In Griffen

Peter Handke steigt um: vom lieben auf den gewöhnlichen Zug

Es wird nicht gewußt, ob Griffen vom Zug angefahren wird, in Griffen überhaupt ein Zug hält, Griffen einen Bahnhof hat, ob überhaupt Züge durch Griffen durchfahren oder wenigstens nahe an Griffen vorbei …

Es wird nur von einem Zug gewußt, von dem Zug, mit dem Peter Handke in Griffen ankommt, mit dem Nachtleichenzug Slobodan, und er steigt in Griffen aus dem Leichenspeisewaggon Radovan, und sogleich empört er sich darüber, daß er nicht nach Tolstoi, Homer, Cervantes gefragt wird, er, in seinem Sakko der Marke Tomislav, tritt aus dem Zug und sogleich ereifert er sich darüber, daß er nicht nach Handke gefragt wird, nicht danach gefragt wird, was Handke geschrieben hat, was er, Handke, schreibt, daß er nicht gefragt wird, ob er, Handke, es nicht grandios fände, daß sie, die Journalisten, ihn, Handke, täglich lesen, und wenn sie überhaupt lesen, dann ausschließlich Handke lesen, daß er, Handke, nicht gefragt wird, ob es ihm, Handke, gefalle, wie schön die Journalistinnen ihm, Handke, ganze Kapitel von Handke hier und jetzt auf der Stelle auf dem Bahnsteig, falls es einen Bahnhof in Griffen gibt, oder eben auf dem griffnerischen Gemeindeamt auswendig und ohne zu stocken, aber ergriffen aufsagen können, während der Bürgermeister und der Landeshauptmann ihm, Handke, Blumen von stifterischer Straußenpracht überreichen.

Aber er, Handke, ist nicht mit dem Tolstoi gekommen, hat nicht im Homer gespeist, und er, Handke, trägt keine Hosen der Marke Cervantes.

Er ist in Griffen mit seiner Wirklichkeit ausgestiegen und stößt auf dem Bahnsteig, falls es in Griffen einen Bahnhof gibt, oder eben auf dem griffnerischen Gemeindeamt mit der ihm verhaßten Wirklichkeit zusammen, der seine Wirklichkeit zu gut oder zu bitter bekannt ist, um ihn, Handke, nicht nach seiner Wirklichkeit zu fragen, es ihr, der Wirklichkeit, gar nicht anders möglich ist, als ihn, Handke zu befragen, wie er es mit der Wirklichkeit jenseits seiner Wirklichkeit hält, es geradezu ein Versäumnis medialer Pflicht wäre, ihn, Handke, unbefragt in seiner Wirklichkeit zu belassen, ihm, Handke, nur mit Worten von seinem Stift zu huldigen, ihn zum Caesaren des Tiefsinnnblattlandes am großen Wasser zu krönen, gleich auf dem Bahnsteig, falls Griffen einen Bahnhof hat, oder auf dem griffnerischen Gemeindeamt.

Wieder einmal versteht er die Wirklichkeit nicht, aber die Wirklichkeit, in diesem Fall die Medienwirklichkeit, mißversteht auch ihn, wenn Medien noch desselben Tages davon schreiben, er, Handke, übe scharfe Medienkritik, in Griffen. Das keine Medienkritik ist. Es ist bloß das Schmerzliche, das eine Caesarin in ihrer Wirklichkeit empfindet, wenn sie erleben muß, daß die Wirklichkeit jenseits ihrer Wirklichkeit nicht ihre Wirklichkeitstanzbärin ist. Und die Schmerzen der Caesaren setzen Welten in Brände, seit allen Tagen, von denen auch Homer, Cervantes, Tolstoi …

Aber er, Handke, ist kein Caesar. Sein Schmerz zündet nicht, läßt keine Welt brennen, sein Schmerz gebiert bloß Antwortlosigkeit. Aber seine Sehnsucht nach Interviews wird rasch diesen griffnerischen Schmerz vergessen lassen, sein Androhen, keine Interviews mehr zu geben, ab diesem Tag auf dem Bahnsteig, falls es in Griffen einen Bahnhof gibt, wird rasch kehren in sein persönliches Aufsuchen von vielen Redaktionen, um selbst nach Fragen zu fragen, wer mit ihm Interviews – gerne auch bei ihm, in seinem Poesieheim Serbien nahe Paris, und würde, wenn es denn sein müßte, den Menschen des Mediums auch die Eisenbahnbilletts hin und zurück …

Es wird nicht gewußt, ob es in Griffen einen Bahnhof gibt. Diese Frage bleibt unbeantwortet. Eine Frage aber ist beantwortet. Die Frage nämlich: „Wann, lieber Peter Handke, kommt ihr nächstes liebes Interview?“

Die Frage ist endgültig beantwortet. Für alle Zeit. Das Warten ist zu Ende. Und wenn es kommt, das Interview, und es werden – denn auch von den Interviews kommt er her – bald viele kommen, werden diese ungehört und ungesehen vorbeiziehen, wie Züge an Griffen fern oder vielleicht ein wenig nah vorbeifahren.

Aus Griffen sogar ein Eckermann?

Aber es gibt einen jungen Mann, vielleicht gibt es noch weitere junge Männer, in Griffen, von dem einen jungen Mann jedenfalls kann erzählt werden, von dem jungen Mann aus Griffen, der jetzt wohl recht gespannt auf Interviews von ihm, Handke, warten wird, der jetzt auf der Suche nach der Gesamtausgabe von Handke ist, der auch in seiner Wirklichkeit mit der Wirklichkeit jenseits seiner Wirklichkeit hadert, der jetzt wohl nicht abgeneigt ist, in das Poesieheim Serbien nahe Paris gar zu reisen, um mit ihm, Handke, gemeinsam in die Wälder zu gehen, ihm, Handke, alle seine Bücher auswendig aufzusagen, während er, Handke, Pilze …

Was für ein T-Shirt zöge der griffnerisch Identitätsaufgeladene wohl an, machte er sich wirklich auf zu ihm, zum Handke, eines mit dem Konterfei jenes Mannes, dem auch eine recht eigene Wirklichkeit attestiert und eine rechte Nähe zu … oder schon eines aus einer vielleicht schon recht rasch gemachten neuen Kollektion, mit dem Bildnis des Dichters …

Vielleicht hat dieser Bursche aus Griffen sogar das Zeug, sein Eckermann, Handkes Eckermann zu werden. Oh, was wäre das für ein Abschnitt in der Literaturgeschichte, zwei aus dem gleichen Ort … und ach, welche Verse könnte der griffnerische Eckermann aufschreiben, die er, Handke, leichtlippig in den Wäldern dichtet … Verse etwa, die erzählen von Gipfeln, vom Gewöhnlichen über allem …