Sulztal

Eva Menasses neuer Roman ‚Dunkelblum‘ im Vorabdruck

Als in der Tageszeitung des heutigen Tages, 21. August 2021, der unter dieser Überschrift veröffentlichte Text gelesen wurde, wurde gedacht, es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung, eine Inhaltsangabe, eine Nacherzählung …

Aber dieser Text ist keine Nacherzählung, keine Inhaltsangabe, keine Zusammenfassung eines Romans, den vielleicht eine Lehrerin als Hausaufgabe – es ist tatsächlich bereits der Romantext, genauer, es sind tatsächlich die ersten sechzehneinhalb Seiten des Romans …

Aber das gedacht haben zu können, der Text in der Tageszeitung könne lediglich eine Zusammenfassung, eine Inhaltsangabe, eine Nacherzählung eines Romans sein, war bloß das Ergebnis einer oberflächlichen und also unaufmerksamen Zeitungslektüre. Es ist nicht die Veröffentlichung einer besonders gelungenen Hausaufgabe. Von Beginn des Zeitungstextes an hätte das klar sein müssen. Unmißverständlich steht doch gleich unter der Überschrift der Name der Autorin: Eva Menasse. Und Eva Menasse ist keine Schülerin, genauer, auch sie wird menschgemäß eine Schülerin gewesen sein – aber vor langer Zeit.

Der Irrtum, der Zeitungstext sei eine Zusammenfassung, eine Inhaltsangabe, eine Nacherzählung eines Romans wurde offenbar, als durch den als Zusammenfassung, Inhaltsangabe, Nacherzählung gelesenen Zeitungstext doch die Neugier geweckt wurde, eine „Leseprobe“ des Romans „Dunkelblum“ zu öffnen.

Bereits mit der ersten Seite des Romans mußte jedoch festgestellt werden: Der Romantext ist der Zeitungstext, der Zeitungstext ist der Romantext. Der Zeitungstext ist also nicht die Veröffentlichung einer besonders gelungenen Hausaufgabe. Es ist der Romantext, einer je nicht gestellten Hausaufgabe.

In einer weiteren Tageszeitung österreichischen Qualitätszuschnitts ist zu diesem Roman an diesem heutigen Tag zu lesen:

„Dunkelblum ist Rechnitz im Burgenland.“

Rechnitz …

Am 2. März 1996 starb in Rechnitz Tobias Portschy.

Vor fünfundzwanzig Jahren.

Vierundfünfzig Seiten „Leseprobe“ von „Dunkelblum“ …

Ach, wie korrekt Eva Menasse erzählt, etwa von „Eisen-Edi“: „Er war vom fahrenden Volk der Lovara, im Frühling und Herbst zog er durch die Lande und schliff die Messer und Scheren.“ „Vom fahrenden Volk“, das ist faktisch so korrekt wie die dem Roman vorangestellte Redensart: „Die Österreicher sind ein Volk, das mit Zuversicht in die Vergangenheit blickt.“ Dann verwendet sie doch das inzwischen verpönte und also inkorrekte Wort, selbstverständlich nicht sie, sondern die „Abergläubischen“ in Rechnitz.

Die Geschichte von „Eisen-Edi“ schließt Eva Menasse: „Und so ist es gar nicht sicher, ob der Edi überhaupt noch einmal nach Dunkelblum gekommen ist.“ Gäbe es nur eine Tafel mit allen Namen, wie leicht könnte nachgeprüft werden, ob „Edi“ je noch einmal hätte nach Rechnitz … Eine solche Namenstafel wird es in Österreich nicht geben. Denn. In Österreich wird nicht mit Zuversicht in die Vergangenheit geblickt, sondern die Vergangenheit mit Blick auf den gegenwärtigen Nutzen und kurzfristigen Gewinn verwendet.

„Dunkelblum“, schreibt die weitere Tageszeitung österreichischen Standardzuschnitts, könnte auch „Schweigen“ heißen. Wie treffender wäre doch für diesen Roman „Sulztal“. Ein Titel, inspiriert von dem Satz auf Seite elf: „Damals soll es noch Dun­kelblumerinnen gegeben haben, die Durchlaucht nach der Ze­remonie die Hand küssten, knicksend.“ Gerade einmal drei Jahre ist es her, als ganz Rechnitz alle den formvollendet achtungsergebenen Sulztalknicks der …

Verbeugung

Auch in Schweigen wird dafür gesorgt, dass Verbrechen an Zwangsarbeitern ungesühnt bleiben. Lebert lässt es 100 Tage regnen. Wenn es Eva Menasse ebenfalls regnen lässt, sodass auch Dunkelblum zur Mure werden könnte, man steckt im Dreck fest … wenn Menasse ihr Donnerwetter macht, kann man das als Verbeugung vor Lebert sehen. Zumal ein Satz aus der „Wolfshaut“ ein Kapitel von „Dunkelblum“ eröffnet: „An das Sterben ist man hierorts gewöhnt, jedenfalls eher als an das Denken.“

Wäre der erste Satz der „Wolfshaut“ in einer Zeitung gelesen worden, muß nun gedacht werden, wäre dieser Irrtum nicht passiert, zu meinen, es könnte sich um einen Satz aus einer Hausaufgabe –

„Die rätselhaften Ereignisse, die uns vergangenen Winter beunruhigt haben, begannen, wenn wir es näher betrachten, nicht, wie man allgemein annimmt, am neunten, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon am achten November, und zwar mit jenem sonderbaren Geräusch, das der Matrose gehört zu haben behauptet.“

„Die Wolfshaut“, ein Roman, veröffentlicht 1960, dessen letzten Sätze lauten: „Und als er hernach in die Morgenhelle hinaustrat und die ausgerauchte Pipe in die Tasche steckte, begann er, irgend etwas vor sich hinzupfeifen; und auf einmal kam ihm bekannt vor, was er da pfiff. Er pfiff den ersten Ton – und wußte es noch nicht; er pfiff den zweiten Ton – und wußte es noch immer nicht – und dann den dritten –! Und da wußte er Bescheid: Das blaue Lied! Es war zurückgekehrt.“

Bis zum heutigen Tag wird das „blaue Lied“ in ganz Rechnitz gesungen, nicht jenes, das dem Matrosen in jungen Jahren eines der Hoffnung war, dessen Melodie er aber sofort bei seiner Ankunft in „Schweigen“ vergaß, sondern jenes „blaue“, das gebrummt wird von Chören in ganz Rechnitz, das auch Österreich heißen kann, die sich durch die Jahrzehnte bis zum heutigen Tag nur durch veränderte Farben ihrer Fahnen, Logos, Blusen, Hemden …