dafür entwickeln, daß wir nicht alles tun dürfen, was wir können, und daß wir noch lange nicht das Recht haben, Macht über andere auszuüben, nur weil wir die Mittel dazu besitzen. Die Gedenkstätte Mauthausen ist ein stiller Ort, und vielleicht muß er heute zu still sein, weil er damals so laut war, so tobend, so fürchterlich, so grauenhaft. Vielleicht müssen wir heute gedenken, weil damals zu wenig gedacht wurde.

Die Rede in einer Fernsehaufzeichnung, nach dieser übertragen.

Am 4. Mai 2018 durfte ich mit anderen jungen AutorInnen bei der Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus in der Hofburg Wien teilnehmen.

Ein paar Wochen zuvor hatten wir uns mit den Schriftstellern Christoph Braendle und Florian Gantner in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen getroffen, um dort gemeinsam an unseren Texten zu arbeiten. Direktorin Barbara Glück und pädagogische Leiterin Gudrun Blohberger führten uns durch die Gedenkstätte und machten uns mit einem Kapitel unserer Geschichte vertraut, von dem wir zwar schon viel wussten, das uns aber noch nie so eindringlich begegnet ist wie in diesen Momenten. 

Jedem und jeder von uns wurde ein Name und eine Kurzbiographie eines Häftlings zugeteilt, auf dessen Spuren wir uns schreibend in die Vergangenheit vortasten sollten. Es waren berührende und lehrreiche Tage, die in dem Video „DIALOG DES ERINNERNS – GESCHICHTEN BRAUCHEN STIMMEN“ eingefangen wurden. 

Die im ORF übertragende Gedenkveranstaltung wurde schließlich auch wegen Michael Köhlmeiers geschichtsträchtiger Rede und der Begegnung mit ZeitzeugInnen zu einer unvergesslichen Veranstaltung.

Das ist auf der Website von Hannah Oppolzer zu lesen, am 11. April 2023, in Erinnerung an eines ihrer „Projekte“, mit „Michael Köhlmeiers geschichtsträchtiger Rede“ und „Begegnung mit ZeitzeugInnen“, das am 4. Mai 2018 „zu einer unvergesslichen Veranstaltung“ und

ein paar Monate später, irgendwann im Jahr 2019, beteiligt sie sich an der Ausschreibung des Ernst-und-Rosa-von-Dombrowski-Stiftungsfondspreis und wird eine Dombrowski-Preisträgerin

Sie, Hannah Oppolzer, nimmt noch keine austriakischen Korrekturen vor, sie verschweigt nicht ihren Dombrowski-Preis; vielleicht sind es deren noch zu wenige, um es sich leisten zu können, auch nur auf einen in der Biographie verzichten zu können.

Ob Kinnlädchen sie ebenso ermutigt hat, so am 4. Mai ’18 zu sprechen, wie er Michael Köhlmeier ermutigt hat, so zu sprechen, am 4. Mai, der noch im November desselben Jahres ganz ermutigt war, Fragen zu stellen …

Es ist kein „Zusammenschmelzen von Gegenwart und Vergangenheit“. Um im Bild von Hannah Oppolzer zu bleiben. Die Gegenwart schmilzt zur Vergangenheit, die im Dom…, auch mit Dombrowski, zelebriert wird.

Und auf der Website des Stiftungsfonds mit seinem Büro und seiner Telefonnummer des von Kinnlädchen geschätzten Verlages ist zu lesen, am 11. April ’23, was Dombrowski selbst über sein Leben sagt:

Ich habe es versucht, aber ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, gerecht zu sein. In der Zeit, in der ich mir Gedanken über mich und die Welt, über meine Welt, zu machen begann, trat mir das Wort Spenglers entgegen: der Untergang des Abendlandes. Damals ist viel darüber geredet worden. Was für die einen ein Anzeichen des Unterganges war, bedeutete für die anderen den Beginn einer großen, neuen Zeit, das Entstehen einer noch nie da gewesenen Weltkultur, die alle früheren Kulturen überwölben sollte.

Ja, Spengler, ihnen schmilzt die Gegenwart zur spenglerischen Gegenwart.

Und der Vizepräsident des Stiftungsfonds sucht, wie sein Reichgeehrter, auch, wieder und weiter, die „neue Ordnung“, in der Gaue Gaue … Dombrowski traf auf Menschen, die kamen aus dem „Sudetengau“, aus —

Und auf der Website der Stiftung, die Büro und Telefonnummer mit dem Verlage teilt, schreibt ein Wolfgang Arnold, dort als „Zeitkritiker“ eingeführt, über „Leben und Werk“ von Dombrowski, woraus ein Zitat genügt, um zu wissen, was ihnen Gegenwart ist: eingeschmolzene Vergangenheit …

Aber 1938 war eine vollständige Serie seiner Holzschnitte, Portraits großer Deutscher darstellend, nicht nur in den Schaufenstern der Alpenland-Buchhandlung ausgestellt, sondern auch in Amtsstuben und Lagern, sogar – horribile dictu – der Hitlerjugend vertreten. Die Portraits, kantig und knorrig gezeichnet, waren jeweils mit einem Ausspruch des Dargestellten in jener köstlichen Fraktur versehen, die Hitler später mit einem Federstrich aus der Schule verbannt hat. Nur nebenbei, weil zuvor die HJ-Lager erwähnt wurden: War es wirklich so böse, dieser Jugend das Wort des Immanuel Kant zuzurufen: „Der Mensch kann nur werden durch Erziehung“? Gewiß, diese Erziehung wurde zu entsetzlichen Zielen mißbraucht, aber das konnte weder Kant noch Dombrowski erkennen. Der Holzschnitt Walthers von der Vogelweide trug den Spruch: „Land hab ich viel gesehn / Nach dem besten blickt ich allerwärts / Übel müßte mir geschehn / Konnt ich je bereden mein Herz / Daß ihm wohlgefalle fremder Lande Brauch / Wenn ich lügen wollte, Lohnte es mir auch?“

Der dombrowskische Holzschnitt über die Erziehung durfte bereits in einem Kapitel gezeigt werden, in dem es um einen Arzt geht,

der auch nur „Mensch, Dichter“ und berufen zum Lehrer der Jugend …

Und die „Portraits großer Deutscher“ von Dombrowski wurden ebenfalls bereits in einem Kapitel gezeigt, die er mit Zitaten versehen, von recht großen,

pah,

von den größten Deutschen aller Zeiten …

Es werden wohl auch Texte von solcher Tiefgründigkeit gewesen sein, die ihr, Hannah Oppolzer, ein Jahr nach dem 4. Mai ’18 den Dombrowskipreis einbrachte, so klug und aufrichtig wie sie zu sprechen vermag, so klug und aufrichtig wird sie sich, ein paar Monate nach dieser ihrer unvergesslichen Projektrede am Preise beteiligt haben, die sich, darf angenommen werden, nur an dem beteiligen wird, das ihr Gewissen bejahen kann, und wie klug sie sprach, das heute auch in Zukunft gültig: „Vielleicht müssen wir heute gedenken, weil damals zu wenig gedacht wurde.“