Patriotismus wie den eigenen Tod fürchten

Es wird immer noch weiter und weiter von Patriotismus unaufhörlich geschwefelt, besonders aber wieder seit dem Februar 2022, nicht nur von jenen, die morden, aber besonders von jenen, die für den Patriotismus morden und die für den Patriotismus sich morden lassen, und die bestätigen, wieder einmal, seit dem Februar 2022 wieder einmal besonders, was Jules Renard vor weit einhundertzwanzig Jahren zum Patriotismus schreibt:

Zuletzt steckt in jedem Patriotismus der Krieg.

Jules Renard zog vor weit über einhundertzwanzig Jahren die Konsequenz daraus, den Satz, daß zuletzt in jedem Patriotismus der Krieg steckt, mit dem Bekenntnis zu beenden:

Und deshalb bin ich kein Patriot.

Zuletzt steckt in jedem Patriotismus der Krieg, und deshalb bin ich kein Patriot.

Beinahe ein Jahrzehnt zuvor schreibt Jules Renard, vor weit über einhundertdreißig Jahren:

Ein Volk sollte den Krieg fürchten wie der einzelne den Tod.

Die Liebe zur Fahne, zum Vaterland, dies eben ist es, was dort ganz verloren in den hinteren Reihen den kleinen Soldaten, der seinen Fuß nachzieht und dessen Gesicht vor lauter Wagenschmiere glänzt, doch noch glauben läßt, alle schauten nur auf ihn, so als wäre er ein Oberst zu Pferd.

Und wenn der „kleine Soldat“, von dem Jules Renard erzählt, von den Schlachtfeldern zurückkehrt, es dankbar als gnädiges Schicksal empfindet, es für sich gar als glücklichen Ausgang ansieht, nicht in den Fluten des Blutmeeres, zu dem die Felder des Getreides im Krieg verkommen, zu ersaufen, kehrt der Mensch als das zurück, was er nie werden will, das er dennoch nie bedenkt, wenn er patriotisch die Fahne schwenkt und ausmarschiert auf die Felder, die er sich als Felder der Ehre selbst einredet, die er sich als Felder der Vaterländer verkaufen läßt, aber die stets Felder des Schlachtens sind, noch ehe —

Die Menschen kehren, wenn sie aus dem Krieg denn je zurückkehren, wenn sie überhaupt noch mit Beinen zurückkehren, mit nachziehendem Fuß zurück, zurück in die Dörfer ihres Auszugs, in zerschossene, geplünderte, total zerstörte Häuser, in ihre von den ebenfalls dem Patriotismus sich hingebenden Menschen unbewohnbar zerbombten Häuser, sie kehren zurück in die Gräber der ihnen anverwandten Menschen, die ihnen zum Ausmarsch ein patriotisches Ehrenfest mit Fahnen und stolzen Reden bereiten, voran der Oberst stolz auf seinem Pferd, der zurückkehrt, der gewiß zurückkehrt, zurückkehrt mit allen Extremitäten, für den sie, ihre Körper ganz verdreckt von Bauschutt, ihre Gesichter vor lauter Mörtel zur Unkenntlichkeit verschmiert, wie Ackergäule schuften, um dem Oberst schnell ein wieder bewohnbares Haus zu schaffen, in dem er nach einem langen, langen glänzenden Leben in seinem ordensgeschmückten Bett stirbt, als hätte er sein ganzes Leben in kriegsloser Zeit …

Menschen haben den Patriotismus wie den Krieg zu fürchten. Sie sollten ihn wie den eigenen Tod fürchten.