Welche Stadt, welche Ansiedlung in den Bergen, welches Dorf unten in den Tälern auch immer im Sommer besucht wird, Urlaubende auferlegen sich die erste Urlaubspflicht, gläubig oder nicht, Kirchen zu besuchen, muß, in einem Café auf dem Platz vor dem Dom in S. beim Anblick der Massenurlaubsprozessionen in den Dom, gedacht werden. Sie gehen in die Kirchen hinein, nicht um dem Domherrn zu besuchen, zu huldigen, sondern, so ist es massenhaft zu hören, die Kunst in den Domen zu bestaunen, die Kunst in den Kirchen, die unbedingt, so ist es massenhaft zu hören, zu besichtigen ist.
Aber die Kunst in den Kirchen ist die Kunst, von der Eric Arthur Blair schrieb, die Propaganda ist. Allerdings sagte er dies über alle Kunst. Alle Kunst sei, so Blair, Propaganda.
Er hätte es einschränkend formulieren müssen, vielleicht so:
Die Kunst in den Kirchen ist Propaganda, weil alle Kirchen Propaganda sind.
Und was ist das für eine Propagandakunst in den Kirchen. Es ist eine einfältige Kunst, eine auf wenige Motive absolut beschränkte Reklamekunst. In jedweder Kirche stets dasselbe. Es sind immer die nach dem angeblich vom Domherrn verfaßten Werbeleitkatalog angefertigten und anzufertigenden Propagandawerke. Von so vielen Künstlerinnen. Als wäre alle Kunst in den Kirchen von einer einzigen Künstlerin, die auf wenige durch den Werbeleitkatalog absolut vorgegebenen und absolut einzuhaltenden Motive, die wohl auch domherrngefällig ebenso fixiert und einfallslos und dankbar, sich nicht selbst Motive —
Es sind, was in Kirchen vorzufinden ist, nichts weiter als Verfielfältigungen eines Sujets, wie die Serien etwa von Suppendosen, Coca-Flaschen eines Andy Warhol, bloß mit dem einen Unterschied, daß es Wiederholungen von Hunderten, von Tausenden Warhols —
Kirchen bestehen aus nichts anderem als aus Gleichartigem, deren Herstellungsgrund einzig Propaganda ist. Und für diese Propagandakonservendosen werden gerade in den Urlaubswochen Kirchen über Kirchen besucht, für diese Propagandakonservendosen wird darüber hinaus auch Eintritt bezahlt, um die Kathedralen der Propaganda betreten zu dürfen, werden lange, lange Wartezeiten in Kauf genommen, um beispielsweise den Dom in S. betreten zu dürfen. Und Frauen lassen sich verordnen, ihre nackte Schultern zu bedecken. Wenn sie selbst keine Textilie bei sich haben, um ihre Schultern zu bedecken, bekommen sie im kirchlichen Gebäude selbst ein ideologisch nicht abbaubares Wegwerftuch aufgedrängt, mit dem sie sich ihre Schultern bedecken müssen, während im Propagandadom ihnen dann präsentiert werden: aufreizende nackte Frauenpopos, die Domherren erotisierende Putten, also nackte Kindergestalten —
Sie, die Urlaubenden, schlendern dann etwa auf einem Domfußboden, in den eingelassen sind Darstellungen von Massakern, Tötungen, auch etwa das Ermorden von einem Kleinkind, das der Mutter entrissen wird, die, so ist sie dargestellt, darüber entzückt zu sein scheint, als wäre das höchste Mutterglück, wenn ihr Kind ermordet wird, da auch ein Kind nach diesem Werbeleitkatalog schuldig ist, auch wenn sonst, außerhalb von diesen martialischen und pornographischen Gebäuden lange schon die Ansicht sich durchgesetzt hat, Kinder sind unschuldig —
Im Café vor dem Dom in S. beim Betrachten der willig stundenlang wartenden Urlaubenden mit dem abgezählten Eintrittsgeld in der einen Hand und dem Smartphone in der anderen Hand kommt das Reichstagsgelände in Nürnberg in den Sinn. Und damit die Vorstellung, wie es wäre, wenn es für den Besuch des Reichstagsgeländes in Nürnberg wie etwa im Dom von S. Bekleidungsvorschriften gäbe, nicht nur gesinnungsentsprechende Bekleidungsvorschriften für Frauen, sondern auch für Männer, die beim Besuch des Reichstagsgeländes beispielsweise SS-Uniformen anzuziehen hätten, die Besuche des Reichstagsgeländes so wie die Besuche der Kirchen ohne jedwede Aufklärung, ohne jedwede Information über die massenhaften Verbrechen passierten, die Besuchenden des Reichstagsgeländes einzig wie in den Kirchen der Propaganda allein ausgesetzt —
Auf dem ehemaligen Reichstagsgelände in Nürnberg des untergangenen massenpropagandistischen Terrorregimes der Massenmorde und der Massenverbrechen jedoch gibt es ein Dokumentationszentrum, für dessen Besuch zwar Eintritt zu zahlen ist, aber keine Bekleidungsvorschriften, keine Propaganda, dafür aber umfassende Aufklärung und Informationen über …
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