Kurz ist es her, daß Hans Rauscher in der Tageszeitung über die „österreichische Unabhängigkeitserklärung schrieb, und er jubelte diese „Unabhängigkeitserkärung“ ganz Karl Renner zu, den er zum Vorbild für den „Herrn Karl“ …
Es ist wohl dem Opportunismus der Zeit geschuldet, daß er, Rauscher, die Geschichte der „Unabhängigkeitserklärung“ regierungsparteigefällig erzählt, also beispielsweise nicht den Mann erwähnt, der mit in der Blaimscheinvilla in Hietzing saß, mit an der „Unabhängigkeitserklärung“ tüftelte. Den „österreichischen Streicher“ nicht erwähnt.

Von Hietzing weiter nach Ottakring, in die Gallitzinstraße, in der ein Gedenkstein errichtet wurde, vor 65 Jahren:
„Unsere Freiheit wurde durch die Standhaftigkeit des österreichischen Volkes errungen.“
Ein von Julius Raab unterzeichneter Satz, und darunter ein Vers von Anton Wildgans aus dem Gedicht aus 1920, aus seinem Gedicht mit dem Titel „Das österreichische Credo“, das vor einhundert Jahren geschrieben wurde. Was für ein Jubiläum.
„Unendlich ist was dieses Volk gelitten.
Erniedrigung, Verfolgung, Hunger, Leid
Und Trug es stark und trug’s
Mit sanftem Bitten
In Stolz und Demut
Seiner Menschlichkeit.“
Was für eine „Standhaftigkeit“ Julius Raab wohl meinte? Auch seine eigene Standhaftigkeit? Standhaft zu jenen sich zu bekennen, die bloß „Opfer ihres Idealismus“ waren und weiter sind?
In seinem „österreichischen Credo“ nennt Antwort Wildgans – es wäre sonst wohl kein „österreichisches Credo“ – nicht, wer für „Hunger, Leid“ …
In seiner „Rede über Österreich“, die er vor neunzig Jahren hielt, spricht Anton Wildgans ein Loblied auf jene, die er in seinem „Credo“ als Verursachende nicht nennt, und er spricht von einem „Verderber, Versucher, Aufwiegler“, freilich auch diesmal, ohne einen Namen zu nennen …
Und dann, meine Damen und Herren, man muß dieses Volk in seinem tiefsten Unglück gesehen haben, in der Zeit, da die Not an jede Türe pochte und der Boden fast unter jeder Existenz schwankte! Die früher zu genießen verstanden hatten, die wußten jetzt ebenso zu entbehren und zu hungern! Und die Verzweiflung der Niedergetretenen, in diesem Volke ist sie niemals ausgeartet ins Unmaß der Wut, obwohl es derer genug gab, die seinen Zorn verdient hätten! Denn der Verderber, der Versucher, der Aufwiegler, er hat auch in ihm seine Köder ausgeworfen und seine Schlingen gelegt; aber in der Sündflut von Schmutz und Verwirrung, die jeder Zusammenbruch einer Staats- und Gesellschaftsordnung entfesselt, ist der Wesenskern unseres Volkes unversehrt geblieben, und jene, auf die es letzten Endes immer ankommt in einer Nation, die Priester und Diener an ihrem idealen Gut, sie haben um der Butter aufs Brot willen die Ehre nicht verkauft, sie haben das Brot lieber trocken gegessen. Der Künstler, der Gelehrte, sie haben mit frierenden Händen in schlecht beleuchteten Räumen ihr Werkzeug weiter gehandhabt, und während alles und jedes ringsum zusammenzubrechen drohte, haben Hungerskelette von Senaten unbeirrt das heilige, klare Recht gesucht und verkündet wie in den Tagen des Wohlstandes! Nein, meine Damen und Herren, eine härtere Probe auf die Seele und die Kultur eines Volkes wurde noch niemals gefordert, und der sie bestanden, das ist, von allen Geißeln gestriemt, von allen Dornen verwundet und an alle Pfähle geschlagen, der österreichische Mensch!
Das Gesinnungsmagazin der für kurz gewesenen Regierungspartei und weiter wesenden Parlamentspartei nimmt das von Hans Rauscher gesinnungsgemäß recht dankbar auf, um die „untilgbare Schande auf der Unabhängigkeitserklärung“ vom 27. April 1945 auszumachen. Der Verfasser E. K. L. kommt ebenfalls aus, ohne den „österreichischen Streicher“ zu erwähnen. Aber die Partei des Gesinnungsmagazins steht nach wie vor Gesinnung bei Schaft, um wieder Regierungspartei für kurz …

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