Kurz ist es her, daß André Heller aus Anlaß des Jubiläums 30 Jahre „Heimat Fremde Heimat“ von seiner Begegnung mit einem gemütlichen Wiener im Wiener Prater erzählte …
Wiener: „Guat, daß i Ihnan triff! Ihnan und ihren Freind wollt’i schoan loang ane in die Goschn haun.“
Daran mußte gestern gedacht werden, in der samstäglichen Nacht, tief unter der Erde, als Karlheinz Roschitz begann zu erzählen, von der Vergangenheit in der schön mit Laternen ausgeleuchteten Gasse, gemütlich, launig, und die Gemütlichkeit, die Wiener Gemütlichkeit erreichte ihren Höhepunkt, als Karlheinz Roschitz zwei weitere Gesellschaften, eine davon vor allem im Bereich der Literatur engagiert, in Wien als „zwei Unternehmen“ heruntermachte, und dieses gemütliche Niedermachen bescherte Karlheinz Roschitz und seinem Publikum einen weiteren Höhepunkt, als die Kicherglatze sich zwischen Karlheinz Roschitz und das Mikrophon zwängte, um in das Mikrophon zu glucksen:
„Das aber nicht mitschneiden.“
Das wird im Gedächtnis bleiben, von diesem 11. Jänner 2020 in der mit Laternen schön ausgeleuchteten Kellergasse, einen Abend der und für die Wiener Gemütlichkeit erlebt haben zu dürfen, mit seinen multiplen Gemütlichkeiten.
Vielleicht noch. Während des Vorspiels der fünfundzwanzig Miniaturen stellte sich die Muße ein, die Darbietung des Publikums zu genießen. Der Konzertkeller war äußerst gut besucht. Es fanden nicht einmal mehr alle einen Sitzplatz, nicht wenige mußten während der gesamten Darbietung stehen. Freilich, der Konzertkeller ist nicht sehr groß, hat gerade einmal die Ausmaße von Zimmer-Kuchl-Kabinett, und wenn, so wie in der gestrigen Nacht, von den Tonsetzern und Komponistinnen die Verwandten, die Ehemänner, die Lebensgefährtinnen, die Kinder, die Abschnittspartner, die Enkerln, die Eltern, die Großeltern, die Tanten, die Oheime, die Nichten und die Neffen kommen, dann kann auch in der größten Hütte rasch kein Platz mehr sein, eine Veranstaltung als eine sehr erfolgreich besuchte gefeiert, gesehen werden, wie von den Hausherren …
Es waren Lauschende im Keller, deren Alter zu schätzen, unmöglich war, vielleicht auch deshalb, weil sie ihr Alter, so lange schon sind sie auf der Welt, selber nicht mehr zu sagen wissen. So viele Pelzmäntel waren zu sehen, als wären diese die Uniform der Wiener Gemütlichkeit. Und gekleidet in einer Buntheit, wie wohl Landwirte ihre Vogelscheuchen anziehen, weil sie sich sicher sind, nur derart schrill angezogene Vogelscheuchen halten ganz bestimmt die Vögel von ihren Äckern fern. Für Bäuerinnen hätte der gestrige Abend in dieser Kellergasse durchaus noch eine Lehrstunde gewesen sein können. Eine schrill angezogene Vogelscheuche kann mit einigem Erfolg Vögel von den Feldern fernhalten, aber mit Sicherheit hält eine schrill angezogene Vogelscheuche, die mit ihrem Schmuck zu klimpern vermag, tatsächlich die Vögel fern, das hätten sie gestern lernen können, besonders von der Lauschenden mit ihren vielen klimpernden Armreifen während der Darbietung, obgleich nicht mit Gewißheit gesagt werden kann, ob sie die gesamte Darbietungszeit lauschte oder schlief, aber ihre Armreifen machten Lärm, hingegen kann von ihrem Mann mit seiner bunten Hose, mit seinen langen, langen grauen Haaren, mit seinem pinken Regenschirm, auf den er sich stützte, gesagt werden, er schlief doch immer wieder tatsächlich ein … auch das wohl ein Bild der Wiener Gemütlichkeit, wie sie aneinandergelehnt, Kopf gegen Kopf, Hut gegen Hut, die Armreifenklimpernde und ihr Behuter, der mit seinen grauen langen, langen Haaren, ohne sich noch umkleiden zu müssen, ohne sich schminken zu müssen, sofort, in diesem Keller einen dieser alten Beckettmänner zur Darbietung …
Was für ein nächtliches Schauspiel in der Kulisse des Wiener Herzens, pelzgolden tapeziert …
Es könnte noch so viel erzählt werden. Etwa von der alten Dame mit ihrem Stoffeinkaufswagen, vielleicht gerade von Lidl oder aus einer Apotheke in den Keller geeilt und nun müde eingenickt, vornübergebeugt, ihre Stirn auf dem Stoffeinkaufswagenmetallgriff … oder von der alten Dame im Wetterfleck und schwarzem Stock, die sich in der ersten Reihe einen Sitzplatz erkämpft, sich hinsetzt, ihren trachtigbürgerlichen Filzhut aufbehält, während der gesamten Darbietung — ihr Filzhut könne keine Sichtbehinderung sein, denn, so wird sich die alte Dame, die in der „Jagdgesellschaft“, so wie sie ist, sofort die Ehefrau des Generals geben könnte, sie selber sehe doch ohne Sichteinschränkung auf die Bühne, auf der sie für alle ohne Einschränkung gut …
Was für ein denkwürdiger Abend. An wen den Dank — an die Kicherglatze, nein, nur an Karlheinz Roschitz für seine fulminant gemütliche Darbietung Wiener Herzlichkeit, ihm gebührt die Krone der Wiener Gemütlichkeit, er ist zum Regenten der Wienergemütlichkeit 2020 auszurufen.
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