„Tichys Einblick“ wieder zu Gast bei „Servus-TV“ – „neurechte Plattformen des Geschäftsmodells Hetze und Falschbehauptungen“

Christoph Kotanko: Zara Riffler, sie ist freie Journalistin in Deutschland, sie schreibt u. a. für die konservative Plattform Tichys Einblick.

Tassilo Wallentin: Ich sehe überhaupt keine Notwendigkeit, ich glaube, der Vorstoß war ja auch, daß Kinder, die hier geboren werden, automatisch die Staatsbürgerschaft haben. Ich halte das für vollkommen unreflektiert, weil die Vereinigten Staaten haben dieses Systems, allerdings haben die Vereinigten Staaten gesicherte Grenzen, das haben wir nicht.

Das reichte, um den Apparat auszuschalten, nach zwei Minuten und siebenundreißig Sekunden. Denn. Wozu eine Sendung bis zum Ende anzusehen, von der schon nach nicht einmal drei Minuten gewußt wird, den einzigen Gewinn aus dieser Sendung werden Tassilo Wallentin und vor allem Zara Riffler ziehen, durch ihre Präsenz, und auch dadurch, daß Heide Schmidt und Kenan Güngör die Größe besitzen, sich mit dem von Riffler und Wallentin Vorgebrachten ernsthaft auseinanderzusetzen …

Dabei, schon nach gerade einmal zweieinhalb Minuten hätte zu Tassilo Wallentin gesagt werden können, nach dieser seiner aus Gründen der Ertragbarkeit nur zum Teil oben zitierten Aussage bereits in seiner ersten Meldung: „Warum gehen Sie nicht einfach nach Hause?“

Vielleicht haben ihm das schon Zeitungen, für die er nicht schreiben kann, gesagt, bis auf ebendie Zeitung, für die er schreibt: „Gehen Sie nach Hause, lesen Sie, und dann kommen Sie wieder, vielleicht können wir Sie doch beschäftigen, anstellen für unsere Rubrik „Fundstücke – Wenn Sie das verloren haben, dann melden Sie sich bei …“

Eigentlich war bereits die Vorstellung der Eingeladenen durch Christoph Kotanko ein ausreichender Grund, den Apparat auszuschalten oder zu einer anderen Sendung umzuschalten, beispielsweise zu „Mei liabste Weis“ …

Es will damit nicht gesagt werden, es sollen Menschen wie vor allem Zara Riffler nicht eingeladen werden, aber das soll nicht unter Bezeichnungen geschehen, die anders erwarten lassen. Christoph Kotanko stellte Zara Riffler als eine Journalistin vor, die für „die konservative Plattform Tichys Einblick“ ….

Der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, hat am Stuttgarter Landgericht eine Niederlage gegen die Grünen-Politikerin Claudia Roth erlitten. Roth hatte Tichys Portal Tichys Einblick als eine von mehreren „neurechten Plattformen“ benannt, „deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen“ beruhten. Dagegen hatte Tichy eine einstweilige Verfügung beantragt, er warf Roth eine falsche Tatsachenbehauptung vor. Das Gericht widersprach dem nun.

Wenn von einem österreichischen Journalisten „Tichys Einblick“ als „konservative“ Plattform vorgestellt wird, wenn berücksichtigt wird, welche Partei in Österreich als die „konservative“ Partei angesehen wird, kann erahnt werden, einfach wie kurz gesagt, was aus dem „Konservatismus“ in Österreich geworden ist … Im Grunde hätte der Apparat nicht einmal für diese zwei Minuten und siebenundreißig Sekunden eingeschaltet oder von „Mei liabste Weis“ zu dieser Sendung umgeschaltet werden müssen, zu einer Sendung mit dem Titel „Duell der Meinungsmacher“ … Was kann von einer „Duell“ verkauften Diskussion erwartet werden? Fellnerisches Fernsehen. Auch wenn der Moderator Kotanko heißt.

Diesmal also war für „Tichys Einblick“ Zara Riffler zu Gast bei „Servus-TV“ und nicht Roland Tichy selbst, mit dem in Deutschland nicht einmal ein Friedrich Merz auf derselben Bühne stehen möchte

Es wurde nicht gezählt, es ist auch belanglos, wie oft Roland Tichy selbst schon zu Gast war in der Sendeanstalt des österreichischen Zuckerklebrigenabfüllers, aber es ist doch immer wieder darauf hinzuweisen, daß Menschen von solchen Plattformen, die in Österreich „konservative“ genannt werden, und in Deutschland genauer als das, was sie sind, bezeichnet werden, nicht in Sendungen gehen, um zu diskutieren, um mit einem Erkenntnisgewinn aus Diskussionen zu gehen, sondern mit ihrer Gesinnung in die Diskussionen mit sendungsbewußtem Eifer hineingehen und mit ihrer Gesinnung aus den Diskussionen mit gestärktem Eifer wieder herausgehen, mit der Gewißheit und der Schadenfreude, ihre Propaganda wieder breit untergebracht zu haben.

Es gibt von Nicola Gess ein Buch mit dem Titel „Halbwahrheiten – Zur Manipulation von Wirklichkeit“, das in diesem Zusammenhang einfällt, weil es darin auch um den „journalistischen Hochstapler“ geht. Durchaus zutreffend auf Menschen von „konservativen“ Plattformen, aber nicht nur, auch auf „neurechte“ Parteien …

Wenn Hannah Arendt schreibt, dass die Lüge schon immer als „ein erlaubtes Mittel in der Politik [galt]“, hat sie mit den Pentagon-Papieren eine Politik vor Augen, die immerhin noch darum bemüht war, ihre Falschbehauptungen zu kaschieren und Selbstwidersprüche zu vermeiden. Für die sogenannte „postfaktische“ Politik hingegen scheint Wahrhaftigkeit überhaupt keinen Wret mehr darzustellen. Der Philosoph Harry G. Frankfurt hat die auf einer solchen Haltung basierende Diskurspraxis schon 1986 als Bullshitting bezeichnet: „Der Bullshitter […] ignoriert diese Anforderungen in toto. Er weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht. Aus diesem Grunde ist Bullshit ein größerer Feind der Wahrheit als die Lüge.“ Dem Bullshit-Redner kommt es nicht auf die Wahrheit, sondern allein auf den Schein von Wahrhaftigkeit an. Er will dem Publikum ein bestimmtes Bild von sich selbst vermitteln, und um das zu erreichen, sagt er alles, was ihm passend erscheint – Hauptsache, das Publikum hält es für glaubwürdig. Dasselbe gilt auch für die Halbwahrheiten: Sie scheint wahr, ohne es (in Gänze) zu sein. Folgt man Frankfurt, so reüssiert der postfaktische Diskurs also vor allem in einer Kultur der Selbstdarstellung, die längt auch auf die Politik übergegriffen hat. Bestes Beispiel hierfür ist neben Donald Trump […]

Wulffen und Mann waren nicht die Einzigen, die sich in der Weimarer Republik für die Sozialfigur des Hochstaplers interessierten. Vielmehr avanciert der Hochstapler in dieser krisengeschüttelten und von einer tiefen Verunsicherung geprägten Zeit zum „Zeittypus par excellence„.

Robert Suter hat in einem Aufsatz über „Wege zum Erfolg in der Weimarer Republik“ den „Aufstieg des Bluffs zur sozialen Schlüsselsemantik“ beschrieben. Dabei stützt er sich unter anderem auf den zeitgenössischen Soziologen Gustav Ichheiser, dem zufolge der soziale Erfolg eines Individuums nur scheinbar von dessen Leistungstüchtigkeit, tatsächlich aber von dessen Erfolgstüchtigkeit abhängig sei, deren Grundformen sind: „Beeinflussung der erfolgsentscheidenden Instanzen, Erzeugung einer günstigen Meinung über sich selbst, einer ungünstigen über alle möglichen Konkurrenten“, und zwar unter anderem durch „Reklame“, „Prestigebildung“, „Bluff“, „die ganze ‚mise en scene‘ der eigenen Persönlichkeit“. Wichtig sei jedoch, dass der auf diese Weise Erfolgreiche den Schein aufrechterhalte, den Erfolg allein seiner Leistung zu verdanken; insbesondere gelte das für die politische Sphäre: „[D]der Politiker […] muß erfolgstüchtig sein und muß die ganze Klaviatur der Erfolgstüchtigkeit beherrschen“, aber „er muß als leistungstüchtig gelten. Und er ist nur erfolgstüchtig, solange er als leistungstüchtig gilt.“

Ist Ichheiser an einer Kritik dieser Mechanismen sozialen Erfolgs gelegen, nimmt die Ratgeberliteratur der Zeit einen affirmativen bis zynischen Standpunkt ein. So empfiehlt Fritz Theodor Gallerts Erfolgs-Methode (1919) etwa als erste Bedingung für Erfolg die „hohe Meinung von sich selbst“, und Ratgeber wie Emil Coués Die Selbstbemeisterung durch bewußte Autosuggestion (1922) liefern die passende Selbsttechnik dazu.

Der Hochstapler hat das alles schon perfektioniert. Walter Benjamins Verhaltenslehre des Erfolgs ist das bewusst. In „Der Weg zum Erfolg in dreizehn Thesen“ (1928) beruft er sich nicht nur auf den Improvisator, der den Inquisitor über sein Amt hinwegtäuschte, das Genie, das zur rechten Zeit am rechten Ort sei, den Spieler, der den eigenen Namen abstoße, sondern auch auf den Hochstapler, der für den nach Erfolg Strebenden „das Vorbild schöpferischer Indifferenz“ abgebe: „Schwindeln darf einer, so viel er will. Aber nie darf er sich als Schwindler fühlen.“ Am Hochstapler-Diskurs der 1920er-Jahre lässt sich also die Geburt einer Erfolgsethik nachzeichnen, die heute abermals von unmittelbarer und politisch brisanter Aktualität ist. In der Kultur der Selbstdarstellung gedeiht die Hochstapelei. Zu ihren wichtigsten Instrumenten gehören Halbwahrheiten; mehr noch: Der Hochstapler ist die Subjektform der Halbwahrheit.

Nicola Gess wird beim Schreiben dieses Buches nicht an Menschen von „Tichys Einblick“ gedacht haben, denn zu weit darüber hinaus gehen die Einblicke in diesem Buch, denn weder können die Menschen von dieser „konservativen“ Plattform Leistungstüchtigkeit noch Erfolgstüchtigkeit vortäuschen, außer, ja, in Österreich, wo, einfach wie kurz gesagt, die Leisten des Scheins erste Wahl, wo, der Hochstapelei zugearbeitet wird, freiwillig und ohne Not zugearbeitet wird, auch von jenen, die meinen, beispielsweise kein fellnerisches Fernsehen zu machen …