Eine Gewagtheit

Am 1. März 2023 ist in der Tageszeitung des österreichischen medialen Qualitätsstandards ein Artikel zur Menschheitsgeschichte zu lesen:

„Wo unsere Vorfahren den Höhepunkt der Eiszeit überlebten – Größte Genomanalyse eiszeitlicher Menschen zeigt zum Teil überraschende Migrationen der Jäger und Sammler über einen Zeitraum von 30.000 Jahren“ —

Klaus Taschwer berichtet von Studien.

Die 125 Wissenschafterinnen und Wissenschafter unter anderem der Universitäten Tübingen und Peking sowie des Max-Planck-Instituts (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben für ihre große Studie, die am Mittwoch im Fachblatt „Nature“ erschien, die Genome von insgesamgt 356 prähistorischen Individuen aus 30.000 Jahren untersucht – darunter neue Genomdatensätze von 116 Individuen aus 14 verschiedenen europäischen und zentralasiatischen Ländern.

„356 prähistorische Individuen, 116 Individuen“ … Wenn das nicht gewagt ist, wenn das nicht mutwillig ist, wenn das nicht hochgradig spekulativ ist, anhand von 356, anhand von 116 Individuen die gesamte Geschichte der Menschen dieser seit Jahrtausenden vergangenen Zeit in Europa …

Die älteste Kultur, die vom Team um Erstautor Cosimo Posth (Uni Tübingen) untersucht wurde, war die des sogenannten Gravettien, das ab etwa 30.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung für rund 8.000 Jahre in Europa dominierte.

„Dominierte.“ Ein gewagtes Wort. Wenn bedacht wird, wie äußerst dünn Europa damals besiedelt war. Wochenlang, Monatelang, womöglich jahrelang in Europa ein Mensch umhergehen konnte, ohne einen anderen Menschen zu treffen. Freilich, ebenfalls eine Spekulation. „Dominierte“, den riesigen Kontinent Europa —

Seine Angehörigen verwendeten ähnliche Waffen und produzierten ähnliche, mit Tiergesichtern verzierte Schnitzereien. Die Analysen der alten DNA brachten aber eine Überraschung: Trotz ähnlicher Kultur waren die Populationen im Westen und Südwesten (heutiges Frankreich und Iberische Halbinsel) von den zeitgleich lebenden Populationen in Zentral- und Südeuropa (heutiges Tschechien und Italien) genetisch sehr verschieden.

„Überraschung: trotz ähnlicher Kultur waren die Populationen im Westen und Südwesten […] von den zeitgleich lebenden Populationen in Zentral- und Südeuropa […] genetisch sehr verschieden.“ Was ist die Überraschung daran? Es gibt heutzutage Untersuchungen, die eine genetische Verschiedenheit von Menschen zwischen zwei Stadtteilen größer als die von Menschen zwischen Moskau und Johannesburg, zwischen Südpol und Nordpol —

Was für eine Geschichte könnten die Wissenschafterinnen erzählen, wenn sie andere Individuen gefunden hätten, vielleicht auch 356, vielleicht auch 116, gleich daneben … aber vielleicht werden von Wissenschaftern die noch gefunden und ebenfalls untersucht werden. Das wird dann wieder ein spannender Bericht in der Tageszeitung des österreichischen Medienstandards, vielleicht sogar wieder von Klaus Taschwer gewesen sein.

„356, 116 Individuen.“ Umfragen, die heutzutage gar so beliebt sind, mit 356 oder gar nur 116 Befragten in einem Land, in dem wie in Österreich rund neun Millionen Menschen leben, wird kein Mensch als repräsentative, als seriöse, als gültige Aussagen zu welchem Thema auch immer …

Es wird auch kein Mensch, der beispielsweise vom Gang aus im Vorübergehen von einem Gespräch in einem Kellerforschungslabor 356 Wörter hört, redlich sagen können, er wisse um die gesamte Unterhaltung, in der 356.000 Wörter gesprochen wurden, kein Mensch wird von im Vorübergehen gehörten 116 Wörtern eines mit 116.000 Wörtern geführten Gesprächs den gesamten Inhalt dieses redlich wiedergeben können …

Als weiterer eiszeitlicher Rückzugsort galt bisher die italienische Halbinsel. Für diese These fand das Team allerdings keine Belege, im Gegenteil: Die in Zentral- und Südeuropa lebenden Jäger und Sammler der Gravettien-Kultur sind dort nach dem Kältemaximum genetisch nicht mehr nachweisbar und gelten damit als ausgestorben. Stattdessen ließen sich dort Menschen mit einem neuen Genpool nieder.

Vielleicht haben sie bis jetzt bloß keine „Belege“ dafür gefunden, daß die „Jäger und Sammler“ nicht „ausgestorben“ …

Wenn bedacht wird, wie heutzutage gejagt und gesammelt wird, vor allem Schnäppchen, wer könnte je meinen, sie seien ausgestorben

„Großer genetischer Austausch“

Anhand der analysierten Genome ließ sich zudem nachvollziehen, dass sich die Nachfahren dieser frühen Einwohner der italienischen Halbinsel dann vor etwa 14.000 Jahren über ganz Europa verbreiteten und dabei die Gruppen verdrängten, die mit der sogenannten Magdalenien-Kultur assoziiert waren. Die Forschenden sprechen in dem Zusammenhang von einem „großen genetischen Austausch“. Grund waren möglicherweise ebenfalls klimatische Veränderungen, auf die Menschen durch Wanderung reagierten. Der älteste Beweis für die Wanderbewegung während der Klimaerwärmung: Schädel eines Mannes und einer Frau, die vor rund 14.000 Jahren im Westen des heutigen Deutschland (Oberkassel) bestattet wurden. Genetisch stammen sie aus dem Süden. Was war der Grund dafür? „Damals erwärmte sich das Klima in kurzer Zeit deutlich, und Wälder breiteten sich in ganz Europa aus. Möglicherweise war dies für die Menschen aus dem Süden Anlass, ihren Lebensraum auszuweiten“, vermutet Johannes Krause, Letztautor der Studie und einer der Direktoren des MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Die früheren Bewohner hingegen könnten mit dem Schwund ihres Lebensraumes, der Mammutsteppe, verdrängt worden sein.“

Bei der riesigen Ausweitung des Lebensraumes bei der damals gleichzeitig äußerst dünnen Besiedelung von einem „Schwund des Lebensraumes“ zu schreiben, das ist äußerst gewagt, äußerst mutwillig, äußerst spekulativ.

In dieser etwas wärmeren Zeit breiteten sich schließlich auch der Ackerbau und eine sesshafte Lebensweise von Anatolien nach Europa aus. Diese Einwanderung der frühen Bauern aus der heutigen Türkei dürfte einen endgültigen Rückzug der Jäger und Sammler an den nördlichen Rand Europas ausgelöst haben – und gleichzeitig begann eine genetische Vermischung zwischen beiden Gruppen, die fast 3.000 Jahre andauerte.

„Einwanderung.“ Von „Einwanderung“ in einer vorstaatlichen, in einer vornationalen Zeit zu schreiben, ist ebenso gewagt, ebenso mutwillig, ebenso spekulativ. Staaten kamen erst Jahrtausende später auf. Auf einer staatenlosen Erde muß ein Mensch nirgendwo einwandern. In einer staatenlosen Welt gibt es kein Auswandern, kein Einwandern. Und bei dieser damaligen äußerst dünnen Besiedelung kann ein Mensch einem anderen Menschen seinen Lebensraum nicht genommen, nicht vertrieben, nicht einmal ein wenig eingeschränkt haben.

Die „Einwanderung der frühen Bauern […] dürfte einen endgültigen Rückzug der Jäger und Sammler an den nördlichen Rand Europas ausgelöst haben – und gleichzeitig begann eine genetische Vermischung zwischen beiden Gruppen.“ Also sind doch nicht alle „Jäger und Sammler“ an den „nördlichen Rand“ … Mutwillig, gewagt, spekulativ. Und dabei doch alles so präsentiert, als wäre dies alles abgesichert belegt, unumstritten erwiesen … und ist doch nur zu werten wie eine Umfrage mit 356, 116 Befragten, oder, wie die Aussage eines Menschen, er habe das gesamte Gespräch mit 356.000 Wörtern gehört, obgleich er nur 356 Wörter von diesem hörte, er kenne das gesamte Gespräch mit 116.000 Wörtern, obgleich er von diesem nur 116 Wörter …

Zudem zeigen die neuen Studienergebnisse, dass es für mehr als 6.000 Jahre keinen genetischen Austausch zwischen den Jägern und Sammlern Westeuropas und ihren Zeitgenossen in Osteuropa gab. Begegnungen zwischen Menschen des zentraleuropäischen Kontinents und des osteuropäischen Raums (heutiges Baltikum und entlang der Wolga) lassen sich erst wieder für die Zeit vor 8.000 Jahren nachweisen. Diese Gruppen hatten nicht dieselbe Haut- und Augenfarbe und unterschieden sich auch in anderen Merkmalen.

„Diese Gruppen hatten nicht diesselbe Haut- und Augenfarbe und unterschieden sich auch in anderen Merkmalen.“ Das läßt daran erinnern, daß ein Synonym für Anthropologie „Rassentheorie“… „Rassenkunde“, der heutzutage als veralteter Begriff gilt, ein Zweig der Anthropologie

„Der große Austausch.“

Wie wird dafür seit einer Ewigkeit und drei Tagen besonders eine österreichische Parlamentspartei gescholten, die vom „großen Austausch“ … Ebenso mutwillig, ebenso gewagt, ebenso spekulativ, und es wird ihr, nicht nur dieser Partei, gesinnungsgemäß verschwörerisch gefallen, ihren abenteuerlichen Theorien diese ihren beifügen zu können, als eine unverdächtige, als eine seriöse, weil ja eine wissenschaftliche, die die ihre beweisen, es sei so schon einmal gewesen und es könne so wieder gewesen werden …