Halbes Verbotsgesetz ist null Verbotsgesetz

In Österreich wird Jahr für Jahr der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ zelebriert, und seit einiger Zeit wird dieser 8. Mai als „Fest der Freude“ gefeiert —

Es ist wahr

Der 8. Mai ist der Tag der „bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht und des offiziellen Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa, der Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft“

Der 8. Mai ist auch der Tag der Befreiung des Faschismus – der Faschismus wurde von seinem Verbot befreit

Am 8. Mai 1945 wurde das Verfasssungsgesetz über das Verbot des Nationalsozialismus beschlossen, nicht beschlossen aber wurde ein Verbot des Faschismus, dem Faschismus wurde sein Verbot erlassen

seit 77 Jahren ist in Österreich dem Faschismus sein Verbot erlassen.

Sein für ganz wenige Jahre herrschendes Regime in Österreich wird in diesem Verfassungsgesetz jedoch herangezogen, als Beweis, als Begründung zur Strafverfolgung, in welcher Zeit in Österreich eine nationalsozialistische Betätigung

Artikel III: Bestimmungen gegen „Illegale“, schwerer belastete Nationalsozialisten und Förderer. § 10. Wer in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938, wenn er innerhalb dieser Zeit das 18. Lebensjahr erreicht hat, jemals der NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) angehört hat („Illegaler“), hat sich des Verbrechens des Hochverrates im Sinne des § 58 österr. Strafgesetz schuldig gemacht und ist wegen dieses Verbrechens mit schwerem Kerker in der Dauer von fünf bis zehn Jahren zu bestrafen. Die Verfolgung wegen dieses Tatbestandes findet jedenfalls statt, wenn sie die Provisorische Staatsregierung im Falle des Überhandnehmens hochverräterischer Umtriebe allgemein anordnet. Die Verfolgung hat ferner stattzufinden, wenn sich der Täter neuerlich für die NSDAP, eine ihrer Gliederungen oder einen ihrer Verbände irgendwie betätigt, sich eines Verbrechens, eines Vergehens oder einer Übertretung gegen die öffentliche Ruhe und Ordnung oder einer auf Gewinnsucht beruhenden Übertretung schuldig gemacht oder sonst eine auf verwerflichen Beweggründen beruhende Handlung begangen hat. § 11, Ist jedoch ein „Illegaler“ als politischer Leiter vom Ortsgruppenleiter und Gleichgestellten aufwärts oder in einem der Wehrverbände als Führer vom Untersturmführer und Gleichgestellten aufwärts tätig gewesen oder ist er Blutordensträger oder Träger einer sonstigen Parteiauszeichnung gewesen oder hat ein „Illegaler“ in Verbindung mit seiner Betätigung für die NSDAP oder einen ihrer Wehrverbände Handlungen aus besonders verwerflicher Gesinnung, besonders schimpfliche Handlungen oder Handlungen, die den Gesetzen der Menschlichkeit gröblich widersprechen, begangen, so wird er mit schwerem Kerker von zehn bis zwanzig Jahren und dem Verfall des gesamten Vermögens bestraft, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung strenger strafbar ist. § 12. In gleicher Weise ist strafbar, wer in der Zeit zwischen dem 1. Juli 1933 und dem 13. März 1938 durch beträchtliche finanzielle Zuwendungen die NSDAP einen ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände oder eine nationalsozialistische Organisation oder Einrichtung überhaupt gefördert hat oder wer durch Schädigung des österreichischen Wirtschaftslebens für Zwecke einer der angeführten Organisationen den Bestand des selbständigen Staates Österreich zu untergraben unternommen hat.

eine „illegale“ Betätigung war, nämlich vom 1. Juli 1933 bis 13. März 1938; ab diesem März war es dann für ganz wenige Jahre eine „legale“ Wiederbetätigung. Von diesem nicht einmal ganze fünf Jahre wütenden diktatorischen Parteienverbot jedoch waren nicht nur nationalsozialistische Organisationen erfaßt, sondern auch Parteien, die nichts mit der nationalsozialistischen respektive hitlerfaschistischen Gesinnung gemein hatten.

So unergründlich, so seltsam könnten die Wege der Gesetzgebung in Österreich genannt werden. Einerseits dient, wie in diesem Verfassungsgesetz, die Diktatur dazu, Menschen strafrechtlich verfolgen zu können, die von dieser Diktatur zu „Illegalen“, nicht nur zu illegalen Nationalsozialstinnen und Förderern nationalfaschistischer Gesinnung, gemacht und verfolgt wurden, anderseits das Gesetz vom 21. Dezember 1945, um Menschen zu amnestieren, die vom 5. März 1933 bis zu seiner Inkrafttretung in 1945 zwölf Jahre lang gegen Nationalsozialismus und Faschismus, also auch gegen diese Diktatur mit deren demokratievernichtenden Gesetzen kämpften.

Dieses Verbotsgesetz als Verfassungsgesetz in Österreich gibt es also seit dem 8. Mai 1945, seit siebenundsiebzig Jahren. Seit 75 Jahren wird es nur mehr unter dem Titel „Verbotsgesetz“ geführt, ist es nur noch als „Verbotsgesetz“ bekannt.

[1945] § 13. Amnestiebestimmungen und Gnadenerlässe stehen der Verurteilung wegen eines nach diesem Artikel strafbaren Verhaltens nicht entgegen.

[1947] § 14. Amnestiebestimmungen und Gnadenerlässe stehen der Verurteilung wegen eines nach diesem Artikel strafbaren Verhaltens nicht entgegen.

[1945] § 27. Ausnahmen von der Behandlung nach den Bestimmungen der Artikel II, III und IV sind im Einzelfalle zulässig, wenn der Betreffende seine Zugehörigkeit zur NSDAP oder einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK) niemals mißbraucht hat und aus seinem Verhalten noch vor der Befreiung Österreichs auf eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich mit Sicherheit geschlossen werden kann; darüber entscheidet […]

[1947] § 27. (1) Der Bundespräsident kann auf Antrag der zuständigen Bundesminister Ausnahmen von der Behandlung nach den Bestimmungen der Artikel III und IV und von den in besonderen Gesetzen enthaltenen Sühnefolgen in Einzelfällen teilweise oder ganz bewilligen, wenn der Betreffende seine Zugehörigkeit zur NSDAP, zu einem ihrer Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), zum NS-Soldatenring oder zum NS-Offiziersbund niemals mißbraucht hat, mit Sicherheit auf seine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich geschlossen werden kann und die Ausnahme im öffentlichen Interesse oder sonst aus einem besonders berücksichtigungswürdigen Grund gerechtfertigt erscheint. Ein solcher berücksichtigungswürdiger Fall liegt insbesondere bei Personen vor, die – wenn auch nicht in den Reihen der alliierten Armeen – mit der Waffe in der Hand gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben.

Ehe nun Menschen nationalsozialistoider Gesinnung, Menschen der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn zu meinen können glauben, sie würden nach diesen 77 und 75 Jahre alten Fassungen gegenüber Menschen faschistoider Gesinnung, gegenüber Menschen der Betätigung im faschistischen Sinn Benachteiligte, gar Verfolgte sein, ist ihnen zu sagen, auch für sie hält dieses Verbotsgesetz Auswege zur Unbehelligkeit offen, wenn sie es verstehen und wenn sie vor allem in Positionen, in Positionen gehievt sind, es sich richten zu können, wie es seit Anbeginn angelegt und gewußt —

Jene jedoch, die ohne Wissen dafür und vor allem nicht in dafür vorteilhafte Positionen eingesetzt sind, es sich richten zu können, werden verurteilt und darüber hinaus vorgeführt, wenn es gilt, die Wirksamkeit, das Abschreckungspotential des Verbotsgesetzes wortreich zu rühmen, zu verteidigen —

Das Verbotsgesetz, ein Gesetz im Verfassungsrang, soll also nun, wieder einmal, reformiert werden, ohne freilich, wieder einmal, es auf ein Verbot, davon ist nichts zu vernehmen, des Faschismus auszuweiten. Das seit siebenundsiebzigJahren dem Faschismus währende Erlassen seines Verbotes in Österreich steht ein weiteres Mal der Reformierung des Verbotsgesetzes nicht entgegen.

Die Verfassung der Verfassung in Österreich selbst steht seit Jahrzehnten im Rang der dringend notwendigen Reformierung, wenn denn eine Reformierung der Verfassung überhaupt noch genügte …

In Österreich wird Jahr für Jahr der 8. Mai als „Tag der Befreiung“ auf dem Platz, von dem in Österreich nicht gelassen werden kann, zelebriert, und seit einiger Zeit wird dieser 8. Mai als „Fest der Freude“ gefeiert, auf dem ein Orchester aufgeigt, das „nahesteht besonders“

Das Gesetz mit dem Verbot der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn, aber ohne dem Verbot der Betätigung im faschistischen Sinn ist ein halbes Verbotsgesetz. Diese Halbheit des Gesetzes kommt auch in diesem Fest zum Ausdruck, dergestalt, daß etwa von den Einzuladenden nur die Hälfte dazu eingeladen,

auf dem Feste mit fester Stimme zu sprechen …

Ein Fest, gar passend zu einem halben Verbotsgesetz …

Halbes Verbotsgesetz aber ist null Verbotsgesetz —