Lebensstrafe

Erst ist es Judas Iskariot, der offensichtlich eine politische Vorstellung von dem hat, was der Messias leisten soll. Mit den Zeloten, einer jüdischen Widerstandsgruppe, scheint er für eine gewaltsame Befreiung vom Joch der Römer zu sein.

An diesem Freitag, 15. April ’22, erzählt dies Jan-Heiner Tück in seiner Passionszeitsendung, daß Judas den Mann, der nach damaligen Recht zum Tod verurteilt wurde, verraten hätte, für die folgenschweren 30 Silberinge, für die, auch für die dann durch Jahrtausende vor allem jüdische Menschen …

Und das Stigma des Verrats ist ihnen bis herauf in die Gegenwart weithin sichtbar und unauslöschlich eingebrannt; ein verräterischer Mensch wird nicht „Iskariot“ beschimpft, sondern als „Judas“, bei dem nicht an einen einzelnen mit dem Namen Iskariot gedacht wird, sondern …

„Der Sog des Verrats“ nennt Tück seine karfreitagliche Passsionszeitsendung. Zutreffender: Der Sog des Fabulierens

Iskariot könnte, so vage erzählt es Tück, ein Mitglied der Widerstandsgruppe der „Zeloten“ gewesen sein, er könnte aber auch nur mit der Idee der Widerstandsgruppe übereinstimmt haben, der „gewaltsamen Befreiung vom Joch der Römer“ … Tück erzählt weiter, Iskariot habe den Mann aus Enttäuschung verraten. Auch dies erzählt Tück recht vage. War Iskariot von dem Mann enttäuscht, weil er sich nicht für die Widerstandsgruppe anwerben ließ? War Iskariot von dem Mann enttäuscht, weil er nicht mit ihm übereinstimmte, es könne nur eine „gewaltsame Befreiung vom Joch der Römer“ geben? Worin Tück nicht vage bleibt, ist, daß der von ihm angehimmelte Mann kein Mitglied der Widerstandsgruppe war.

Was immer die Gründe von Iskariot waren, er wird mit seinem Anführer, wenn er denn dies zu seinen Lebzeiten tatsächlich war und nicht erst nach seinem Tod zum Führer erhoben ward, wohl aus welchen Gründen auch immer unzufrieden gewesen sein, von dem aus anderen Quellen gewußt wird, daß er ein „Zelot“ war, daß er ein Widerständler war, und in welcher Zeit auch immer, unter welchem Regime auch immer, stets gibt es die harten und nur aus der Sicht der Unterjochenden zu rechtfertigenden Gesetze gegen den Widerstand, gegen die Befreiung.

Und auch an dem Freitag dieses Jahres wird wieder des Zeloten einzig gedacht, für den es, wie für jeden Menschen, bitter war, in so jungen Jahren schon das Leben zu verlieren, darüber hinaus noch gewaltsam, die Todesstrafe zu erleiden, aber es wird einzig an diesen Mann gedacht, der selbst der Gewalt nicht abgeneigt, der selbst verkündete, er werde sein Schwert nicht in der Scheide …

Nicht gedacht wird an diesem Freitag, auch nicht an dem heutigen Freitag, den die Anhängenden des Führers Karfreitag nennen, all der Namenlosen durch die Jahrhunderte, die nicht zum Tod auf dem Kreuz verurteilt wurden, aber die ihr Kreuz in den barockwarmen Boudoirs zu erleiden haben, gerichtslos verurteilt zur Lebenstrafe seit ihrer Kindheit an.