„Die ‚Zigeuner‘, die in Strauß’ Operette übrigens als selbstbewusste Sympathieträger auftreten, tragen ihre im Stücktitel verankerte Bezeichnung als solche durchaus selbst auf den Lippen – im Kontext der Handlung kann man also nicht von einer Fremdbezeichnung sprechen. Wir verwenden den Begriff ‚Zigeuner‘ daher in allen Inhaltsangaben und damit verwandten (’stückimmanenten‘) Textsorten unkommentiert und ohne Anführungszeichen.“
Das ist aus der Stellungnahme der Dramaturgie und Direktion Meyer der Volksoper zu ihrer braven Inhaltsangabe, mit der sie versuchen zu erklären, wann sie Anführungszeichen verwenden, wann sie keine Anführungszeichen verwenden.
Was es mit dem besonderen Verwenden von Anführungszeichen und von keinen Anführungszeichen auf sich hat, das wurde in einem Kapitel bereits ausführlich dargelegt.
Auch das wurde bereits in einem Kapitel angesprochen, mit ihrer Stellungnahme lüftet die Direktion Meyer ein großes Geheimnis. Strauß und Schnitzer waren Zigeuner. Es muß Zigeuner nicht in Anführungszeichen gesetzt werden, weil ja, so die Direktion Meyer, „nicht von einer Fremdbezeichnung“ gesprochen werden, da doch die Zigeuner Schnitzer und Strauß in ihrem Tonwerk selber diesen „Begriff“ verwenden.
Weil aber auch die österreichische Bundestheater-Holding diese brave Inhaltsangabe der Direktion Meyer verbreitet, ist doch ein weiterer Blick auf diese Inhaltsangabe zu werfen. Diesmal aber nicht auf die „Anführungszeichen“.
„Die Uraufführung des ‚Zigeunerbaron‘ 1885 bescherte Johann Strauß zu Lebzeiten den größten Bühnenerfolg . Eine sumpfige Landschaft irgendwo im habsburgisch-verwalteten Banat rund um das Jahr 1740. Der Vielvölkerstaat vereint hier Großbauern und Lebenskünstler: im Gutshof den Schweinezüchter Zsupán, daneben eine Gruppe von Zigeunern unter dem Matriarchat der alten Czipra. Als der in der Fremde aufgewachsene Sándor Bárinkay in die Heimat seiner Vorfahren zurückkehrt, fordert er die ihm zustehenden Güter ein, erklärt sich jedoch gleichzeitig als williger Heiratskandidat: Ein willkommener Eidam für Zsupán. Doch ein Schlitzohr übertrumpft das noch größere und man kommt zu keiner Einigung. Die schöne und selbstbewusste Saffi wendet das Blatt, Bárinkay wird zum Baron der Zigeuner erklärt und die Liebe fügt alles zum Guten. Wäre da nicht der ‚lange Arm der Monarchie‘, der mittels Graf Homonay im Banat Soldaten für einen bevorstehenden Krieg anwirbt …“
Auch dazu gibt es bereits ein Kapitel, welche Rolle „Zigeuner“ in der Operette zu spielen haben, damit sie keine Rolle vor den Theatern spielen, wofür sie in den Operettenhäusern weiter gebraucht werden, sie weiter in Dienst sein dürfen, damit sie vor den Häusern weiter …
Die Inhaltsangabe scheint brav die Kriterien einer Inhaltsangabe zu erfüllen, wie sie in der Schule gelehrt werden. Knapp und sachlich soll die Sprache sein, verzichtet soll werden auf die eigene Meinung, keine sprachlichen Ausschmückungen …
Nun, erfüllt das die Inhaltsangabe? Mehr als das.
„Gruppe von Zigeunern unter dem Matriarchat der alten Czipra“ — — „Matriarchat“ …
Es ist wahrlich eine Inhaltsangabe der Aufklärung. Eine durch das Werk der zwei Zigeuner durch und durch gedeckte Definition des Matriarchats …
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„Czipra, die ‚alte Zigeunerin‘, wird schon in der ersten Szene von Ottokar als ‚alte Hexe‘ eingeführt. Der Zusammenhang, der hier zwischen Zigeunerfrau und schwarzer Magie hergestellt wird, erscheint so beiläufig, als sei es eine allgemein Tatsache, dass alte Zigeunerinnen notwendig Hexen sein müssen.“
„Czipra ihrerseits, spricht einen Aspekt des Zigeunerstereotyps an, das geschlechtsspezifisch die Zigeunerfrau betrifft: ‚Als Jugend Wang‘ und Aug erfrischt, / warb man um Czipra minniglich, / doch nun Zeit den Reiz verwischt / nennt man die alte Hexe mich.‘ Hierbei handelt es sich um die von der Mehrheitsgesellschaft evozierte Annahme, dass die junge Zigeunerin, überaus attraktiv, erotisch und anziehend, schneller als andere Frauen zu einem hässlichen alten Weib würde. Gerade zu diesem Aspekt konnten Beobachtungen gemacht werden, dass in der Literatur die schöne junge ‚Zigeunerin‘ gehäuft in Begleitung einer hexenhaften alten Zigeunerin auftritt: Die erotische junge Frau wird an die Vergänglichkeit und das Alter erinnert. Es wird aufgezeigt, was die schöne ‚Zigeunerin‘ zwangsläufig werden wird: eine hässliche Hexe, vor der man sich in Acht nehmen muss.‘ Für die Rollenkonstellation Czipra / Saffi ist dies natürlich ebenfalls sehr interessant, da im Zigeunerbaron die oben beschriebene stereotype Tradition fortgesetzt wird und der jungen Heldin die alte ‚Mutter‘ zur Seite steht, die durch ihre Charakterisierung als Hexe ihre ‚Tochter‘, die ebenfalls offenbar mit hellseherischen Fähigkeiten begabt ist, in gewisser Weise spiegelt.“
„Czipra kann als Paradebeispiel der stereotypen alten Zigeunerin gelesen werden. Sie vereint in sich sowohl das Stereotyp der Zigeunerfrau als Hexe, das der Wahrsagerei und Schatzgräberei und, wie später noch aufzuzeigen ist, das des Kindsraubs.“
„Abgesehen davon, dass der Drudenfuß ein weiterer Verweis auf Czipras Hexenkünste ist, wird hier außerdem der Analphabetismus thematisiert. Wenn man bedenkt, dass ‚im Ausgang des 18. Jahrhunderts […] Schriftlichkeit die entscheidende Zivilisationsschwelle‘ ist, wird verständlich, warum die Zigeunerin in der Operette nur einen ‚Drudenfuß‘ malen kann. Sie wird damit gleichsam als unzivilisierte Wilde gezeichnet, die abseits der normierten Schriftlichkeit lebt. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass auch der Schweinefürst Zsupán nicht schreiben kann. Ob dieser sich seinen Platz in der bürgerlich-zivilisierten Gesellschaft durch seinen Reichtum angeeignet hat, oder ob er vielmehr als Nicht – Zigeuner von vorne herein seinen Zivilisierungsgrad nicht über den Alphabetismus beweisen muss, wäre hier zu überlegen. Der Analphabetismus ist Czipra und Zsupán gemeinsam, trotzdem wird sie zur unzivilisierten Zigeunerin, weil sie nicht schreiben kann, und dafür vom Chor mit einem satten ‚Ein Drudenfuß! Hahahaha!‘ verlacht, während Zsupán im Schweinehändler-Couplet (Nr. 3, ‚Ja, das Schreiben und das Lesen, / Ist nie mein Fach gewesen‘) mit seinem Defizit sogar noch kokettiert. Hier zeigt sich der Gegensatz zwischen den als Naturmenschen stereotypisierten Zigeunern und den Kulturmenschen der Mehrheitsgesellschaft.“
„Der Zigeunerbaron“ in der Volksoper wird wahrlich eine umjubelte Premiere der Aufklärung gewesen sein, mehr noch, die modernste Aufklärung überhaupt, ist sie doch nicht nur eine schriftliche, sondern auch eine grafische und animierte …
Ein Minister außer Dienst wird vielleicht aus dem Steiermärkischen zur Premiere voller Freude angereist sein, um mit seinem Kulturmenschen sein Leiblied inbrünstig mitgesungen zu haben …
„Der Kulturmensch Zsupán kann beruhigt singen, dass „das Schreiben und das Lesen“ für ihn nicht von Bedeutung ist und behält trotzdem seinen Status als zivilisierter Mensch, während das ‚Naturkind‘ Czipra ihrer Unfähigkeit wegen verlacht wird und ihr Drudenfuß wird zum Wegweiser aus der Gemeinschaft der zivilisierten Kulturmenschen.“

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