Der Musikkritiker

„Mit dem ‚Zigeunerbaron‘ ist das bekanntlich so eine Sache. Ja, da reiht sich musikalisch Hit an Hit, Ohrwurm an Ohrwurm. Die Handlung jedoch ist – höflich formuliert – hanebüchen und in Zeiten der auch übertriebenen politischen Korrektheit überaus problematisch. Zwar sind die Zigeuner die Guten; an Klischees inklusive einer Kriegsverherrlichung mangelt es allerdings nicht.

Was also tun mit dieser 1885 uraufgeführten Mixtur aus Operette und Oper, dieser Geschichte rund um die Zigeunerin Saffi […]“

So beginnt der Musikkritiker in der Tageszeitung „Kurier“ am 2. März 20 seine mit „Als wäre es ein bitterböses Stück von Brecht“ überschriebene Premierenkritik. Er wird wohl erst vor kurzem eine recht gute Beurteilung seiner VwA im Fach Brechts Dramaturgie erhalten haben.

Nachdem die Direktion und die Dramaturgie der Volksoper in ihrer Stellungnahme so überzeugend darlegte, weshalb Zigeunerinnen ohne Anführungszeichen gesagt und geschrieben werden könne, weil vor allem Zigeuner keine Fremdbezeichnung sei, ist es nun für den Musikkritiker eine Selbstverständlichkeit, Zigeuner ebenfalls ohne Anführungszeichen zu schreiben,und das wird viele der Lesenden dieser Tageszeitung freuen, daß der Musikkritiker die Bezeichnung Zigeuner für eine Massenzeitung, also nach österreichischen Verhältnissen ist es eine Massenzeitung, zurückerobert zu haben, abgestützt durch die eindrucksvolle Argumentation von Direktion und Dramaturgie der Volksoper, das wird die Lesenden der sogenannten Mehrheitsgesellschaft freuen, daß ihr selbstverständliches Verwenden des Wortes Zigeuner durch ihre Tageszeitung Bestätigung und Anerkennung findet, gerade in diesen „Zeiten der auch übertriebenen politischen Korrektheit“ …

Brechts Dramaturgie mag das Spezialfach des Musikkritikers sein, der Strauß mit seinem Schnitzer hingegen nicht, sonst hätte er Zigeunerin in Anführungszeichen setzen müssen. Denn. Die Zigeunerin Saffi ist keine Zigeunerin. Die Anführungszeichen hätten genügt, um zu verdeutlichen, daß die Saffi von Strauß mit seinem Schnitzer keine Zigeunerin ist. Wann Anführungszeichen zu setzen sind, ist dem Musikkritiker durchaus geläufig. So weiß er „Zigeuner-Romantik“ in Anführungszeichen zu bringen …

Nach den Morden nicht nur im tiefsten Burgenland, nach den Ausschreitungen in so vielen Teilen Europas gegen Menschen, die ohne Anführungszeichen als Zigeuner vorgeführt werden, kann wohl von keiner „übertriebenen politische Korrektheit“ gesprochen und geschrieben werden, sondern nur davon, nicht das Barbarische durch das dermaßen freiwillige, dermaßen unbewußte und dermaßen unreflektierte Verwenden von Wörtern, die weiterhin nichts anderes als Schlachtwörter sind, zu bedienen, gerade in diesem Land …

Übrigens. „Der Musikkritiker“- auch ein Ohrwurm, aber den hat kein Strauß mit seinem Schnitzer g’schriebn …