Von schön und elegant spricht der derzeitige Bundespräsident in Österreich, wenn er von der österreichischen Bundesverfassung spricht; freilich er, der Bundespräsident, spricht dabei stets von der Verfassung von 1920, als wäre diese, wie nicht nur für den Bundespräsidenten, noch gültig, als wäre diese in Kraft …
Von einer „tickenden Zeitbombe“ spricht Oliver Rathkolb, wenn er von der österreichischen Bundesverfassung spricht, wie jetzt in 38/23, dann spricht er, Oliver Rathkolb, von der „Verfassungsnovelle von 1929“, die, außer für den Bundespräsidenten, gültig und in Kraft …
Denn unsere Verfassung hat einige autoritäre Paragrafen. 1929 stand die Republik schon am Abgrund des Autoritären, der Führerstaat war in Sicht. Weniger Macht für die Volksvertreter im Nationalrat, dafür mehr für den Bundespräsidenten und die Regierung, das war damals der Zeitgeist. Der Historiker Oliver Rathkolb nennt die Verfasssungsnovelle von 1929 deshalb eine „tickende Zeitbombe“. Normalerweise halten sich Historiker mit solchen Schlagworten und düsteren Prognosen zurück, aber bei diesem Thema kann Rathkolb seine Gefühle nicht verbergen.
Der derzeitige Bundespräsident ist weit nicht die einzige Person in diesem Land, die sieht und weiß, was an Verfassungen zu ändern ist, zu ändern ist an Verfassungen von anderen Ländern, von der Verfassung des eigenen Landes wird nur dies gesehen, daß diese reich an Eleganz und Schönheit …

Die „tickende Zeitbombe“ ist jetzt nicht dringlich wegen eines kleinen Gebirgsjägers, für den auch Oliver Rathkolb eine Strategie auf Lager hat, zu ändern, sondern weil diese je nie hätte wieder gültig werden dürfen, der Staat Österreich bereits 1945 mit einer gänzlich neuen Verfassung die demokratische Republik begründen hätte müssen. 1945 haben die Alliierten noch eine Bundespräsidentinnenwahl nach dieser „tickenden Zeitbombe“ abgelehnt und damit klug gehandelt. Sie werden eine solche Verfassung wohl weder schön noch elegant …
Seit achtundsiebzig Jahren ist also die Entschärfung dieser „tickenden Zeitbombe“ überfällig, seit 78 Jahren ist die scharf gemachte gültig, in Kraft, seit achtundsiebzig Jahren wird in diesem Land Österreich keine Wichtigkeit darauf gelegt, diese „tickende Zeitbombe“ zu entsorgen, seit 78 Jahren besteht in diesem Land kein Interesse daran, einem als Demokratie bezeichneten Land eine demokratische Verfassung zu schreiben.
Die „tickende Zeitbombe“ ist wohl recht passend für ein Land mit seinen autoritären Neigungen,
mit seiner rassifizierten Gesellschaft. Einer rassifizierten Gesellschaft,
die auf dem Weg in eine hyper-rassifizierte Gesellschaft ist, mit einem kleinen Gebirgsjäger an der Spitze, zu der er nicht selbst aufsteigen kann, sondern auf die er hinaufgetragen werden wird, nicht von den Wählenden, sondern von denen, die ihn hinter verschlossenen Türen —
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