In wenigen Tagen jährt sich, einfach wie kurz gesagt, zum 375. Male die Feier des Geschlechtsverkehrs.
Und welcher Tag eignete sich besser dafür, zu erinnern, was Max Mell auszeichnete, vor dem 8. Mai 1945 zu den Ersten und
nach dem 8. Mai 1945 zu den Ersten zu gehören,
und dafür welche besser als diese seine Nacherzählung, als er in der Furche das aufschrieb, was er von des Volkes Lippen gelesen – veröffentlicht am 8. Dezember 1945 im Wochenblatt „Die …“
Die Botschaft der Biene
Dem Volksmund
nacherzählt von Max Mell
Als Gott die Welt erschaffen hatte, sandte er die Biene an den Teufel ab, damit sie diesen um Rat frage, ob er den Menschen erschaffen solle oder nicht. Die Biene flog zum Teufel und trug ihm die Frage des Herrn vor. Der Teufel fühlte sich hochgeehrt und wollte eine Antwort geben, die den Herrn zufriedenstellen sollte, aber er wollte seinen Gewinn dabei haben, und so dachte er angestrengt nach, wie er das wohl anstellte, und wurde immer nachdenklicher und versonnener. Die Biene aber hatte sich inzwischen auf seinen Kopf gesetzt, weil sie seine Gedanken belauschen wollte.
Des Teufels Kopf muß ein offenes Ding gewesen sein, damit die Biene, wenn für einen Moment mit aller Nachsicht zugestanden werden will, daß Gedanken belauscht werden können, sofern die Schädeldecke dafür auch offen, seine Gedanken belauschen wollte, aber, sie wollte, sie wollte Teufels Gedanken belauschen, jedoch, belauschte sie tatsächlich Teufels Gedanken, und waren Teufels Gedanken, damit die Biene diese, so denn sie tatsächlich belauschte, auch verstehen konnte, ein Summen im Summen der Bienen
Ja, was haben die Bienen nicht für feine Sinne! Du weißt es, hast dich doch oft genug gewundert, wie sie beim Einsammeln des Honigs weit und breit jede Blüte erspähen und dabei weiß der Himmel wie weit kommen und doch immer nach dem Stock zurückfinden, in dem sie zu Hause sind. Der Teufel aber dachte das folgende: Es ist gut, wenn der Mensch ist. Denn des Menschen Herz ist schwach, und ich kann darin mein Reich aufschlagen, und es wird unendlich groß darin sein. Es ist gut, wenn der Mensch ist.
Ein Schriftsteller von solch einem Rang wie Max Mell wußte stets, was er nachzureden, was er vorzureden, das er nicht nur vom Volke, sondern vor allem von seines Herrn Lippen gelesen, und was er vorredete, was er nachredete, was er vorschrieb, und was er nachschrieb, war stets vom Größten und vom Klügsten, wie dies in dieser seiner nachgeschriebenen Erzählung. Teufel mußte ein Prophet wie beispielweise Jesus gewesen sein, wußte Teufel doch bereits, als der Mensch noch gar nicht geschaffen ward, als das kleinste Kügelchen für des Menschen Körper noch nicht einmal auf den Küchentisch gelegt und also noch weit enfernt davon, je noch zum winzigsten seiner Fingerchen geknetet zu werden, daß des Menschen Herz schwach ist
Der Teufel dachte aber auch das folgende: Jedoch das Herz des Menschen ist ein offenes Ding. Und es wird ein Glanz von der Glorie des Allmächtigen darin einziehen und dort eine reine Stätte haben, daß es wird wie ein Spiegelbild des Himmelreiches. Es ist gut, wenn der Mensch nicht ist. Danach dachte der Teufel wieder: Er wird aber davon abfallen und seine Taten werden wie Finsternis sein, und er wird dessen inne werden und sich gegen sich selbst wenden in Grauen und Verzweiflung. Er wird verdammt sein und unsäglich mir gehören. Es ist gut, wenn der Mensch ist.
Es kann durchaus sein, daß Teufel beispielsweise wie Jesus bereits so viele bittere und also äußerst schlechte Erfahrungen mit dem Können Gottes gemacht, die eigene offene Schädeldecke Teufel daran gemahnt, daß Teufel es augenblicklich klar ist, was immer noch Gott zu machen gedenkt, am Küchentisch zu kneten und zu basteln beabsichtigt, kann nur ein weiteres Montagsprodukt sein. Der Mensch mußte also für Teufel noch gar nicht geschaffen sein, um zu wissen, was für Mängel der geschaffene Mensch, was für Mängel der von Gott erst zu knetende und zu bastelnde Mensch nur haben wird können: ein schwaches, offenes Ding
Danach dachte der Teufel wieder: Nein! Der Herr wird sich des Elends der Menschheit erbarmen und wird sie erlösen. Und da wird im Menschen das gewaltige Geschehen der Gnade vor sich gehen und ein Erzittern seiner Seele sein wie niemals der Erdboden erzittert, und ein Umkehren und ein Hingeworfensein: und dies zu erschauen, wie die Seele wie in einem Strahl erglüht und schmilzt, das wird es sein, was die himmlischen Heerscharen zum Jubeln bringen wird. Und es überwältigte den Teufel der Neid und seine Verworfenheit und er sagte laut als seinen Ausspruch: „Sage dem Herrn meinen Rat — wo bist du, kleiner Bote? — der Mensch soll nicht sein.“ Die Biene, die seine Gedanken belauscht hatte, flog auf seinem Kopf, und da er an ihrem Summen gewahrte, wo sie gesessen hatte, und begriff, warum sie das gemacht hatte, ergrimmte er und schlug mit seiner Peitsche nach ihr. Und er erreichte sie und hätte ihr mit dem Hieb beinahe den Leib durchgetrennt. Und seit damals ist sie in der Mitte so tief eingeschnitten.
Seit damals, wann immer das war, ist die Biene am Leben, ist sie nicht gestorben, und lebt sie noch heute, hat sie das ewige Leben, die Unsterblichkeit, ohne aber je sterben zu müssen, um dann aufzuerstehen, wie es angeblich ein einziger Prophet bis zum heutigen Tage je geschafft haben soll; freilich ist es ein behindertes ewiges Leben, der tiefe Einschnitt in ihrer Leibesmitte wird sie ihr Leben nicht als leicht, angenehm und gut empfinden lassen, auch wenn sie sich damit wohl abgefunden haben wird müssen, ein Gram auf Gott wird geblieben sein, auf die Unfähigkeit Gottes, ihre Wunde ordentlich zu versorgen, sie ohne bleibenden körperlichen Schaden zu heilen, und zu dieser Gottes Unfähigkeit noch, das wird die Biene bis heute vielleicht am meisten erzürnen, Gottes Gleichgültigkeit ihr und ihrem Leid, ihrem Schmerz, ihrem fast entzweiten Körper gegenüber, so besessen wie Gott davon gewesen sein muß, von ihr Teufels Antwort endlich zu erfahren, endlich einen Rat zu bekommen, was Gott, dieses ratlose, ratabhängige Wesen, tun soll, mit all den aus Krämpfen herausgewundenen Ideen gegen peinigende Launen, gegen die zerrüttende Langeweile, ohne dabei aber zu überprüfen, ob sie, die Biene, Teufels Gedanken tatsächlich hörte und wirklich verstand, diese in ihre Sprache übersetzen konnte, oder ihr nur ihr Wollen einflüsterte, Teufel Gedanken gehört zu haben, und in welche Sprache mußte sie, die Biene, die tatsächlich gehörten oder die doch nur eingebildet gehörten Gedanken Teufels für Gott übersetzen, oder verstand Gott das Summen der Biene auf Anhieb, weil auch Gottes erste und vielleicht einzige Sprache das Summen …
Sie überbrachte dem Herrn den Rat des Teufels, und berichtete ihm‚ die Gedanken, die sie in seinem Kopfe wahrgenommen hatte. Und da erschuf Gott den Menschen.
Aus Unschlüssigkeit kann nichts Vollendetes entstehen. Und Gott muß unschlüssig, wankelmütig, unsicher, den eigenen Plänen, wenn es denn überhaupt Pläne und nicht nur Ideen aus Launen heraus, der Langeweile Schuld, mißtrauen, wenn Gott die eigene Entscheidung, ob der Mensch geschaffen werden soll oder nicht, von der Antwort Teufels, von einem also selber schon zu Mängeln geknetetes und gebasteltes Wesen, abhängig macht, von einem weiteren dem Menschen, wenn für einen Moment eine zeitliche Aufeinanderfolge angenommen werden will, vorangehendes Montagsprodukt Gottes
Der Mensch hat die Biene gern. Das kommt daher, weil er ihr, auch ohne recht davon zu wissen, dankbar ist, daß sie die Botschaft überbrachte, durch die er am Ende richtig erschaffen wurde. Du meinst, du hättest die Biene einzig wegen des Honigs gemocht? Aber, mein Lieber, der Honig ist ja ein Sinnbild für den treuen klugen Botendienst, den sie vollbracht hat: so mußt du schon ein Mehreres von ihr wissen und es recht bedenken. Alle Tiere haben irgendeine Botschaft dem Herrn zu überbringen und haben ihre Gestalt davon.

Dieser Schriftsteller war also einer der Ersten lange vor dem 13. März 1938 und war sofort nach dem 8. Mai 1945 wieder einer der Ersten, und für manche ist er auch Jahrzehnte nach 1938 und Jahrzehnte nach 1945 eine der Ersten, denen gehuldigt wird, etwa in dem identitären Magazin zu seinem „30. Todestag“:
„Verkünder des Unzerstörbaren“
Wer will das noch wissen?
Gewußt werden sollte aber, daß dieses mit Huldigungen gefüllte Magazin in Österreich staatlich gefördert wird, und das ist nicht Jahrzehnte her, sondern …
Dieser Volksmundsteller ist aber weit über die Grenzen Österreichs hinaus nach wie vor einer der Ersten …
Den Weltkrieg und den Zusammenbrach der Donaumonarchie erlebte er als Einbruch des Chaos. Dem Schriftsteller, der seit Jahrzehnten unvermindertes literarisches Ansehen genießt, das teils auf früher Anerkennung durch bedeutende Gönner (wie etwa Hugo von Hofmannsthal), teils auf dem festen Grund seiner christlichen Anschauung basiert, sind zahlreiche Ehrungen zuteil geworden und Preise verliehen worden, so der Große Österreichische Staatspreis (1954), die Stiftermedaille (1957) u. a. Zu den Werken Max Mells gehören: „Lateinische Erzählungen“ (1904), die Novellen „Die drei Grazien des Traums“ (1907), „Jägerhaussage“ (1910), „Morgenwege“ (1924), „Mein Bruder und ich“ (1934), die Gedichte „Das bekränzte Jahr“ (1911), „Gedichte“ (1919), die Erzählungen „Barbara Naderer“ (1914), „Das Donauweibchen“ (1937), „Gabe und Dank“ (1949), die Dramen „Das Apostelspiel“ (1922), „Das Nachfolge-Christi-Spiel“ (1927), „Das Spiel von den deutschen Ahnen“ (1935), die Trauerspiele „Die Sieben gegen Theben“ (1932), „Der Nibelunge Not“ 1 u. 2 (1944-1951). Prosa, Dramen und Verse erschienen 1962 in 4 Bänden. Max Mell gab zahlreiche Bücher heraus, u. a. „Das Wunderbrünndl“, „Deutsche Volksbücher“ (1922-1927), ein „Hausbuch deutscher Erzählungen“ (1936), ein „Alpenländisches Märchenbuch“ (l 946), u. a. Zu den letzten seiner Werke gehören „Vergelt’s Gott“ (1950), und „Aufblick zum Genius“, Reden (1955).
… für die „Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen für Wissenschaft und Forschung“, in Bonn, in der, ebenfalls am 5. Dezember 2022 auf ihrer Website zu lesen ist,
„seit Einstellung der institutionellen Förderung keine Benennung: Vertreter der Regierung der Bundesrepublik Deutschland“
so kann auch ein Unterschied zwischen Deutschland und Österreich anhand von Förderung und Nichtförderung einfach wie kurz erklärt werden. Treu und stolz verweist die Kulturstiftung auf den gerade einmal acht Jahre älteren Gönner von Max Mell, für die Kulturstiftung wäre es wohl ehrlos zu zitieren, was Arthur Schnitzler, zwanzig Jahre älter als der Volksmundsteller, über Mell, der sich Schnitzler andienerte, notierte, nachdem er doch das Wesen von Mell, den er zu Beginn „sympathisch, begabt“ durchaus fand, erkannte:
„Max Mell, wie immer der gehässigste“
„Respektlos natürlich vor allem die Lausbuben […] Max Mell u. dergl.“
„Ein Schriftsteller dritten Ranges, insbesondre, bei techn. Qualitäten dürftige Persönlichkeit jesuitischer Couleur;– noch kein nennenswerther Erfolg;– früher meine Nähe, zum mindesten meine Zustimmung suchend; und von mir fallen gelassen;– und Trabant Hugos – keiner kann sich mir gegenüber mit Sympathie, ja nur objektiv behaupten, der von ihm influenzirt wird.–
„Der frechste und verlogenste (ganz wie erwartet) Max Mell“
Das „Gehässigste“, das „Frechste“, das „Verlogenste“, zu dem ist ein Mensch erfolgreich nur fähig in einer dafür hergerichteten und zugerichteten Umgebung, die also die frechste, gehässigste Verlogenste ist, und in der darüber hinaus alle in „Lausbuben“ sich verschauen.
Was sich im Rückblick nur mehr schwer nachvollziehen lässt, ist die allgemeine Begeisterung für Mells heute kaum mehr konsumierbare Mysterienspiele. Raoul Auernheimer nannte in der Neuen Freien Presse vom 1. Juli 1928 Mells Nachfolge Christi-Spiel einen der beiden Höhepunkte der Burgtheater-Saison. Schon die Premiere dieses „dramatischen Altarbilds“ aus der Zeit der Bauernaufstände hatte er am 22. Jänner 1928 ausführlich gewürdigt, auch wenn er die antisemitischen Spitzen sehr wohl registrierte. Das tat auch Alfred Polgar in der Weltbühne vom 31. Januar 1928 – „Fräulein Wilke als hochprozentige Jüdin, bei deren Anblick das Kreuz eigentlich einen Haken machen müßte“, –, bescheinigt aber dem Stück, das „seinem Dichter verdiente Ehren“ brachte, eine starke Wirkung. „Dichtkunst reinsten – ja modernen Geistes“, fand Soma Morgenstern in der Frankfurter Zeitung vom 14. März 1928. Schnitzler war bei der Generalprobe im Burgtheater und urteilte differenzierter: „Begabt und mir widerwärtig. […] Welch ein trauriger Gott wird von dieser Art Legendendichtung aufgestellt … Ein böser Troll, der probirt und ,prüft‘ – und foltert und nach Laune waltet (sie nennens ,Gnade‘) – und zum Schluss ,zaubert‘ er (wie Jupiter donnert oder ein Theaterarbeiter ans Becken schlägt – es ist keine Kunst für sie) – und alles ist wieder in Ordnung.–“
Die Akteure der autoritären Regime des Austrofaschismus und Nationalsozialismus haben sich mit ihrer Ehrungs- und Förderpolitik tief und nachhaltig in die Annalen eingeschrieben. Und die kulturpolitische Dominanz der Täter oder doch sehr aktiven Mitläufer des NS-Regimes wie Max Mell ergab zugleich ein effektives Netzwerk der Exklusion. Zum Beispiel all jener Autorinnen und Autoren, die von eben jenem Regime verfolgt, vertrieben oder ermordet worden waren.
Evelyne Polt-Heinzl, VOLLTEXT 3/2018 – 12. Oktober 2018

Und wessen „Ehrenmitglied“ könnte Volksmundsteller denn sonst auch sein, als von der Gesellschaft, die ihm mit Tafel und Lesungen treu, stolz und ehrenreich —

Max Mell fragte einst, in seinem Bekenntnis zum Herrn:
„Gewaltiger Mann, wie können wir dir danken?“
Er fragte, was längst beantwortet, geklärt war. Es wurde ihm bereits gedankt. Aber das summte ihm der Volksmund nicht, oder Max Mell überhörte, als er in der Furche lag, dies beim Belauschen …

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