Vom Existieren im Koffer

Er sei entwurzelt wie eine Pflanze, die aus dem Boden herausgerissen sei, er habe den Grund unter seinen Füßen verloren, schwebe frei in der Luft.

Dies ein Satz über Vilém Flusser, der seiner „philosophischen Autobiographie“ den Titel „Bodenlos“ —

Im christschwarzen Karner wird hart nach einem Weg gesucht, wie könnte das christschwarze Fiasko versteckt, verleugnet werden, um Menschen, von denen von Tag zu Tag weniger und weniger willens sind, das Christschwarze zu wählen, wieder dazu zu bringen, doch das Christschwarze weiter zu wählen, und die Christschwarzen suchen ihre Rettung darin, gegen Menschen zu mobilisieren, die ihre Länder unfreiwillig zu verlassen haben, einfach wie kurz gesagt, Flüchtende sollen, gegen die die Christschwarzen vorgehen, den Christschwarzen ihr politisches (das heißt im Fall der Christschwarzen: ihre auf Parteipolitik verkümmerte Politik), genauer, ihr parteipolitisches Überleben sichern.

Dies ein Satz über Vilém Flusser, von Rüdiger Zill, zitiert von Raimar Zons in „Die Welt flach legen“ —

Rüdiger Zill erinnert in unserem Zusammenhang an einen anderen Ikarus redivivus, dessen Autobiographie nicht zufällig den Titel Bodenlos trägt. Als die deutsche Wehrmacht 1939 in Prag einmarschierte, begann für den Juden Vilém Flusser die Zeit des Exils […] Das städtische Vorkriegs-Prag, aus dem Vilém Flusser stammte, war durchaus keine ländliche Scholle und kein erdverbundenes, bäuerliches Leben wie das Palästina der zionistischen Schwärmer, noch war es vielmehr der feste Boden, das Symptom der Verwurzelung: sich selbst im Zentrum der Welt zu sehen. Wie Ikarus wurde dem „Luftmenschen“ Flusser dieser Boden entzogen, ja, die absurde Bodenlosigkeit des Flüchtlings und die Grenzenlosigkeit des Luftraums der Geschichte nimt seiner Existenz jegliche Begründung […] Juden, diese „Flugmenschen“, sind ohne Tiefe und ohne Transzendenz. Flusser kehrte solche antisemitsche Zuschreibung für seine eigene Erfahrung des Exils einfach um, indem er Nomadentum nicht nur die Herkunft, sondern auch die Zukunft der Menschen in einer weltweiten Netzgesellschaft nannte. Das Exil sensibilisierte ihn für alle Varianten der Bodenlosigkeit: „Er sei entwurzelt wie eine Pflanze, die aus dem Boden herausgerissen sei, er habe den Grund unter seinen Füßen verloren, schwebe frei in der Luft.“ Die existentielle Erfahrung der Freiheit des Migranten machte ihn also nicht nur immun gegen jeden Nationalismus, sie stiftet auch die Grundlage seiner polylotten, telematischen Medientheorie.

Es erweckt den Anschein, als ob, so wie Zill von Zons zitiert wird, Vilém Flusser selbst sich so sah, wie eine aus dem Boden herausgerissene Pflanze, schwebend frei in der Luft —

Das Wort »absurd« bedeutet ursprünglich »bodenlos«, im Sinn von »ohne Wurzel«. Etwa wie eine Pflanze bodenlos ist, wenn man sie pflückt, um sie in eine Vase zu steilen. Blumen auf dem Frühstückstisch sind Beispiele eines absurden Lebens. Wenn man versucht, sich in solche Blumen einzuleben, dann kann man ihren Drang mitfühlen, Wurzeln zu schlagen und diese Wurzeln in irgendeinen Boden zu treiben. Dieser Drang der entwurzelten Blumen ist die Stimmung des absurden Lebens.

Aber, wie Vilém Flusser es in „Bodenlos“ beschreibt, herausgerissene Pflanzen schweben nicht frei in der Luft, Pflanzen werden ausgerissen, um sie irgendwo zu irgendeinem Zweck aufzubewahren; Blumen auf einen Frühstückstisch etwa, wo sie in einem Vasenkäfig welken —

Auf dem Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf beim zufälligen Erblicken eines Koffers, in dem abgerissenes Geäst steckt, wird gedacht, das ist ein anonym errichtetes Kunstwerk, bei dem es nicht um den Namen des schöpferischen Menschen geht, sondern allein darum, Begriffe anschaulich darzustellen, Begriffe, die ohne Anschauung leer sind —

Anschauung ohne Begriffe aber ist blind. Der Koffer mit seiner herausgerissenen und in ihm eingezwängten Staude auf dem Franz-Jonas-Platz in Wien ist, wird weiter sofort gedacht, die Anschauung der Begriffe Exil, Migration, Freiheit, Bodenlosigkeit

Anschauung mit Begriffen ist jedoch erst das halbwegs gute Sehen mit einem Auge. Um mit einem Auge gut zu sehen, muß die Darstellung zur Anschauung auch das von den Begriffen Exil, Migration, Freiheit, Bodenlosigkeit beherrschte Leben eines Menschen vermitteln, und dies tut der in den Koffer gesteckte Strauch.

Um aber mit beiden Augen zu sehen, ist es erforderlich, diesen Koffer, den ständigen Existenzraum der bodenlos gemachten Menschen, dort zur Anschaung zu bringen, wo die unter den oben genannten Begriffen zu verharrenden Menschen in Koffer gesteckt werden, ist der Koffer an dem Ort zu zeigen, an dem es sich alle hoch anrechnen, ihnen Koffer als eigene vier Wände zuzugestehen; und dies ist nicht der Franz-Jonas-Platz