Ein Urlaub in einem sogenannten fremden Kulturkreis läßt doch den Menschen auf Reisen stets staunen. Wie anders doch die Kultur in einem besuchten Land zu der im eigenen Land sein kann. Das mußte diesmal beim Aufenthalt in Österreich gedacht werden. Menschgemäß konnte auch in Wien während dieser Pandemie nicht das gemacht werden, was sonst gemacht worden wäre, im Urlaub. möglicherweise auch in Wien. Theaterbesuche, Konzertbesuche, Museumsbesuche, Kaffeehausbesuche.
Es blieb nur eines, Spaziergänge in freudlosen Gassen.
Die Entschädigung war dann doch das Beiwohnen einer Demonstration, das unmittelbare Erleben dieser fremden Kultur der österreichischen Menschen auf der freudlosen Gasse.
Besonderen Eindruck hinterließ das Verhalten der Polizei, die Kultur der Polizei.
Als ein Mensch aus einem geographisch von Österreich weit entfernten Land gab es an diesem Wintersamstag in Wien beim Zuschauen der Demonstration auf der freudlosen Gasse, die die Innenstadt ringförmig umschließt, einen besonderen Einblick in diese für ihn bisher gänzlich unbekannte Kultur. Es war die Polizei, die in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sich rückte. Als eine Ahnung, diese österreichische Kultur von einer Sekunde auf die andere ganz verstehen zu können, wenn das Verhalten der Polizei in diesem bis dahin noch nie besuchten Land verstanden werden kann.
Menschgemäß ist es unzulänglich, dies als fremde Kultur zu bezeichnen. Eine unzureichende Beschreibung. Eine zu allgemeine, eine zu pauschaliernde. Wird es genau bedacht, muß gesagt werden, es ist keine fremde Kultur. Die Kultur des eigenen Landes ist, einfach wie kurz gesagt, auch in der Kultur des erstmals besuchten Landes Österreich zu erkennen.
Nur das Brauchtum der Polizei, wie es sich an diesem Coronawintersamstag auf der freudlosen Gasse zeigte, ist aus dem eigenen Land nicht bekannt. Das Brauchtum, das wie überall auf der Welt sofort an seiner Kleidung zu erkennen ist. Oft sogar nur an einem einzigen bestimmten Kleidungstück. Wie im Fall der Polizei an diesem Samstag. Es muß nicht einmal ein bestimmtes Kleidungsstück sein. Es kann ein Allerweltskleidungsstück sein, eines, das auf der ganzen Welt getragen wird, in diesem Fall von der Polizei überall auf der Welt getragen wird. Es ist der Helm. Die Einzwängung des Kopfes in einen Helm gehört überall auf der Welt zum Brauchtum der Polizei. Das wäre noch nichts Außergewöhnliches. Das rechtfertigte noch nicht, von diesem Samstag auf der freudlosen Gasse zu erzählen.
Was es zum Außergewöhnlichen macht, was es zum Erzählenswerten macht, ist die Handhabung des Helms. Die Verwendung des Polizeihelms als sichtbares Zeichen. Wie es sich an diesem Coronawintersamstag auf der freudlosen Gasse zeigte. Die Zeichen eines Brauchtums, stets Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in einem Land, das offen zur Schau gestellte Bekenntnis zu einem Milieu. Das konnte an diesem Samstag auf der freudlosen Gasse beobachtet werden. Und gab einen Einblick in das Brauchtum der Polizei in Österreich.

Wenn es darum geht, sich von einer Gruppe abzugrenzen, wird von der Polizei der Helm getragen, und durch entsprechende Handlungen, hervorgerufen durch den aufgesetzten Helm, durch den im Helm eingezwängten Kopf, die deutliche Ablehnung einer Gruppe zum Ausdruck gebracht. Diese Gruppe wird nicht nur abgelehnt, sondern durch das Auftreten ihr gegenüber mit aufgesetztem Helm als eine zu bekämpfende Gegnerin gebrandmarkt, während diese Gruppe an diesem Samstag auf der freudlosen Gasse, einfach wie kurz gesagt, die Gruppe auf der Seite der Regierung war, von der die Polizei ihre Befehle erhält.

Wenn es darum geht, sich zu einem Milieu zu bekennen, wird von der Polizei der Helm, wie an diesem Samstag auf der freudlosen Gasse zu beobachten war, in der Hand getragen, an der Körpermitte festgezurrt, als Bauchvergrößerung vor sich hergetragen, und der nicht aufgesetzte Helm gab den Blick nicht frei auf Köpfe, sondern auf Mützen. Blaue Mützen. Die Demonstierenden der Kohorten gegen die Regierung werden von der Polizei, wie es an diesem Samstag zu beobachten war, nicht eingekesselt, nicht harsch behandelt wie die Gruppe jener Menschen, die in dieser Sache im Grunde aber Positionen der Regierung vertritt, sondern die Polizei marschiert mit den Demonstrierenden gegen die Regierung mit, beinahe könnte gesagt werden, Arm in Arm, mit vom Bauch herabhängendem Helm, mit der über den Kopf gezogenen blauen Mütze als Bekenntnis ihrer Zugehörigkeit zum Milieu der Demonstrierenden gegen die Regierung.
Die blaue Mütze, beim Auftreten gegen die Gruppe, in dieser Sache auch auf der Seite der Regierung stehend, unter dem Helm verborgen, nicht nur als Bekenntis zur Zugehörigkeit zu dem Milieu der Demonstrierenden gegen die Regierung, sondern auch ein Signal an die Demonstrierenden gegen die Regierung, sie, die Demonstrierenden gegen die Regierung, haben von ihr, der Polizei, nichts zu befürchten, sie, die Polizei wenn mit den aufgesetzten blauen Mützen, ist ihnen, den Demonstrierenden gegen die Regierung, friedlich, ja, solidarisch gesinnt, folgen dem von den Demonstrierenden gegen die Regierung immer wieder skandierten Aufruf „Schließt euch an!“
Mehr aber als Worte können dieses Brauchtum der Polizei anhand ihrer Verwendung von Helm über blauer Mütze Bilder verdeutlichen. Bilder, die im Urlaubserinnerungsalbum von Reisen in nie zuvor besuchte Länder vielleicht mit einem bis dahin nicht verwendeten Begriff beschlagwortet eingeklebt werden: Brauchtum der Polizei in der Kategorie Urlaub im ersten Coronawinter — —

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