Zadie Smith zitiert in ihrem Nachwort zu „Rezitativ“ eine „höchst nützliche Zusammenfassung, die wir uns ausschneiden“,
Ich habe in diesem Essay viel über diskriminierende Strukturen geschrieben. Allerdings nur vage, metaphorisch, so wie heutzutage viele darüber sprechen. In einer Rede an der Howard University im Jahr 1995 wurde Morrison konkreter. Sie hat das Ganze mit wissenschaftlicher Methodik aufgeschlüsselt. Eine höchst nützliche Zusammenfassung, die wir uns ausschneiden und aufheben sollten, um immer wieder darauf zurückzugreifen, denn wenn wir hoffen, die Strukturen der Unterdrückung einmal niederzureißen, kann sie uns auf jeden Fall helfen zu ergründen, wie sie aufgebaut sind:
die ebenso wie „Rezitativ“ alle lesen sollten, nicht nur in den USA,
sondern in vielen, vielen Ländern, weil sie eben auf die zurzeitigen Vorgänge, Machenschaften in vielen,
nicht nur in Österreich, zutrifft:

Wir dürfen nicht vergessen, dass es, ehe es zu einer abschließenden Lösung kommt, eine erste Lösung geben muss, eine zweite, sogar eine dritte. Der Weg zu einer abschließenden Lösung ist kein Sprung. Es braucht einen ersten Schritt und noch einen und noch einen. Eine Folge, etwa wie diese:
1. Konstruiere ein Feindbild, sowohl als Ziel wie zur Ablenkung.
2. Isoliere und dämonisiere diesen Feind, indem du offene und verhüllte Schmähungen in Umlauf bringst und für deren Weiterverbreitung sorgst. Nutze persönliche Angriffe als legitime Mittel im Kampf gegen den Feind.
3. Suche und schaffe Quellen und Verbreiter von Gerüchten, die den Prozess der Dämonisierung vorantreiben, weil es sich für sie lohnt, weil es Macht verleiht und weil es funktioniert.
4. Sichere deine Mittel; überwache, verjage oder diskreditiere alle, die die Prozesse der Dämonisierung oder der Verklärung infrage stellen oder hintertreiben.
5. Unterdrücke und verleumde alle Repräsentanten und Sympathisanten deines konstruierten Feindes.
6. Gewinne Kollaborateure aus den Reihen des Feindes, die den Prozess der Verdrängung unterstützen und als gerechtfertigt erscheinen lassen.
7. Pathologisiere den Feind in wissenschaftlicher und in Unterhaltungsliteratur, z. B. durch Rückgriffe auf pseudowissenschaftlichen Rassismus und die Mythologie rassischer Überlegenheit, um das Krankhafte an ihm selbstverständlich werden zu lassen.
8. Kriminalisiere den Feind. Dann bereite alles — Geld, Planung, Begründung — für seine Internierung in geeigneten Lagern vor. Das gilt besonders für die Männer und unbedingt für die Kinder.
9. Belohne Gedankenlosigkeit und Trägheit mit großen Unterhaltungsspektakeln und mit kleinen Freuden, unmerklichen Verführungen: ein paar Minuten im Fernsehen; ein paar Zeilen in der Zeitung; einem kleinen Pseudo-Erfolgserlebnis; der Illusion von Macht und Einfluss; ein wenig Spaß, ein wenig Style, ein wenig Bedeutung.
10. Bewahre Stillschweigen, um jeden Preis.*
Zu dieser Zusammenfassung führt Zadie Smith aus:
Elemente dieser faschistischen Leitlinien finden sich in der Begegnung zwischen Europa und Afrika, zwischen West und Ost, zwischen Arm und Reich, zwischen Deutschen und Juden, Hutu und Tutsi, Briten und Iren, Serben und Kroaten. Sie liegen im Rahmen der Möglichkeiten, auf die wir Menschen dauerhaft Zugriff haben. Rassismus ist eine Art Faschismus, womöglich die bösartigste und langlebigste. Aber er bleibt doch eine menschengemachte Struktur. Auch die Befähigung zu jeglicher Art von Faschismus ist uns allen zu eigen — man könnte sie als unsere deprimierendste kollektive Identität bezeichnen.
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