„Eine sumpfige Landschaft […] 1740 […] eine Gruppe von Zigeunern unter […] Wäre da nicht der ‚lange Arm der Monarchie‘, der […] Soldaten […] anwirbt …“
Das ist aus dem Werbetext der Volksoper für die bevorstehende Premiere der Operette „Der Zigeunerbaron“ von dem wienerischen Silvesterhergott am 29. Februar 2020 …
Die Volksoper wirbt für die Operette und zugleich, da sie „Zigeuner“ nicht in Anführungszeichen setzt, scheint ihr dieses Wort ein ganz selbstverständlich zu verwendendes, ein gänzlich unbedenkliches Wort zu sein. Hingegen kann die Volksoper sogar dort Anführungszeichen setzen, wo sie nicht vonnöten – „der lange Arm …“ Wie viele Variationen gibt es davon? Der lange Arm des Gesetzes. Der lange Arm der Stasi. Der lange Arm des Staates … stets ohne Anführungszeichen, sogar den langen Arm der Monarchie werden Sie in vielen Texten finden, gänzlich ohne Anführungszeichen. Über das Verwenden von und über das Nicht-Verwenden von Anführungszeichen kein weiteres Wort mehr, es wurde bereits im Kapitel über das größte Operettenhaus des Landes ausgeführt, was davon und was daran …
Vor kurzem hat der österreichische Bundespräsident davon gesprochen, es müsse auch die Vorgeschichte bedacht werden, wie es … nun, mit den bevorstehenden Aufführungen vom „Zigeunerbaron“, der zeitlich 1740 angesiedelt ist, ist es eine gute Gelegenheit, in diesen Teil der Vorgeschichte zu gehen, der mit Maria Theresia Habsburg 1740 beginnt, von ihr und schließlich von ihrem Sohn Josef fortgesetzt, und zugleich erzählt diese habsburgische Vorgeschichte davon, was der „Zigeunerbaron“ von Johann Strauß nicht erzählt, aber was den Vorurteilsgeladenen, den Vergangenheitsverklärenden gefällt, bis zum heutigen Tag gefällt … es ist wohl nicht von ungefähr, daß Operette und Opportunismus mit den gleichen zwei Buchstaben beginnen.
Mit der Aufklärung war im 18. Jahrhundert das ethnologische Interesse am Menschen im Allgemeinen und am Mitmenschen im Besonderen auf politischer
wie auch auf wissenschaftlicher Ebene in den Fokus der Betrachtung gerückt. Das „Interesse an der Ethnokultur“ der Romgruppen ist in der Aufklärung jedoch kein naives, neugieriges Interesse am Fremden oder Anderen, sondern vielmehr von den aufklärerischen Gedanken der Nutzbarmachung des Menschen durchdrungen. Man „entdeckt […] die ‚Zigeuner‘ als wertvolles Menschenmaterial, dass dem Staat gewonnen werden soll.“
Kurz ist es her, daß das Wort „Menschenmaterial“ in einem Kapitel Erwähnung fand, und wenig überraschend, ausgesprochen von einer Habsburg, allerdings nicht im 18., sondern im 20. Jahrhundert, nach ihrem im sicheren und warmen Heim dirigierten Krieg von 1914 bis 1918 …
Die Zigeuner werden zum Nutzobjekt für die nach den Regeln der Logik und Vernunft angestrebte Optimierung der physiokratischen und agrarökonomischen Wirtschaftskonzepte, denn „Ländereien, die in ihrer natürlichen Eigenschaft ganz hervorragend sind, können ohne entsprechende Arbeitskraft keine Nation bereichern“. Damit werden die Zigeuner als bisher ungenutzte Ressource erkannt und man beginnt etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, diese Ressource auszubeuten. „Umerziehung und Missionierung, Zwangsarbeit und
Seßhaftmachung sind folgerichtig die Stichworte dieses neuen Diskurses über die ‚Zigeunerfrage‘.“
Neben Preußen, Hessen-Nassau und Württemberg, die in unterschiedlichem Ausmaß eine Zwangsassimilation der Zigeuner vorantreiben, greift vor allem in Österreich ein solcher Versuch der Zwangsintegration von Zigeunern während der Regierungszeit Maria Theresias (1740-1780) und Josephs II. (1765-1790). In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, hielt die österreichische Politik unter Josef I. (1705-1711) und Karl VI. (1711-1740) an den Leopoldinischen Erlässen von 1688 und 1689 fest, nach denen alle Zigeuner als vogelfrei erklärt und bei Ergreifung sofort zu exekutieren waren.
„Alle Zigeuner als vogelfrei erklärt und bei Ergreifung sofort zu exekutieren waren.“
Unter Maria Theresia gab es in der zweiten Hälfe des 18. Jahrhunderts die „ersten staatlichen Versuche, Zigeuner in den Gesellschafts- und Wirtschaftsverband der Untertanen zwangsweise zu integrieren, sie zu assimilieren und als Steuerzahler für den Staat nutzbar zu machen.“ Zunächst wurden die Romgruppen per Erlass von 1758 dazu gezwungen, sich niederzulassen. Es wurde ihnen der Besitz von Kutschen und Pferden untersagt, um das Herumziehen zu unterbinden. Land, Saatgut und Baumaterial wurden ihnen mit der Absicht zugeteilt, sie an einem festen Ort zu konzentrieren. Der Militärdienst wurde ebenso wie die Lehre eines Handwerks für sogenannte „Zigeunerknaben“ verpflichtend. Im Gegenzug dazu wurde die Ausübung der ambulanten Berufe der Zigeuner (Kesselflicker, Schmiede, Pferdehändler etc.) untersagt. Mit der Zigeunerregulative von 1761 folgt Maria Theresia dem spanischen Vorbild des 17. Jahrhunderts und untersagt den Gebrauch des Wortes „Zigeuner“. Als Ersatz wird die Bezeichnung „‘Neubauern‘ oder ‚NeuUngarn‘“ verordnet um damit „die Fremdartigkeit aus der Welt [zu] schaffen“. 1767 wurden die Zigeuner der jeweiligen örtlichen Gerichtsbarkeit unterstellt (die bis dahin den jeweiligen Woiwoden, den Stammesfürsten der Romgruppen, oblag). Die Regulative von 1773 war schließlich die juristische Umsetzung des in der Aufklärung entstehenden Rassegedankens und des „von der breiten Öffentlichkeit diskutierten Kausalzusammenhangs zwischen Rasse und Kultur“: Die Ehe unter Zigeunern wurde untersagt, dafür die Vermischung von Zigeunern mit Nichtzigeunern staatlich gefördert. Gleichzeitig sollten alle Zigeunerkinder älter als fünf Jahre ihren Eltern weggenommen und „christlichen Mitbürgern zur Erziehung übergeben werden“. Die Absicht dieser rigiden Maßnahmen war deutlich: die Fortpflanzung der „zigeunerische Rasse“ sollte unterbunden werden
und ihre Angehörigen in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen, sodass es irgendwann keine „genetischen Zigeuner“ mehr gäbe.
„An die Stelle der in den anderen deutschen Ländern noch üblichen Stigmatisierungen, Leibesstrafen und Landesverweisungen tritt unter Maria Theresia der Versuch, die Zigeuner als ethnische Gruppe mit Gewalt zu assimilieren und ihren Fortbestand zu verhindern.“ Kaiser Joseph II. führte in seiner Regierungszeit die Assimilierungspolitik Maria Theresias weiter und verschärfte sie noch durch die Zigeunerregulative von 1783, in der unter andrem das Sprechen von Romanes, der „Zigeunersprache“, verboten wurde und die Zigeuner zwangsweise die Sprache und Tracht der Gegend anzunehmen hatten, in der sie als „Neusiedler“ sesshaft gemacht wurden. Ebenso gab es Bestrebungen, sie verpflichtend der christlichen Religion nahezubringen, und ihre traditionellen Erwerbsquellen wurden immer umfassender unterbunden, sodass sie den für sie vorgesehenen agrarischen Beschäftigungen nachzugehen hatten. „Das Regulativ vollzieht faktisch die Nichtanerkennung der Zigeuner als eigenständiges Volk.“ Im aufklärerischen Absolutismus wird ergo die ethnische Eliminierung der Zigeunerstämme als oberste Prämisse der Zigeunerpolitik angesetzt. Der Zwangsassimilation folgt im Jahrhundert jedoch keine Integration in die Mehrheitsgesellschaft. Zwar hat man die Zigeuner weitestgehend dem Leben der ländlichen Bevölkerung angepasst, trotzdem akzeptiert man sie nicht als Teil der Gesellschaft. Eine Eingliederung passiert nur auf kultureller Ebene über die Repräsentation, und zwar einer Repräsentation die nur im Sinne des „Darstellen-von“ etwas zu verstehen ist, nicht aber im Sinne des „Sprechens-für“ etwas oder jemanden. So werden Zigeuner in jeglicher Kunstrichtung zitiert und verhandelt, der Zugang zu der kulturellen Identität, welche diese Kunstwerke hervorbringt, bleibt ihnen jedoch verwehrt. Der Subjektstatus wird ihnen nicht zuerkannt in einer Epoche, die sich natur- und geisteswissenschaftlich mit dem „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ befasst und darauf ausgerichtet ist, den Menschen als vernünftiges, eigenständiges Individuum zu begreifen. Und die gleichzeitige Verwertung der Zigeunerstereotype für Kunst und Kultur tragen zur weiteren Ausgrenzung bei. „Während also an höchster Stelle daran gedacht wurde, die Zigeuner im Sinne des aufgeklärten Absolutismus in die Gesellschaft zu integrieren, war eben diese Gesellschaft nicht bereit, in den Zigeunern etwas anderes zu sehen, als es Vorurteile und Aberglaube ihr zutrugen“.
Es war 1761 kein hehres Ansinnen von Maria Theresia Habsburg, das Wort „Zigeuner zu untersagen“. 259 Jahre später aber könnte es wenigstens so weit gebracht worden sein, dieses Wort nur noch unter Anführungszeichen …
Der lange Arm der Mutter, „Ahnherrin der Integration in Österreich“, wie es in einem Kapitel ohne Bezug auf Apfelstrudelmitschlagmelodien heißt, mit dem helfenden Ärmchen des Sohns …
Und ein Wiedergänger von ihr wollte wohl nichts anders mit seiner Denkschrift, ihr und ihrem Sohn eine Gedenkschrift widmen, ihnen ein braver, pflichterfüllter Untertan sein, der mit seiner präidentitären Partei es noch einmal angehen wollte, die „ethnische Eliminierung“, mit den technischen Möglichkeiten seiner Zeit, und dann wieder ein Wiedergänger vor 25 Jahren und kein Ende der Wiedergängerinnen, ein Wiedergänger von diesem habsburgischen Untertanen stellte auch wieder die Frage nach – kurz, sehr kurz ist das her …
Ein nun pensionierter Bischof, um etwas Positives an den Schluß zu stellen, hat doch zur Hälfte einbekannt, daß sein Kirchengründer gefehlt hat, immerhin, so weit reichte auch bei ihm nicht die Entwicklung, einzubekennen, daß sein Kirchengründer auch gegen die Menschen eine grausame Haltung einnahm, mit deren Bezeichnung ohne Anführungszeichen die Volksoper im 21. Jahrhundert wirbt, aber sie, die Volksoper, wird es bestimmt nicht verstanden wissen wollen, als „die gleichzeitige Verwertung der Zigeunerstereotype für Kunst und Kultur“, die „zur weiteren Ausgrenzung bei[tragen].“

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