Nehammer rückte aus, verteidigte die Linie der ÖVP und sagte in ein ORF-Mikrofon: „Ich muss darauf hinweisen, dass Österreich allein in diesem Jahr 5.000, ich wiederhole die Zahl, 5.000, unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Schutz gewährt hat.“ Wenig später sprang auch ÖVP-Integrationsministerin Susanne Raab bei: „Eines möchte ich noch sagen, weil das kommt immer zu kurz. Man tut gerade so, als dass Österreich hier im Land nichts leistet. Wir haben 5.000 unbegleitete Minderjährige nur in diesem Jahr in Österreich aufgenommen.“
Nehammer kleinlaut
Innenminister Karl Nehammer zeigte sich am Mittwoch eher kleinlaut und ließ über sein Büro lediglich verlauten, er habe sich damals „versprochen“. Er habe nicht unbegleitete Minderjährige gemeint, sondern allgemein 5.000 „Minderjährige“. Das sei wenig später in einer APA-Meldung korrekt dargestellt worden. Es seien „zu keinem Zeitpunkt falsche Zahlen genannt worden“. Zudem liege Österreich bei den Asylanträgen unbegleiteter Minderjähriger sogar an zweiter Stelle in der EU. Es sei natürlich ein Fehler passiert, gibt man auch im Büro der Integrationsministerin Susanne Raab zu. „Fakt ist, dass Österreich im letzten Jahr 5.730 Minderjährigen Schutz gewährt hat. Bei der Bezeichnung ‚unbegleitete Minderjährige‘ sei es eben „zu einem Versprecher“ gekommen“.
Zwischen Karl Nehammer großlaut und Karl Nehammer kleinlaut liegen drei Monate. Ebenso liegen drei Monate zwischen Susanne Raab großlaut und Susanne Raab kleinlaut. Raab und Nehammer lassen von ihren Büros gleichlautend ausrichten, es sei zu einem „Versprecher“ gekommen, vor drei Monaten haben Nehammer und Raab sich gleichlautend versprochen.
Was für ein Phänomen.
Zwei Menschen versprechen sich wortgleich, zwei Büros müssen drei Monate später für zwei sich wortgleich versprechende Menschen sich gleichlautend herausreden, es sei „zu einem Versprecher“ gekommen.

Das Gegenteil von kleinlaut scheint nicht nur in den Fällen von Nehammer und Raab, sondern generell in der türkis getupften christschwarzen Partei nicht großlaut zu sein, sondern kurzlaut … Vor drei Monaten sagte Susanne Raab im Nachrichtenstudio:
„Eines möchte ich noch sagen, weil das kommt immer zu kurz.“
Wenn Medien nun diesen Satz von ihr zitieren, schreiben sie „kurz“ klein. Welches „kurz“ sie meinte, nun, ob ein großgeschriebenes oder ein kleingeschriebenes kurz, das kann von einer mündlichen Aussage her nicht bestimmt werden.
„Weil das kommt immer zu Kurz.“
Das könnte ihre Sorge, wohl auch Furcht vor Konsequenzen ausgedrückt haben, „weil das kommt immer zu Kurz“, deshalb: „eines möchte ich noch sagen“, also kurzlautend möchte sie noch sagen, damit er, das ja doch immer zu Kurz kommt, nicht meint, sie würde mit ihm nicht genauso gleichlautend wie Nehammer mit ihm und ihr, der vor drei Monaten eben nicht großlaut, sondern kurzlaut …
„Weil das kommt immer zu Kurz.“ Damit hat Susanne Raab vor drei Monaten das Mantra der türkis getupften christschwarzen Partei preisgegeben.
Einmal noch zurück zum Kurzlauten mit dem Namen Nehammer, der nun kleinlaut … In seiner sechsseitigen Anfragebeantwortung vom 10. März ’21 ist sein letzter Satz auf der Seite fünf von sechs Seiten:
„Hiermit darf nochmals festgehalten werden, dass im Jahr 2020 5.730 Minderjährigen ein Schutzstatus erteilt wurde. Karl Nehammer, MSc“.
Darauf folgt die sechste Seite.
Die sechste Seite aber ist eine leere Seite.
Eine leere Seite, ideal dafür, einen Gesetzesantrag einzubringen. Auch für diesen Kurzlauten ist solch ein Gesetzesantrag kein idealer, das Ideale für ihn und seine Gleichlautenden ist eine leere Seite, also das Leere.
Es ist Karl Nehammer jedoch nicht anzulasten,wenn er in seiner Anfragebeantwortung von „nachgeborene[n] Asylwerber[n]“ spricht. Auch die Abgeordneten der NEOS sprechen in ihrer parlamentarischen Anfrage von „nachgeborene[n] Kinder[n]“. Es ist eben österreichische Gesetzessprache. Aber es sind keine „nachgeborenen Asylwerber“, es sind keine „nachgeborenen Kind[er] eines Fremden“, wie es beispielsweise im Asylgesetz § 17 heißt,
(3) Ein Antrag auf internationalen Schutz von einem in Österreich nachgeborenen Kind eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt […]
sondern es sind Menschen, die in Österreich geboren wurden. „Nachgeborene Asylwerber“ im besonderen, das klingt nicht positiv. „Nachgeborene“ im allgemeinen klingt schon nicht positiv. Wem nachgeboren? Schnell kommt der Gedanke, nicht den Guten nachgeboren, sondern … Es reicht hier, beispielhaft auf „An die Nachgeborenen“ zu verweisen. Anders aber als den „Nachgeborenen“ in diesem Gedicht
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.
ergeht es den „Nachgeborenen“, die in Österreich geboren werden. Sie, die in Österreich Geborenen, tauchen aus der Flut nicht auf, sie, die in Österreich Geborenen, entrinnen nicht der finsteren Zeit, vor der ihren Eltern wenigstens zu fliehen gelungen ist. Die in Österreich Geborenen gehen einer finsteren Zeit entgegen, sie, die in Österreich Geborenen, schutzlos dem österreichischen Schutz ausgeliefert, wenn sie zur nachtschwarzen Stunde aus ihren Betten geholt und …
Eine sechste leere Seite wieder ungenutzt gelassen, statt gleich für einen Gesetzesantrag zur Beschlußfassung im österreichischen Parlament zu nutzen, der besagt, daß „Nachgeborene“ aus allen Gesetzen zu streichen ist, daß in Österreich Geborene insbesondere nicht im Asylgesetz weiter vorzukommen haben, daß in Österreich Geborene keine Asylwerber sind, denn in Österreich Geborene sind keine Asylwerberinnen, die von irgendwoher nach Österreich kommen, sondern von der ersten ihrer Lebenssekunde an in Österreich sind.

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