I
Die Vertreterin soll die Herde ihres Herrn auf seinem eingegrenzten Wüstenstrich, der von ihm Türkysan getauft, hüten. So nennt ihr Herr sie: Herde. Eines Tages, als sie die Herde im Auftrage ihres Herrn wieder und weiter in die Wüste hinein treiben soll, geschieht es, daß die Herde sich von ihr nicht weiter in die Wüste treiben lassen will.
Da befiehlt ihr rasch wie kurz ihr Herr: »Dornbusch muß sprechen!«
Da sie nicht sogleich versteht, flüstert zornig ihr ihr Herr: »Dornbusch gab ich steinerne Tafeln und Gesetze und Gebote, die ich geschrieben habe, die Dornbusch sie lehren soll!«
Da versteht sie und sie wendet sich sogleich an die Herde, die ihr wie ihrem Herrn eine Herde: »Dornbusch darf euch verlesen, das ihm unser Herr gegeben, so werden wir hören, uns Wissen gegeben, was wir zu tun!«
Die Herde aber antwortet mit einer Stimme: »Was Dornbusch gegeben, ist des Dornbuschs allein!«
II
Es hat sich eingebürgert, alte Stoffe zu bearbeiten, mit Gegenwart zu verbrämen. Wie es jetzt bald in Wien, am Burgtheater, mit der Antigone … Bei diesem bildungsbürgerlichen Theater fällt dann der Befund für die Gegenwart nicht positiv aus. Wie es jetzt an der Burg sein wird, mit der aufgepeppten Antigone und den Toten, die an die Tore Wiens angeschwemmt werden im antiken Griechenland. Eine kritisch gestylte Antigone, ganz aus der Sicht des weißen Europas. Wo bleiben die alten Stoffe beispielsweise aus Afrika, die herangezogen werden in Europa, um die Gegenwart zu verhandeln?
Alte Stoffe, mit denen die Gegenwart verhandelt werden will, lassen die Gegenwart in keinem positiven Licht erscheinen. Alte Stoffe, so die Verteidigung der Verwendung alter Stoffe, seien gar so aktuell. Sie sind nicht aktuell, es gab bloß keinen Fortschritt. Oder, das macht es nicht besser, die Aktualität der Menschheit der Gegenwart ist 2.442 Jahre alt …
Konsequent ist das nicht. Werden Sie sagen. Sie nehmen selbst einen alten Stoff, verbrämen diesen mit der Gegenwart, diese seltsamen und wunderlichen Geschichten von dem brennenden Dornbusch, von den zwei bekritzelten Tafeln, von dem alten Mann, dem zugemutet wird, die zwei Tafeln zu schleppen, aber er hatte einen Diener dabei, der wird sie wohl für den Gebrechlichen und Schwerhörigen geschleppt haben, zum Volke …
Es ist inkonsequent. Aber schelten Sie es nicht. Weil mit diesem alten Stoff etwas Positives erzählt werden kann, von einem Fortschritt vielleicht sogar. Die Vertreterin des Herrn will, daß der Diener des Herrn einer unabhängigen Kommission die Erklärung des Herrn verliest, weil dieser, der Herr, wohl meint, diese werde dann tun, was der Herr sagt, darauf hören, ganz, wie es in den alten Stoff eingewebt:
„Und er nahm das Buch des Bundes und las es vor den Ohren des Volks. Und sie sprachen: Alles, was der HERR gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.„
Aber diese alte Geschichte geht in der Gegenwart gänzlich anders aus:
„Als sich alle wieder versammeln, erklärt die Vertretung des Bundeskanzleramts, dass eine Erklärung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP vorliege. Man würde nun gerne den Kabinettschef von Kurz dazuholen, weil der die Erklärung verlesen möchte. Einer der beiden Kommissionsleiter spricht sich dagegen aus. Lasse man das jetzt zu, würden auch andere Politiker ein Rederecht einfordern. Das sei nicht möglich. Die Kommissionsmitglieder einigen sich darauf, dass man ohne politischen Einfluss arbeiten können muss – ansonsten brauche es die Kommission nicht mehr, wird argumentiert. Das Thema ist damit vom Tisch.“
Wegen dieses gänzlich anderen Ausganges als jener Ausgang der Geschichten im überlieferten alten und sich hartnäckig haltenden Stoff wird der Vorwurf der Inkonsequenz gerne angenommen werden, einmal etwas Positives über die Gegenwart durch Rückgriff auf alte Stoffe erzählen zu können.

Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.