Unter dem deutschen Dirigenten gelingt eine mustergültige Aufführung von Franz Schmidts Oratorium – ohne Bombast und Glaubenskitsch
Es war eine eindrückliche, mustergültige Aufführung, in welcher der Deutsche weder aufgeblähten Bombast noch süßlichen Glaubenskitsch zu Gehör brachte, sondern eine Darstellung der Schreckenszeit […] Bleibt nur zu hoffen, dass auf diese Wiedergabe weniger apokalyptische Zeiten folgen als auf die Uraufführung anno 1938.
Das ist am 7. Oktober 2022 in der Tageszeitung des österreichischen Medienstandards zu lesen, geschrieben von Stefan Ender.
Absoluter Ausdruck des Kitsches bereits, den Baß vulgo Herrn alias Gott aka Führer vom Balkon herab singen zu lassen, aber zugleich, wie es heutzutage heißt, gar recht authentisch getroffen, bei einem Werk, dessen Text reiner Kitsch
Zugleich ein Text aus dem Buch — Franz Schmidt hielt sich dabei an die Übersetzung des auch nationalsozialistisch angebeteten Martin Luther –, das sadistischer als je ein Text von de Sade, das masochistischer als je ein Buch von Sacher-Masoch und soher von Krafft-Ebing als Beleg für seinen erfundenen Begriff Sadismus hätte nehmen müssen, mit dem er dem zu dieser Zeit schon lange toten de Sade keinen Schaden mehr zufügen konnte, und auch als Beleg für seinen in Umlauf gebrachten Begriff Masochismus, mit dem er dem zu dieser Zeit noch lebenden Leopold Sacher-Masoch größten Schaden zufügte.
Trost in schweren Zeiten
Das zweiteilige Werk, das vorwiegend auf der Luther-Übersetzung […] Der Einsatz traditioneller Stilmittel sowie das Festhalten an der Tonalität haben dazu geführt, dass man Schmidt Eklektizismus und Epigonentum vorwarf. Herbert von Karajan etwa hat eine Aufführung des „Buchs mit sieben Siegeln“ mit dem Argument abgelehnt, es handle sich um „verspätete Romantik“. Doch in unserer Zeit, in der in der Musik längst ohnehin alles „erlaubt“ ist, wirken solche Urteile doch ziemlich oberflächlich und überholt. Und die Meisterschaft, mit der Schmidt hier die gesamte Palette tradierter Ausdrucksformen von Bach bis Wagner nicht nur zu einer großen Synthese führt, sondern sie in sein persönliches Idiom übersetzt, wobei er die Aufbruchstendenzen seiner Gegenwart keineswegs ignoriert, spricht für sich. Einen leidenschaftlichen Anwalt fand der Komponist in Nikolaus Harnoncourt, der das Werk 2000 mit dem Wiener Singverein und den Wiener Philharmonikern erarbeitet und für CD aufgenommen hat – übrigens auch im Hinblick auf einen außermusikalischen Aspekt, der einen Schatten auf Schmidts Persönlichkeit wirft. Denn der brisante Zeitpunkt der Uraufführung des „Buchs mit sieben Siegeln“, unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland, hat dazu beigetragen, Franz Schmidt bezüglich seiner politischen Einstellung in Misskredit zu bringen. Dies auch deswegen, weil er kurz vor seinem Tod den fragwürdigen Auftrag der Nazis zu einer Kantate mit dem Titel „Deutsche Auferstehung“ annahm. Sie blieb Fragment, trotzdem resultieren daraus Fragen, auf die wir keine Antwort finden können.
Das stärkste Argument für Franz Schmidt bleibt die überwältigende Musik seines großen Oratoriums. Nikolaus Harnoncourts Bruder Philipp, der bedeutende Liturgiewissenschaftler, hat betont, dass die Johannes-Apokalypse als „Trost-Buch für Zeiten schwerster Anfechtung“ zu lesen sei. Genau in diesem Sinn hat der tiefreligiöse Komponist sie auch interpretiert. Dass es möglich scheint, gegen alle Hoffnung noch zu hoffen, mag uns gerade angesichts der aktuellen Weltlage ein heilsames Erlebnis sein.
Monika Mertl Prof. Monika Mertl, Kulturpublizistin in Wien, ist Autorin der Biographien von Nikolaus Harnoncourt (Vom Denken des Herzens) und Michael Heltau (Auf Stichwort).
Das ist auf der Website der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zu lesen, im Oktober 2022.
Ach, wieder ein Armer der doch so genialischen Männer, die in „Misskredit“ gebracht. Was für ein gepeinigter Mann, der weder im Tod noch im Leben, wie Susanne Zobl am 7. Oktober 2022 in ein weiteren Tageszeitung österreichischen Qualitätszuschnitts zu berichten weiß, sich etwas aussuchen konnte:
Dass der damals schwer kranke Komponist von den Nationalsozialisten verehrt wurde, konnte er sich nicht aussuchen.
So also wird nun über Franz Schmidt geschrieben.
Franz-Schmidt-Park (13, Bereich Ghelengasse – Prehauserstraße), benannt (11. Jänner 2001 Gemeinderatsausschuss für Kultur) nach Franz Schmidt; vorher (benannt 12. Oktober 1999 Gemeinderatsausschuss für Kultur) Ernst-Krenek-Park (13). 2005 Errichtung eines von der Franz-Schmidt-Gesellschaft gestifteten Denkmals (Metallbüste auf hohem Vierkantsockel) mit der Inschrift „Franz Schmidt 1874-1939“. Die feierliche Enthüllung fand am 23. Juni statt. Im Auftrag der Stadt Wien hat eine HistorikerInnen-Kommission die historische Bedeutung jener Persönlichkeiten, nach denen Wiener Straßen benannt sind, von 2011 bis 2013 untersucht sowie eine zeithistorische Kontextualisierung vorgenommen. Aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse zur historischen Einordnung von Franz Schmidt wurde der Straßenname als Fall mit Diskussionsbedarf eingeordnet.
Das ist die heitere Seite daran, die Umbenennung des Parks, der für zwei Jahre Ernst-Krenek-Park heißen durfte. Es läßt doch ein Schmunzeln zu, daß ein Park, benannt nach einem Symphatisanten des Ständestaats, des Austrofaschismus (wenngleich er wohl meinte, mit diesem gegen den Nationalsozialismus kämpfen und diesen vielleicht sogar besiegen zu können) und des italienischen Faschismus und seines Anführers, nach nur zwei Jahren nach einem Mann umbenannt wird, der den deutschen Faschismus —
Das Fortführen der Entlastung, das Freisprechen wird Edwin Baumgartner wohl nicht überraschen, der in der „Wiener Zeitung“ vor zwei Jahren, am 22. September 2020, zu Einspielungen von Franz Schmidt schreibt:
Erst Jahrzehnte lang nahezu nichts. Und jetzt sind fünf Gesamteinspielungen der vier Sinfonien im Handel. – Die Flaute ist leichter erklärt als der jetzige Erfolg: Der Österreicher Franz Schmidt (1874-1939) war bekennender Nationalsozialist. Ganz geheuer war er den Nationalsozialisten dennoch nicht, er galt aufgrund seiner Orgelmusik und seines Oratoriums „Das Buch mit sieben Siegeln“ als „katholischer Künstler“. Um die braunen Machthaber seiner Gesinnung zu versichern, komponierte er „Die deutsche Auferstehung“. Wer einen Blick in den Klavierauszug werfen konnte, weiß, dass Schmidt ein Überzeugungskomponist war – wie beim Katholizismus, so beim Nationalsozialismus.
Schmidt ist ein Komponist mit einer Gemeinde. Seine Anhänger setzen einerseits alles daran, seine NS-Verstrickungen kleinzureden, andererseits, ihn zum letzten Meister und Vollender der österreichischen Sinfonie hochzustilisieren, was, angesichts des Qualitätsgefälles etwa zu Gustav Mahler, fruchtlos bleiben muss.
Dennoch ist die Flut von Einspielungen ein Rätsel: Die Sinfonien sind weder klanglich sonderlich spektakulär, noch bieten sie Möglichkeiten grundlegend unterschiedlicher interpretatorischer Ansätze. Im Prinzip genügt es, den Klangstrom fließen zu lassen, ohne sich in seinen Fluten zu verlieren.
Mögen Schmidts Werke auch keine Vollendung der österreichischen Sinfonik sein: Ein Kennenlernen steht dafür, wenn man nachromantischen Schwelgereien etwas abgewinnen kann.
Gemäß der Geschichte dieses Werkes hat es seine Richtigkeit, wenn Stefan Ender wohl unbewußt und geschichtlich leichthändisch so eindringlich, so herausstellend auf das Deutsche verweist: „unter dem deutschen Dirigenten gelingt eine mustergültige Aufführung, der Deutsche“ —
„Das Buch mit sieben Siegeln“ ist aufzuschlagen, in der Gegenwart seines Entstehens und seiner Uraufführung.
Die „Illustrierte Kronen Zeitung“, 17. Juni 1938
Uraufführung im Gesellschaftskonzert. Die Apokalypse Johannis bildet die textliche Grundlage des gewaltigen Oratoriums, das Franz Schmidt, der bedeutendste Vertreter der gegenwärtigen Tonkunst der Ostmark, als einen Höhepunkt seines reichen musikalischen Lebenswerkes in einer Zeit geschaffen hat, die wie kaum eine andere zuvor so zusammenfassend das Ereignisvolle im Schicksal der Menschheit wahrnehmen läßt.
Diese neueste religiöse Tondichtung kann sowohl in ihrer textlichen Gestalt als in der aus ihr entwachsenden gewaltigen musikalischen Erscheinung in unsere unmittelbarste Gegenwart gelegt werden und eine Deutung erfahren, als wäre sie auf den Tag geschrieben. Die Aufführung durch Oswald Kabasta mit dem Singverein, der als Hauptträger des musikalischen Gebäudes erscheint, dem Orchester der Wiener Symphoniker, dem Orgelmeister Franz Schütz, der ebenfalls bedeutende Aufgaben meisterhaft löste, und mit dem ausgezeichneten Solisten-Ensemble, bildet ein Ruhmesblatt in der 125jährigen Geschichte der Gesellschaft der Musikfreunde, aber auch ein Ehrenmal für den Dirigenten und alle Ausführenden. Die ganz ungeheuren Schwierigkeiten des Werkes wurden restlos überwunden. Der Eindruck der künstlerisch vollendeten Aufführung war überwältigend, die Begeisterung der Zuhörer schier grenzenlos. Franz Schmidt, nach schwerer Krankheit dem Leben wiedergegeben, wurde als ein Held der Kunst gefeiert.
„Völkischer Beobachter“, 9. Juni 1938
In allernächster Zeit steht dem musikalischen Wien ein Ereignis besonderer Art bevor. Oswald Kabasta, der im Dienst der deutschen Sache unermüdlich wirkende Konzertdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde, wird in dem aus Anlaß des hundertfünfundzwanzigjährigen Bestehens der Gesellschaft veranstalteten Festkonzert, das von Franz Schmidt der Gesellschaft zu dieser Feier gewidmete Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“ aus der Offenbarung des Johannes zur Uraufführung bringen. Es ist ein abendfüllendes Werk mit Gesangssolopartien, Chor, Orgel und Orchester. Wie Franz Schmidt selbst sagt, ist der Versuch, die Apokalypse zusammenhängend zu vertonen, neu und noch von niemand unternommen worden. Die Schwierigkeit liegt darin, den Text so zu gestalten, daß alles Wesentliche womöglich dem Wortlaut nach erhalten bleibe und zugleich die überdimensionierte Form auf ein im Konzertsaal erträgliches Maß reduziert werde. Der Komponist hat sich streng an das Textoriginal gehalten und sich nur dort Freiheiten erlaubt, wo sie künstlerisch gerechtfertigt erscheinen. So wird beispielsweise Johannes, der zur Zeit der Abfassung der Apokalypse ein Greis war, als junger Mann aufgefaßt, was auch in der Musik zum Ausdruck kommt. Der Text des Werkes ist nicht nur gewissermaßen Knochengerüst der Komposition, sondern nimmt auf das Wachstum der einzelnen Gestalten maßgeblichen Einfluß.
„Das deutsche Echo, Nr. 131“
Das Großwerk ist von einer Zeitnähe (Ringen gegen finstere Kunst- und Kulturmächte) und einer bezwingenden Wirkung. Kabasta war der siegreiche Feldherr des Abends. Schmidt wurde stürmisch bejubelt von Hörern und Ausführenden, er und die Solisten mußten sich immer wieder am Podium zeigen.
„Völkischer Beobachter“, Dr. Friedrich Bayer, 16. Juni 1938
Ein künstlerisches Ereignis von besonderer, einmaliger Art hält das musikalische Wien in Atem. Ein reifer Meister, einer unserer Großen, sagen wir es nur: der bedeutendste lebende österreichische Symphoniker, Franz Schmidt, hat uns mit einem abendfüllenden Werk beschenkt, das Oswald Kabasta im dritten Chorkonzert der Gesellschaft der Musikfreunde aus der Taufe gehoben hat. Für den Wiener Boden, der, energiegeladen, allenthalben Musik ausstrahlt, sind Uraufführungen an sich bedeutsame Augenblicke, in denen das hohe Allgemeininteresse an zeitgenössischer Musik Höhepunkte erlebt. Für neues ist der Wiener immer zu haben, dafür sorgt schon seine angeborene Neugier. Handelt es sich nun gar um Uraufführungsabende anerkannter Tondichter, ist das ganze Musik-Wien auf den Beinen, um dem Meister und seinem Werk die gebührende Ehre zu erweisen. Im Falle Franz Schmidt ist es heute so gewesen.
Während dieser Stille erzählt uns Johannes gleichsam in Paranthese die Geschichte des wahren Glaubens und seiner Kirche von der Geburt des Heilandes angefangen, von ihren Kämpfen gegen die Anhänger des Teufels und deren falsche Lehren, und von ihrem endgültigen Sieg. Nach dem großen Schweigen im Himmel, das bis an das Ende aller irdischen Zeit während anzunehmen ist, rüsten die sieben Posaunenengel zum Blasen des schauerlichen Appells für das jüngste Gericht. Über dieses selbst berichtet Johannes wie im Original nur kurz, um aber um so eindringlicher darzulegen, daß die Weltenwende angebrochen sei, daß nunmehr eine neue Erde jene trage, die das ewige Leben haben, und daß ein neuer Himmel über ihnen blaue. Der Herr spricht zu den Geläuterten, daß er mit ihnen wohnen und sie seine Kinder sein und er ihr Vater sein werde. Nachdem die Geläuterten dem Herrn mit Hallelujah gedankt und gehuldigt haben, schließt Johannes seine Offenbarung mit einer kurzen erläuternden Abschiedsansprache ab. „Das Buch mit sieben Siegeln“ ist ein richtiggehendes Oratorium mit Solo-, Ensemble- und Chorpartien, Orgelzwischenspielen, vom Orchester zum Teil rein musikalisch begleitet, zum Teil dramatisch charakterisiert, illustriert. Die Worte des Oratoriums sind der Apokalypse („aus der Offenbarung des Johannes“) entnommen, deren reichlichen Wortschwall der Komponist eindämmen und auf ein erträgliches Maß reduzieren mußte. Sinnstörende Kürzungen zu vermeiden, mag da nicht immer ganz leicht gewesen sein. Indem Schmidt die Briefe des Johannes an die sieben Gemeinden zu einer Begrüßungsansprache zusammenfaßt, hielt er sich streng an das Original. Die Berufung Johannis durch den Herrn, sein Erscheinen vor dem Thron, die Huldigungszeremonie, das Buch in der Hand des Herrn, die Vision des Lamms, das Entgegenneahmen des Buches durch das Lamm, all dies hat der Komponist nahezu im Wortlaut dem Original nachgebildet. Der anschließende kurze Dankgottesdienst rundet, wie sich Schmidt selbst in seiner Erläuterung des Werkes ausdrückt, den Akt zu einem „Prolog im Himmel“ ab. Lassen wir den Tondichter schildern, wie der erste Teil des Oratoriums im Rahmen der Lösung der ersten sechs Siegel durch das Lamm die Geschichte der Menschheit vorauserzählt.
„Nach segens- und hoffnungsreicher Ausbreitung der christlichen Heilslehre durch den weißen Reiter (Jesus Christus) und seine himmlischen Heerscharen verfällt die Menschheit in Nacht und Wirrsal. Der blutrote Reiter überzieht die Welt mit seinen höllischen Heerscharen und stürzt die Menschheit in den Krieg aller gegen alle. Der dritte (schwarze) und der vierte (fahle) apokalyptische Reiter führen weiterhin die Folgen des Krieges vor: Hungersnot und Pest. Die Menschheit ist zum größten Teil zugrunde gegangen und in Verzweiflung versunken. Nur ein kleiner Rest hält noch am Glauben fest. Beim Aufbrechen des fünften Siegels treten die Seelen der Glaubensmärtyrer und anderer Opfer menschlicher Verbrechen in Erscheinung. Sie rufen nach Gerechtigkeit und Vergeltung. Der Herr heißt sie noch ausharren und verspricht ihnen Gerechtigkeit am Tage des großen Gerichtes. Da der größte Teil der noch übrigen Menschheit auch weiterhin in Sünde und Verstocktheit verharrt, vertilgt sie der Herr durch Erdbeben, Sintflut und Weltbrand, was durch das Aufbrechen des sechsten Siegels offenbar wird.
Das der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zum hundertfünfundzwanzigjährigen Bestand gewidmete Werk hatte durchschlagenden Erfolg. Der anwesende Komponist wurde im Verein mit den Solisten stürmisch umjubelt und konnte das erhebende Gefühl aus dem Konzert mit sich tragen, die an sich würdige Feier der Gesellschaft durch seine herrliche Musik ganz besonders festlich gestaltet zu haben.

„Feinschwarz“, Elisabeth Birnbaum, Direktorin des österreichischen Bibelwerkes, 31. Juli 2020
Wer Franz Schmidt auf die Idee brachte, sein Werk zu schreiben, ist nicht sicher. Viele, darunter auch ein enger Freund Schmidts, vermuten den Dirigenten Oswald Kabasta als Inspirationsquelle. Dieser, Katholik und Parteimitglied der NSDAP, habe ihn in den frühen Dreißigerjahren davon überzeugt, dass „katholisch Trumpf sei und er die Apokalypse des Johannes vertonen müsse.“[1] Kabasta dirigierte auch die Uraufführung, ebenso wie später einen (von Schmidt unvollendeten) Jubelhymnus auf den Führer.
Die „Offenbarung“ war nicht nur in Zeiten des Austrofaschismus, sondern auch des Nationalsozialismus ein beliebtes Buch. Nicht nur wegen der Idee eines heilbringenden „tausendjährigen“ Reiches, das als „ewiges“ Reich, als „Endphase der nationalsozialistischen ‚Heilsgeschichte‘“ verstanden wurde.[2] Auch die Endzeit-Szenarien, die schrecklichen Plagen und Kriege als unumgängliche Vorboten der Erlösung, die Verdammung der Feinde und der Sieg der Erwählten schienen geeignete Motive zu sein, die bewegte Zeit zu deuten. Von Feinden des Nazi-Regimes ebenso wie von Freunden: „Vielerorts wurde die Apk [=Offb] in Deutschland am Sonntag nach der Reichspogromnacht (13.11.1938) als gottesdienstliche Lesung benutzt.“[3]
Die Vision der biblischen Johannes-Offenbarung gipfelt in einem erneuerten, endzeitlichen Jerusalem. Unter Rückgriff auf Ezechiels große Tempelvision wird die neue „heilige Stadt Jerusalem“ beschrieben: Sie ist prachtvoll und kostbar, erleuchtet von der Herrlichkeit des Herrn, bewohnt von Gott selbst und dem „Lamm“ (Offb 21). Im Oratorium dagegen fehlt jeder Hinweis auf Jerusalem. Der neue Himmel und die neue Erde entstehen an keinem bestimmten Ort. Es gibt keine Erwählten aus Israel (vgl. Offb 7,4–8). Die Bedrohung und Errettung der Stadt spielt keine Rolle. Die Vision wird aus seinem Israel-Kontext entwurzelt und universalisiert. Das betrifft auch den Messias selbst, „das Lamm“ Gottes. Er wird in Offb 5,5 eingeführt als „Löwe aus dem Stamm Juda“ und „Wurzel Davids“. All das wird im Oratorium ersatzlos gestrichen.
Christus wird durch wenige Auslassungen entjudaisiert. Die Erlösten sind folgerichtig auch nicht mehr Juden und Heiden, die sich zu Jesus bekennen, sondern Christen ohne Vergangenheit und Verortung. Ein anderes, viel weniger durchgängiges Motiv der biblischen Offenbarung wird hingegen sehr wohl erwähnt: In der „Offenbarung“ ist von einer tausendjährigen Herrschaft die Rede (Offb 20). In dieser Zeit ist der Satan gefesselt: Das Oratorium zitiert die Verse 2–3: „Und er [der Engel, Anm. d. V.] ergriff den Drachen, die alte Schlange, die da heisset auch der Teufel und Satan, und band ihn für tausend Jahre. Und warf ihn in den Abgrund und verschloss und versiegelte ihn über ihm, dass er nicht mehr verführen sollte die Völker der Erde.“ In Schmidts Opus endet der Vers hier. In der Bibel nicht. Der Vers setzt fort mit: … „bis vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er losgelassen werden eine kleine Zeit (Offb 20,3c).“ In der Bibel ist der Sieg über den Satan also noch nicht das Ende. Es gibt ein Danach. Bei Schmidt hingegen wird die tausendjährige Herrschaft über den Satan zum endgültigen End- und Schlusspunkt der Geschichte.
Es könnte nun auch etwas zu Oswald Kabasta geschrieben werden, der im Juni 1938 die Uraufführung dirigierte. Über einen, der es auf die Liste der weißen Reiter schaffte, einen, nach dem Gassen in der Gegenwart benannt sind, einen, den ein Unterrichtsminister fest an der Wiener Staatsoper …
Ein österreichischer Maler, Hubert Lanzinger, malte Jahre vor diesem Juni 1938 bereits einen weißen Reiter, den Anführer, ausgestellt auch 1937 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“, in der als einzige Malerin aus Österreich —

Wie richtig ihm, Franz Schmidt, dem namentlich Gepriesenen, sein werbendes Bekenntnis zum sogenannten Anschluß Österreichs an das tausendjährige deutsche reich gewesen sein muß, werden die gedruckten Worte am Vorabend der sogenannten Volksabstimmung noch einmal bestätigt haben.
„Völkischer Beobachter“, Dr. Friedrich Bayer, 9. April 1938
Als gelegentlich des Empfanges im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg Reichsminister Dr. Joseph Goebbels zu uns Kunstschaffenden sprach, warf er die heikle Frage auf, ob man denn von einer Gegenwartskunst in Österreich überhaupt sprechen könne, da man sie nicht sehe oder sie bisher nicht gesehen habe. Daß der Reichsminister — Gott sei’s geklagt, mit vollkommener Berechtigung— diese Frage anschneiden konnte, beweist, unter welch grauenvoll erschütternden kulturellen Verhältnissen wir im Systemösterreich zu leben gezwungen waren, vor welchem Abgrund wir standen. Wenn man sich die Aufgabe stellt, über das Kunstgebiet der Musik zu sprechen, so tritt uns zunächst die wertvollste Gesellschaftsschicht der Musikerschaft entgegen, die Gilde der schaffenden Musiker. Welche Möglichkeiten waren dem Tondichter ernster Richtung geboten, im Schuschnigg-Österreich seine Fähigkeiten und Kenntnisse zur Entfaltung zu bringen? Gar keine. Das musikkulturelle Leben lag zur Gänze in den Händen jener hauchdünnen Oberschicht von Intellektuellen, die in Presse, Rundfunk, Theater und Konzert bestimmten, was als fortschrittlich oder rückständig, was als typisch österreichisch zu gelten hatte. Das Untalent wurde künstlich emporgelobt, sofern es entweder den rassischen Anforderungen der Clique entsprach, oder als ungefährlicher, kritik- und widerstandsloser Mitläufer gelten konnte. Was in den Jahren seit dem Novemberumsturz an Werken ernster Komponisten zur Aufführung kam, war, abgesehen von einigen wenigen überragenden Namen, die man einfach nicht umgehen konnte, üble Mache land-und volksfremder Elemente, für die kritik- und urteilslose Masse berechnet. Ja selbst Meister wie Richard Strauß, Hans Pfitzner, Franz Schmidt und Joseph Marx, die lebenden Großen unserer Nation, wurden unter der raffiniert eingeschmuggelten Devise „Klassiker zu Lebzeiten“ diffamiert und als überholt, unzeitgemäß und veraltet abgetan. Ähnlich, wenn nicht schlimmer, stand es um die Tonsetzer der heiteren Muse. Das Metier hätte dem Juden so auf die Dauer gepaßt. Da brauchte er sich um kein „Ethos in der Musik“ zu kümmern, da konnte er dem verdorbenen Kunstproletariat schmutzige, schlüpfrige Erotik, im besten Falle verlogene, unaufrichtige Sentimentalitätsduselei als volkstümliche, bodenständige Musik vorsetzen. So war es bei uns, so war es im Reich. Da kam der reinigende Sturmwind des 30. Jänner 1933. Wie Spreu vom Weizen sonderte sich die international-intellektualistische Musikmache von völkischer, gefühlsmäßig gebundener Musik und zerstob nach allen Himmelsrichtungen ins Ausland. Das verdankte man damals dem Führer. Wie ein Strom ergoß sich eine Menge junger Talente über das vom Druck befreite Reich und schuf eine neue Richtung, die, an Altbewährtes anknüpfend, eigene Wege geht. Neidvoll mußten wir Österreicher abseitsstehen, den Aufschwung jenseits der Staatsgrenzen dem Niedergang im eigenen Lande gcgenüberstellend. So ist es Gottes Fügung, daß der 10. April 1938 ins Land zog, an welchem Tag ein gnädiges Geschick dem deutschen Musiker in Österreich die Gelegenheit bietet, dem Führer für alles Gute zu danken. Willst du, deutscher Tondichter, daß deine Werke den ihnen gebührenden Platz im Musikleben wieder einnehmen, willst du, deutscher Komponist symphonischer und dramatischer Werke, wieder Herr im eigenen Haus sein, dann folge heute wie immer der Stimme deines Blutes und bekenne dich zum Führer! Es soll dein Schaden nicht sein.
Denk aber nicht nur an dich! Denk vor allem an die andern, mit denen du die große Gemeinschaft des Volkes bildest und hilf mit am Einigungsakt der deutschen Nation! Hatten die schaffenden Musiker im System-Österreich harten Existenzbedingungen gegenübergestanden, so hatten es die nachschaffenden Künstler nicht um ein Haar besser. Vergegenwärtigen wir uns nur einmal den Leidensweg, den beispielsweise eine Sängerin zu durchschreiten hatte, wenn sie auf anständige und ehrliche Weise Karriere machen wollte. Konzertdirektionen, Theateragenturen und Bühnen in jüdischem Besitz oder zumindest unter jüdischem Einfluß stehend (die Staatstheater des verflossenen Systems nicht ausgenommen). Wohin auch der arische Künstler sich wandte, überall stieß er auf die stahlharte Mauer, auf die geschlossene Phalanx
Für dieses Wort muß das Zitat aus dem völkischen beobachter kurz unterbrochen werden. „Phalanx“, ein Wort, auf das in der Gegenwart immer wieder zu stoßen ist, bei Männern und Frauen, deren rechte Beobachtung „den Rassefremden“ —
der „Alliance israelite universelle“, die den Rassefremden nur dann in ihren Kreis aufnahm, wenn er sich den weltanschaulichen Grundsätzen des Weltjudentums unterordnete, gewissermaßen einer der Ihren wurde. Nicht anders erging es den Instrumentalisten. Um eigene Abende zu geben, fehlte es am nötigen Kleingeld, und auf eine Aufforderung zur Mitwirkung in Orchesterkonzerten konnte man lange warten. Und die Dirigenten? Wehe, wenn es einer wagen sollte, uns Nationale aufzuführen oder völkisch eingestellte Solisten zu beschäftigen! Das geringste, das ihm widerfuhr, war, in der Judenpresse totgeschwiegen zu werden. Das nächste Mal wußte man es dann schon, mit wem man es zu tun hatte. Es gab solche Helden der Gesinnung, deren Namen der breiten Öffentlichkeit mit allem Nachdruck zur Kenntnis gebracht werden müssen. Leopold Reichwein, Oswald Kabasta, Karl Auderieth, Anton Konrath, sie alle sind in manchen Belangen Vorkämpfer des Dritten Reiches geworden. Darum, deutscher reproduzierender Künstler, bedenke eines. Wenn du als Sänger oder Instrumentalsolist wieder vor das Publikum hintreten kannst, weil man dir zuvor den jüdischen Revolutionsschutt bereitwilligst aus dem Weg geräumt und die Bahn wieder freigemacht hat, wenn du, deutscher Dirigent,als freier Mann im freien Land nunmehr Herr deiner künstlerischen Entschließungen bist und, ungehindert durch erzwungene Rücksichtnahme auf Verleger, Konzertdirektoren und Agenten, diejenigen Werke aufführen darfst, die du für gut und aufführenswert hältst, wenn endlich du, deutscher Musiker, der du vom Produktionsprozeß des Rundfunks bisher geflissentlich ausgeschaltet warst, jetzt auch dein Scherflein zur deutschen Kunst auf drahtloser Welle beitragen kannst — dann verdanken wir alle das dem unvergleichlichen Führer der Nation, der aus uns armen, gequälten, geknechteten, jeder Lebenslust und Arbeitsfreude beraubten Seelenkrüppeln wieder gesunde, frohe, aufrechte deutsche Menschen gemacht hat. So steigt in unseren Herzen ein Gefühl mächtig hoch, das alle anderen Empfindungen in den Hintergrund drängt und allgewaltig zum Durchbruch kommt: das Gefühl des innigsten, ergebungsvollsten Dankes, den wir kleinen, ärmlichen Seelen dem großen, reichen Geist abstatten dürfen. Was hat der Führer nicht alles für uns getan. Das Selbstbewußtsein hat er uns zurückgegeben. Ein arbeitsreiches Leben läßt dem Kunstenthusiasten nur wenig Zeit, Musik zu genießen. Und dennoch spart sich der Führer ein paar kostbare Minuten ab, um einige Takte „Tristan“ in der Oper oder ein Bruckner-Scherzo im Konzert zu erhaschen. Wer mit solcher Liebe an der Tonkunst hängt und sie als dringendes Lebensbedürfnis empfindet, dem kann man nur seine tiefe Dankbarkeit in Ergebenheit zu Füßen legen.

Was ihm, Franz Schmidt, „dein Schaden nicht“ war, konnte er nur kurz genießen, denn schon am 11. Februar 1939 kehrte er, Franz Schmidt“ heim zu seinem ersten Herrn, dessen Antlitz auf Erden er nicht weiter schauen und nicht mehr vervollkommnet tonreich bejubeln …
„Das kleine Volksblatt“, 18. Februar 1939
Der Heimgang des Komponisten Franz Schmidt
Zum Ableben des großen Musikers der Ostmark Franz Schmidt versammelten sich gestern um 14 Uhr zunächst die engsten Berufskameraden des Verstorbenen zu einer internen Trauerfeier der Philharmoniker, an der lediglich die Orchestermitglieder teilnahmen und Professor Wilhelm Jerger Gedächtnisworte sprach. Um 15 Uhr fanden sodann die offizielle Trauerfeier im Großen Musikvereinssaale statt, wo der Tote an der Stätte seines langjährigen Wirkens aufgebahrt war. Unter den zahlreichen Freunden und Verehrern, die dem verstorbenen Künstler bei der Trauerfeier die letzte Ehre erwiesen, befanden sich auch Reichsstatthalter Dr. Seyß-Inquart und Minister Dr. Fischböck.
Die Trauerfeier leitete ein Orgelvorspiel ein, worauf Franz Schütz und Wilhelm Jerger das Wort zu Abschiedsgrüßen ergriffen. Beide Redner feierten den Verstorbenen als einen großen Musiker und schilderten seine künstlerische Persönlichkeit. Im Verlaufe der Ansprache wurde bekanntgegeben, daß Franz Schmidt sein letztes großes symphonisches Werk mit dem symbolhaften Titel „Des deutschen Volkes Auferstehung“ nicht mehr vollenden konnte. Zum Abschied erklang unter der Leitung des Grazer Operndirektors Rudolf Moralt das Adagio aus der Siebenten Symphonie Anton Bruckners, das vom gesamten Philharmonischen Orchester gespielt wurde. Sodann wurde der Sarg gehoben und der Trauerzug begab sich zur Karlskirche, wo die feierliche Einsegnung des Leichnams stattfand. Bei der Beerdigung auf dem Zentralfriedhof in einem Ehrengrab der Gemeinde Wien sandte ein Hornoktett der Philharmoniker dem toten Kameraden die letzten Grüße nach.
„Bleibt nur zu hoffen, dass auf diese Wiedergabe weniger apokalyptische Zeiten folgen als auf die Uraufführung anno 1938.“ So steht es geschrieben, am 7. Oktober 2022, in der Tageszeitung des österreichischen Medienstandards, als ob …
Die apokalyptischen Zeiten aber, die auf die Uraufführung folgten, kamen nicht von irgendwo herab auf die Menschen, in diese wurden die Menschen nicht als daran unschuldige Menschen gestellt, die apokalyptischen Zeiten waren der Menschen Werk, herbeiposaunt auch von jenen, die im Musikverein —

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