„Wozu überhaupt wählen.“

Andrea Maiwald: „In den Umfragen hat sich zuletzt trotz Ibiza nicht sehr viel bewegt. Vor allem Platz eins steht längst fest. Das hören wir praktisch seit Wochen. Da könnte man sich doch fragen: Wozu überhaupt wählen.“

Günter Ogris: Na ja. Die Leute wählen natürlich, weil sie eine gewisse Richtung in der Politik […]“

Was für eine Frage … „Wozu überhaupt wählen.“

Wenn mit dieser Frage, die freundlichste Annahme, gemeint ist, diese Frage könnten sich Wählerinnen und Wähler stellen, die Interviewerin dabei also in die Rolle einer Wählerin geschlüpft ist. Nun ja. Wenn sich diese Frage alle Wahlberechtigten – und nicht nur die, darf doch angenommen werden (bei diesem sehr hohen Prozentsatz an nicht wahlberechtigten Menschen in Österreich kann das nicht so einfach als eine Selbstverständlichkeit angenommen werden), in Österreich wahlberechtigte Interviewerin – stellen und sich dann alle dafür entscheiden, nicht zu wählen, dann gibt es auch keinen feststehenden „Platz eins“ mehr.

Die schwammige Formulierung der Interviewerin gibt aber durchaus die Annahme für eine weitere Variante her, was sie damit meint: „Wozu überhaupt wählen.“ Es gibt ohnehin die Meinungsumfragen. Wozu dann überhaupt noch eine Wahl durchführen. Nach den Meinungsumfragen ist es ja ohnehin längst entschieden, wer auf „Platz eins fest steht“.

Was für ein Gedanke. Wahlen durch Meinungsumfragen zu ersetzen.

Was für ein Gedanke. Wenn „Platz eins“ ohnehin feststehe – wozu überhaupt Wahlen? In Wahlen geht es doch nur um den Platz eins, nur darum, wer führt, nur deshalb gibt es Wahlen. Nur der „Platz eins“ muß in Wahlen festgestellt werden, alles hinter „Platz eins“ ist ohne Belang. Und wenn der Platz eins, nach den Meinungsumfragen, fest… dann bleibt nur eines noch, sich fügen, auf das Wählen zu verzichten. In das Schicksal sich fügen. Gottergeben, genauer, der Göttin der Gegenwart: der Meinungsumfrage sich ergeben? Ist das ein typischer österreichischer Zugang, den die Interviewerin stellvertretend für den österreichischen Menschen damit zum Ausdruck bringt?

Oder, noch eine Variante, ist das eine Wahlhilfe der Interviewerin für den Mann trotz Ibiza mit seiner Partei, dem die Meinungsumfragen den „Platz eins“ zuschreiben?

Abseits der Möglichkeiten, was die Interviewerin mit ihrem „Wozu-überhaupt-Wählen“ meint, kann auch schlicht auf eine Deutung verzichtet und kurz gesagt werden, es scheint mehr und mehr die Qualität der Antworten der zum Interview eingeladenen Personen auf die Qualität der Fragen der Interviewenden abzufärben, vor allem dann, wenn zu viele dieser Personen derartiger Antwortqualität …

Gerade in Österreich gibt es darüber hinaus noch weitere Einflüsse, denen sich auch Journalisten und Journalistinnen dieses Radiosenders scheinbar nicht mehr ganz entziehen können. In diesem Jahr erschreckte am Morgen ein einziges Wort, gehört von einer Journalistin dieses Senders: „Richtig?“. Von ihr in einem Interview unmittelbar an eine von ihr gemachten Feststellung angehängt. Diese Interviewführung mit dem an seine Zusammenfassungen unmittelbar angehängten „Richtig?“ ist sonst nur von einem Mann mit Medienbesitz in Österreich bekannt, wird nur von diesem exzessiv … wenn dieser Mann – das war der Schrecken am Morgen beim Hören von „Richtig?“, dieser Mann lehrt bereits Journalismus – zur führenden Schule des Journalismus wird, dann kann tatsächlich gefragt werden, wozu überhaupt aufdrehen, aufschlagen – in Österreich …