Wer erinnert sich noch an die Aufregungen um die gespreizten drei Finger von dem für kurz gewesenen Vizekanzler in Österreich?
Wohl kaum noch wer.
Wie war damals die Aufregung groß.
„Bundeskanzler Gusenbauer liegt hier falsch, wenn er nur von einer Jugendtorheit spricht“, so Van der Bellen am Samstag in der Ö1-Reihe „Im Journal zu Gast“. Die SPÖ wolle offensichtlich die Tür zur Strache-FPÖ nicht zuschlagen und sich diese Option offen lassen – „
Gerade einmal zehn Jahre später schlägt Van der Bellen die „Tür zur Strache-FPÖ“ weit auf, öffnet dieser identitären Partei alle Türen der Republik Österreich — freilich wenn auch, das aber er sich nicht als Verdienst anrechnen kann, nur für kurz …
Wer von Alterstorheit sprechen wollte, läge ebenso falsch.
Gerade einmal zehn Jahre später fordert die ÖVP von der FPÖ nur noch eines, mit ihr zu teilen …
Was für eine unnütze Aufregung also um ein Handzeichen. Eine Aufregung, die selbst nicht mehr war als ein Handzeichen, schnell gemacht, schnell vergessen, und vor allem ohne Verpflichtung zum konsequenten Handeln, wie es eigentlich die Aufregung hätte erwarten lassen.
Dieses Handzeichen ist nun kein Thema mehr. Verursacht keine Aufregung mehr. So geschichtlich bewandert wie die Mannen und Frauen der identitären Parlamentspartei sind, hat die Erklärung des für kurz gewesenen Vizekanzlers, vielleicht habe er mit seinen gespreizten drei Fingern Bier bestellen wollen, doch verwundert, er hätte auch sagen können, er wollte nur einen fernen Gruß an den Papst in Rimini schicken, wo seit vierhundert Jahren eine Statue eines Papstes steht, der mit drei Fingern …

Nun ist ein anderes Handzeichen in den Mittelpunkt gerückt, zur Aufregung geworden. Rund zwölf Jahre nach der Aufregung um die gespreizten drei Finger. Weltweit. Auch durch den Mörder, den vor seinen Morden seine Bildungsreise auch in den kärntnerischen Wappensaal führte, in Neuseeland, der dieses Handzeichen auch noch in Handschellen zeigte.
Es ist das Handzeichen, mit dem ausgedrückt wird, daß alles in Ordnung ist, alles gut ist, es ist das Handzeichen, das auch aus der Yoga-Praxis bekannt ist, die Jnana- und Chin-Mudra. Es soll bedeuten, die Übenden soll diese Mudra innerlich friedlicher und harmonischer werden lassen und soll durch regelmäßige Meditation die intuitive Weisheit stärken.
Was für ein falsches Zeichen, was für eine falsche Geste haben sich nun jene für sich ausgesucht, um ihre white power zu demonstrieren, wie, exemplarisch genannt, der Mörder in Christchurch, trumps proud boys und viele weitere … Ist doch alles, was sie mit dem von ihnen gestohlenen und mißbrauchten Handzeichen ausdrücken: Nichts ist in Ordnung, nichts ist gut, nichts ist friedlich, nichts ist harmonisch, keine Weisheit. Einzig das Intuitive rechtfertigte noch ihr Verwenden dieses Handzeichens in seinen ursprünglichen Bedeutungen, wenngleich auch das sehr eingeschränkt. Was sie tun, tun sie intuitiv, das heißt, alles von ihnen basiert auf Vermutungen. Von der ursprünglichen Bedeutung dieses Wortes im Lateinischen ist aber bei ihnen nichts vorhanden: Beurteilung. Sie sind instinktiv, das für sie passendere Wort, gelenkt. Das heißt. Alles, was sie tun, tun sie ohne zu überlegen, ohne zu überlegen lassen sie sich in jedweder Situation in ein falsches Tun führen.
Es wäre nicht wert, sich mit diesen gestohlenen und mißbrauchten Gesten zu beschäftigen, die Aufregungen verursachen, aber eben nur Aufregungen, die nichts ändern, wie schon das Beispiel mit den gespreizten drei Fingern es vorzeigte. Und auch die Aufregungen und Empörungen um diese gestohlene und mißbrauchte Mudra werden nichts ändern, zu nichts führen, außer zu nächsten Aufregungen und Empörungen, wenn dieses Handzeichen abgelöst werden wird durch ein nächstes gestohlenes und mißbrauchtes Zeichen. Das wird vielleicht schon bald sein, in etwas mehr als einer Woche, wenn Donald Trump nicht mehr zum Präsidenten gewählt sein wird, die Mudra seiner proud boys zum Zeichen der Niederlage geworden ist, und sie sich um ein anderes Zeichen auf Diebstour begeben müssen, um vor sich selbst nicht eingestehen zu müssen, verloren zu haben.
Über die Aufregungen und Empörungen über die gestohlenen und mißbrauchten Zeichen zu sprechen ist aber notwendig, aus einem einzigen Grund, weil die Aufregungen und Empörungen mit verheerenden Folgen einhergehen, nicht für trumps proud boys etwa, sondern für jene, die so ein Zeichen nach wie vor verwenden, nicht aber weil sie white power anhängen, sondern das Zeichen in seinen ursprünglichen Bedeutungen verwenden. Sie sind Verdächtigungen ausgesetzt. Die Menschen, die sich über derartige Zeichen aufregen und empören, gehen, um bei den trumps proud boys exemplarisch zu bleiben, ihnen, den proud boys, in die Falle, und verdächtigen wie sie alle. So war vor einigen Tagen, um es an einem konkreten Beispiel festzumachen, in Wien vor einer Schule eine laut schimpfende Passantin zu hören, die diese Schule in der Ungargasse bezichtigt, eine Nazischule, ein Hort des Faschismus … Und warum? Einzig deshalb, weil die Passantin auf die Werbetafel der Schule starrt, auf der eine junge Frau zu sehen ist, mit diesem Handzeichen, das in diesem Zusammenhang wohl dafür werben soll, daß es eine tolle Schule ist, eine Schule, die Okay ist, eine Schule, die super ist.
Es soll und darf nicht sein, daß Zeichendiebstahl und Zeichenmißbrauch noch dadurch belohnt wird, daß gestohlene und mißbrauchte Zeichen, daß gestohlene und mißbrauchte Gesten nicht mehr in ihren ursprünglichen Bedeutungen verwendet werden, und das nur wegen diesen Instinktgelenkten. Nur wegen diesen Instinktgeführten soll und darf es nicht sein, daß alle, die die gestohlenen und mißbrauchten Zeichen und Gesten in ihren ursprünglichen Bedeutungen verwenden, verdächtigt werden, zu den Instinktgelenkten zu gehören und deren Gesinnung zu teilen.

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