Graz

Es hat einmal ein Bürgermeister in Österreich gesagt, so in etwa, Wahlkampf sei die Zeit fokussierter Unintelligenz.

Was ist über die Zeit nach Wahlen, die sofort mit der ersten Hochrechnung am Wahlabend zu ticken beginnt, zu sagen?

Fortsetzung der fokussierten Unintelligenz? Ja, warum nicht.

Oder:

Heimkehr aus dem Fokus der Unintelligenz in die breite Alltagsdummheit. Ja, schon eher.

Bereits die ersten Stellungnahmen, die ersten Meinungen zum Wahlergebnis, groß verkauft als Analysen, am Abend des letzten Sonntags im September ’21 bestätigen dies wieder einmal mehr als deutlich, und diesmal nicht nur die breite tägliche Dummheit, sondern auch die geschichtliche Unbildung, die noch harmlos genannt werden könnte, aber es ist schlimmer, sie bestätigen den Mißbrauch der Geschichte auf erschreckende Weise, mit einem Plattheitssager.

Dieser Sager von einem „Stalingraz“ offenbart nicht nur die Plattheit des Sagers an sich, sondern, wenn berücksichtigt wird, wie eilplatt seit dem der Sager von „Stalingraz“ n-fach nachgesprochen, nachgeschrieben, wiederholt wird, das Tiefplatte dieses Landes.

Es ist bezeichnend, von wem und wo dieser Sager schon am Wahlabend ausgespien wurde – vom seinerzeitigen Medienkoordinator der kurzen christschwarzblauen Regierung in der Fernsehanstalt von …

Wie fehl dieser Sager ist, läßt sich einfach wie kurz zusammenfassen.

„Stalingrad“ kann – im kommenden Jahr wird es 80 Jahre her sein, daß in Stalingrad das Massenmorden begann – wie kein zweites Verbrechen stellvertretend für alle Verbrechen herangezogen werden, die so viele, viele, viel zu viele weiter als „Krieg“ verklären.

In Graz gab es am letzten Sonntag im September ’21 eine Wahl, zu der die Menschen friedlich gingen, zu der die Menschen nicht in Panzern fuhren, zu der die Menschen ohne Waffen kamen, in ziviler Kleidung, nicht in Uniformen, sie schoßen nicht, sie verletzten nicht, sie mordeten nicht, sie wählten Parteien.

„Stalingrad“ steht für den Sieg der kommunistischen Partei, die sich sowjetunion nannte, über die nationalsozialistische Partei, die sich deutsches reich nannte.

In Graz kandidierten siebzehn Parteien. Siebzehn Parteien stellten sich einer demokratischen Wahl. Es marschierten nicht siebzehn Armeen auf, es schoßen nicht siebzehn Armeen aufeinander, es mordeten nicht siebzehn Armeen. Es gab in Graz am 26. September ’21 nicht einen einzigen ermordeten Menschen, ganz im Gegenteil von Stalingrad vom 23. August 1942 bis zum 2. Februar 1943. In diesen wenigen Monaten in Stalingrad über eine Million Tote in deutscher und in russischer Uniform – erfroren, verhungert, ermordet von Menschen in Uniform. Dabei nicht gezählt, ungezählt die Toten der Zivilgesellschaft; 1941 betrug die Einwohnerinnenzahl von Stalingrad rund 525.000, nach dem Ende der wenigen Mordmonate waren es gerade noch etwa 23.000 Einwohner.

Wenn dem Plattsager zu diesem Wahlergebnis in Graz „Stalingraz“ einfällt, und das nur deshalb weil eine kommunistische Partei als Siegerin aus dieser Wahl hervorging, muß dieser Plattsager, wenn er schon das geschichtliche Stalingrad für sein Plattsprechen heranzieht, erklären, welche nationalsozialistische Partei von der kommunistischen Partei in Graz denn besiegt wurde, um einen derartigen Vergleich überhaupt in Betracht ziehen zu wollen oder zu – auch wenn dies bei diesem Mann schwerfällt – können. Mit seinem geschichtlichen Vergleich läßt er nur einen Schluß zu, aber das wird er doch nicht gemeint haben wollen, daß die ÖVP mit ihrem Verlust von 11,88 %, daß die FPÖ mit ihrem Verlust von 5,25 %, oder gar die Koalition von ÖVP und FPÖ mit ihrem gemeinsamen Verlust von 17,13 % gemeinsam das deutsche reich ist, die der sowjetunion unterlag …

Es gab aber an diesem letzten Sonntag im September bei fehlender nationalsozialistischer Partei nicht nur die kommunistische Partei, die das Vertrauen der Wählenden gewann, es gewannen auch andere Parteien an Vertrauen dazu, nur die ÖVP verlor das Vertrauen, nur die FPÖ verlor das Vertrauen, nur die türkis getupfte christschwarzblaue Koalition verlor total das Vertrauen der Wählenden in Graz.

Was der Wahl in Graz vor allem fehlte, waren Wählende, 46 % blieben der Wahl fern, beinahe die Hälfte, aber vor lauter Fokussierung auf „Stalingraz“ war dies den Meinenden nicht das vordringlich zu Erwähnende.

Aber der Plattsprecher reduziert es auf seine von einer dumpfen Gesinnung gespeisten Empfindung, seinen Parteien, für die er diente, als sie gemeinsam Regierungsparteien waren für kurz, wäre von einer kommunistischen Partei eine Niederlage zugefügt worden, wieder einmal – und deshalb sei für ihn nun Graz „Stalingraz“ …

Ein Alp muss es ihm nun sein, ausgedrückt durch seine Collage des Uhrturms mit Hammer und Sichel, daß es dazu kommen könnte, der Uhrturm derart verziert, wo doch am Schloßberg der Gesinnung reine Gedenktafel für einen schriftstellernden Hauptmann, der einem Bauer des heutigen Verteidigungsministeriums manch liebes Erinnerungswort …

Freilich, wie einfach wäre es gewesen, ein anderes geschichtliches Wort zu verwenden, zu sagen, wenn schon derart fixiert, das Waterloo der ÖVP und ihrer Partnerin … Es sagt doch alles aus, daß in Österreich nicht Waterloo, sondern Stalingrad …

Auch Waterloo soll nicht im Zusammenhang mit demokratische Wahlen verwendet werden, ist doch auch Waterloo nichts anderes als ein Ort des Verbrechens, des massenhaften Mordens.