Alexander Van der Bellen sagt das im März 2023 nicht anläßlich seines Besuches von Österreich, sondern seines Besuches von Nordmazedonien, und er, der Bundespräsident, meint also auch nicht die Bundesverfassung von Österreich, die zu ändern ist, sondern die Verfassung von Nordmazedonien …
Und am 30. September 2022 spricht er, der Bundespräsident, im Beisein des Präsidenten von Lettland, Egils Levits, wieder von dieser „Bundesverfassung vom Oktober 1920“, wie er, der Bundespräsident, auch ein Jahr zuvor davon spricht, „unsere Bundesverfassung stammt von 1920“, wie er auch zwei Jahre zuvor, also 2020, davon spricht, daß „damals, vor 100 Jahren am Tag der Beschlussfassung …“
Nun, es wird in Österreich und also auch vom Bundespräsidenten etwas gefeiert, das zwar einhundert, inzwischen einhundertunddrei alt, aber nicht geltendes Recht ist. Die gültige Bundesverfassung wird erst 2029, noch genauer, erst 2030 mit Inkrafttretung ihre einhundert Jahre … Wie am 2. April 2023 auf der Website des österreichischen „Rechtsinformationssystems des Bundes (www.bka.gv.at)“ —
Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
StF: BGBl. Nr. 1/1930 (WV) idF BGBl. I Nr. 194/1999 (DFB)
Die „Stammfassung (StF)“ des österreichischen Bundes-Verfassungsgesetzes ist also vom 2. Jänner 1930, von dem Tag der „Wiederverlautbarung“ des Bundes-Verfassungsgesetzes „als Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929“ …
Von Seipel führt der Weg zu Dollfuß. Nirgendwo wird einem diese Verbindung stärker bewusst als im Klubraum der Österreichischen Volkspartei im Parlament, wo man gleich beim Eintritt ein Kruzifix erblickt, mit einem Gemälde von Seipel auf der linken, einem von Dollfuß auf der rechten Seite. Seipel hat, wie noch zu zeigen sein wird, bereits im November 1918 den ständestaatlichen Gedanken befürwortet, und er, der maßgeblich an der Schaffung des BundesVerfassungsgesetzes 1920 mitgearbeitet hat, hat später mit ebensolcher Energie seine Totalrevision verlangt.4 Namentlich die Verfassungsnovelle 1929, durch die der Gedanke einer Ständevertretung erstmals Eingang in den Verfassungstext fand, ist vor allem auf Betreiben Seipels zustande gekommen. Damals sollte sie noch neben, nicht statt einer Volksvertretung existieren.
Es wird in Österreich, auch vom Bundespräsidenten, eine „Fassung“ gefeiert, die nicht gültig ist. Das geltende Bundes-Verfassungsgesetz „stammt“ von 1929, die „Totalrevision“ der Bundesverfassung von 1929 ist das geltende Bundes-Verfassungsgesetz, dessen einhundert Jahre in sechs, in sieben Jahren … 2030, oh, noch so lange hin, nur wenige Menschen in Österreich können Zukunft, eine Ewigkeit vorausdenken, eigentlich nur ein einz’ger Mann —

Aber in Österreich, das mag charmant genannt werden, auch vom Bundespräsidenten, wird eine Bundesverfassung gefeiert, die nicht gilt.
Darin, daß der Bundespräsident stets von der aus 1920 stammenden Verfassung redet, mit der er, wie er sich ausdrückt, „Eleganz“ verbindet, ist er, einfach wie kurz gesagt, ehrlich.
Es wird den Bundespräsidenten wohl schwanen, daß für einen säkularen Staat, für einen demokratischen Staat die aus 1920 stammende Verfassung die angemessenere Bundesverfassung, aber nicht das Pfarrtotalrevisionistische aus 1929 …

Die vier alliierten Staaten wußten 1945 wohl zu erfahrungsgenau, warum sie die Wiederinkraftsetzung der Verfassung von 1929 verweigerten. Sie für einen säkularen und demokratischen Staat eine unangemessene Bundesverfassung ist. Aber ihre Weigerung hielten sie nicht durch. Der Druck von außen für eine neue Verfassung war zu gering oder gar nicht vorhanden. So kam es und so ist es nach wie vor, daß, zum Beispiel, der Bundespräsident nicht von der Bundesversammlung gewählt wird, die Bundespräsidentin in extrem teuren Wahlgängen von allen in Österreich Wahlberechtigten zu wählen ist.
Aber um das persönliche Karrierglück geht es bei einer Verfassung nicht, sondern darum, daß die Verfassung von 1929 in Österreich zu ändern ist, wenigstens auf die Fassung von 1920, wenigstens die Fassung von 1920 wiederzuverlautbaren ist, das wäre schon, so bescheiden ist es in Österreich geworden, ein Fortschritt …
Vielleicht kommt es einmal zu einem Besuch Österreichs von einer Präsidentin, die in Österreich für weitere Anstrengungen im Entwicklungsprozeß wirbt und sagt, es sei jetzt ein sichtbares Zeichen in Form einer Verfassungsänderung notwendig, Österreich sei auf dem richtigen Weg und Österreich werde dabei voll unterstützt werden. Menschgemäß wäre es nicht zu vermeiden, daß manche in Österreich ein solches Werben für eine Verfassungsänderung als Druck von außen …
NS Im oben angeführten Zitat über den Weg von Seipel zu Dollfuß und die Totalrevision des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 ist noch die Rede davon, daß im Klubraum der christschwarzen Partei im Parlament ein Gemälde von Seipel und ein Gemälde von Dollfuß … Das Bild von Dollfuß wurde inzwischen abgehängt, ob noch das Gemälde von Seipel hängt, wurde nicht recherchiert.
Was aber mit Bestimmtheit gesagt werden kann, ist daß es in der Wiener Innenstadt mit den in ganz Österreich einzig günstigsten Mieten, die nun endlich angehoben werden, dank christschwarzlicher Umsicht,
NNS Wie schnell Verhältnisse sich ändern können, wie schnell Menschen sich ändern können, vielleicht auch nur in ihrem nach Außen gezeigten Handeln, und das nicht unbedingt stets, wie es so schön heißt, zum Guten hin, das kann auch an Ignaz Seipel studiert werden, der maßgeblich an der Schaffung des Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 mitgearbeitet hat, hat später, gerade einmal zehn Jahre später, mit ebensolcher Energie seine Totalrevision verlangt. Namentlich die Verfassungsnovelle 1929 …
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