Zerschlagen, immer noch Schweigen in der Nacht

Es gibt eine Übersetzung von „SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT)“: „ZERSCHMETTERT IN STÜCKE (IM FRIEDEN DER NACHT)“ …

Es wird beim Übersetzen, vielleicht in der Nacht, möglicherweise zu viel an die eigene Nacht gedacht worden sein, im Frieden der eigenen Nacht passierte möglicherweise die Übersetzung irgendwo auf dem Land, aber die Nacht ist keine Zeit des Friedens, auch nicht auf dem Land, nur ist die Nacht auf dem Land dunkler als in der Stadt, ist es im Gegensatz zur Stadt auf dem Land in der Nacht mehr noch finster.

Wenn aber auf dem Land in der Nacht ein Flaschenhals abgeschlagen und dieser in den Hals eines Menschen, vornehmlich einer Frau gerammt wird, hört sich dies mitten in der Nacht, in der Stille der Nacht anders an, als wenn es mitten am Tag passiert. Lawrence Weiner habe, so wird es berichtet, seinen Flakturmtext in diesem Sinne kommentiert, daß sich beides völlig unterschiedlich anhöre, wenn man in Wien auf der Straße gehe und am hellichten Tag eine Flasche zerbreche und wenn man das Gleiche dann auch in der Nacht mache.

Weder am Tag noch in der Nacht: Frieden. Beunruhigender jedoch ist die Nacht, mit ihrer Stille. Die Nacht herrscht immer noch, auch am Tag, mit verordneter Stille, mit verordnetem Schweigen, mit diktiertem Schlaf. Und auch im Schlaf in der Nacht kein Frieden. Nirgendwo wird das besser gewußt als in Wien. Wo es aufkam, sich am Tage auf eine Couch zu legen, um die Friedlosigkeit der Nacht des Schlafens zu bereden, zu bearbeiten, aufzuarbeiten, um zu, vielleicht, einem Frieden zu gelangen.

In der Übersetzung das Wort „Frieden“: putzig, kitschig, sentimental, adventlich, fehl am Platz. Fehl am Platz ist das Wort „Frieden“ auch deshalb, weil Lawrence Weiner mit seinem Flakturmtext sich auf etwas Konkretes bezog, auf einen genau zu datierenden Zeitraum, als der Flakturm im Schlachtengebrauch war, weil die Nächte alles andere als friedlich waren, weil die Nächte keine Nächte der Stille waren, sondern … Er habe, heißt es, den Flakturm neu interpretiert, vom „Symbol des Nationalsozialismus zum Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ …

Es heißt auch, der Flakturmtext könne als Aufruf zum Handeln verstanden werden. Die derzeitige Bundesregierung in Österreich könnte dem gefolgt sein, danach handeln; es gibt keinen Faschismus mehr – jedenfalls in ihrem Regierungsprogramm

Am 2. Dezember 2021 ist Lawrence Weiner gestorben. Sein Flakturmtext kann auch anders übersetzt werden. Er jedoch kann nicht mehr befragt werden, ob er mit dieser Übersetzung einverstanden wäre …

ZERSCHLAGEN (IN DER NACHT IMMER NOCH SCHWEIGEN)

Vor dreißig Jahren, als Lawrence Weiner seinen Text auf den Flakturm schrieb … es will nicht spekuliert werden, welche Übersetzung zu der Zeit vor dreißig Jahren mehr —

Worüber jedoch spekuliert werden kann, ist, wie wollen jene, die den Flakturmtext auf einem anderen Gebäude als dem Flakturm angebracht haben und in der Nacht hell erleuchten lassen, und mit ihrer Platzwahl dabei völlig fehlgegangen sind, ihren zweisprachigen Text verstanden wissen. Vor allem die Wahl ihrer Textfarben. Grün: ZERSCHMETTERT IN STÜCKE“. Rot: „SMASHED TO PIECES“.

Ist alles zerschmettert in Stücken, hat sich alles zerschlagen, was einst vom politischen Grün erhofft und erwartet? Grün schon nach eineinhalb Jahren völlig entblößt? In grün „Zerschmettert in Stücken“ ist erst seit dem Mai 2021 auf diesem Gebäude zu lesen, nach knapp eineinhalb Jahren grüner Regierungsbeteiligung … Ist alles zerschmettert in Stücken, hat sich alles zerschlagen, was einst vom politischen Rot … Die Hoffnung auf eine grünrote Regierung zerschmettert in Stücke, die Sehnsucht nach einer rotgrünen Regierung zerschlagen? Dennoch ein Klammern daran?

Auf diese Weise verstanden, ist dieses Gebäude kein falsch gewählter Ort für diese Übersetzung in diesen Farben, wie auch das Parlament, das Bundeskanzleramt, die Hofburg weitere gut gewählte Orte wären für diese Übertragung in diesen Farben.

Für den Text von Lawrence Weiner jedoch gibt es nur einen Platz: den auf dem Flakturm. Und auf einem Flakturm ist der Text nach wie vor, nicht mehr auf dem Flakturm im Esterházypark, dafür auf dem Flakturm im Arenbergpark, kaum mehr als zehn Minuten Fußweg entfernt von dem Gebäude, auf dem dieser in einer Verdoppelung mit der Übersetzung grünrot … schwarz jedoch: „IN THE STILL OF THE NIGHT“; die Klammern jedoch rot. Schwarz auch: „IM FRIEDEN DER NACHT“, die Klammern jedoch grün. Schwarz ist der Frieden niemals. Soher ist „Frieden“ für die Übersetzung kein falsch gewähltes Wort, die schwarze Farbe widerspricht dem Wort …

Weshalb noch ein Kapitel zum Flakturmtext, könnte gefragt werden. Nun, vielleicht deshalb, weil an diesem letzten Adventsamstag, und der Advent soll ja die stillste, die friedlichste Zeit am Tag und in der Nacht im Jahr sein, der Weg in die Innenstadt an diesem Gebäude mit der grünroten Übertragung vorbeiführt, in einem Advent, an einem Samstag, der weder bei Tag noch bei Nacht still, friedlich …

Vielleicht auch deshalb, weil es als notwendig erachtet wird, festzuhalten, daß ein Flakturm nicht das „Symbol des Nationalsozialismus“ ist. Denn. Flaktürme haben alle, gleich welcher Gesinnung, Weltanschauung sie sich verpflichtet fühlen. Das Symbol des Nationalsozialismus ist, auf österreichischem Boden: Mauthausen. Drei Minuten entfernt von diesem Gebäude mit der grünroten Übersetzung steht eine von nicht wenigen nach wie vor verteidigte Figur als Symbol dafür, wohin es führen kann, wenn geschwiegen, und wenn weiter und immer noch verschwiegen, wer vor allem …

Die Flaktürme in Wien sind weithin sichtbare Zeichen für den Abfall ihres Glaubens an den Nationalsozialismus, für das Zertrümmern der Hoffnungen, für das Zerschlagen der Sehnsüchte der Menschen, die sie wohl persönlich mit dieser Gesinnung verbanden: ein gutes Fortkommen wohl, Frieden in der Nacht und am Tag, Sicherheit, einfach wie kurz gesagt: ein gutes Leben.

Aber mit dem Bau der Flaktürme entblößte sich diese Gesinnung völlig, daß sie nichts halten konnte und vor allem nichts halten wollte, das sie versprach. Wie wurde etwa von dieser Gesinnung noch im September 1938 der „Frieden“ gefeiert, der „Frieden von München“ zelebriert. Es vergingen gerade einmal elf Monate, nicht einmal ein ganzes Jahr war um, als diese Gesinnung einen Weltkrieg mit Abermillionen von Ermordeten und Mordenden …

(ZERSCHMETTERT) IN DER NACHT WEITER BESCHWICHTIGT