„Die Lügen, die Fesseln“ – Was das Buch mit dem jeweiligen Land zu tun hat, in dem es gelesen wird.

Menschen in Slowenien, Menschen in den Vereinigten Staaten von Amerika, Menschen in Australien, Menschen in Nigeria, Menschen in Brasilien, Menschen in Indien, kurzum, in welchem Land in dieser Welt auch immer Menschen das Buch von Kwame Anthony Appiah lesen, sie werden Parallelen zu dem Land ziehen, in dem sie aufhältig sind, sie werden Bestätigungen dieses Buches durch das Land, in dem sie vielleicht seit ihrer Geburt sich aufhalten, vorweisen können, sie werden durch dieses Buch an das Land erinnert werden, das ihnen Lebensmittelpunkt ist, und sie werden möglicherweise über Rezensionen dieses Buches verwundert sein, wie beispielsweise in Österreich über die Buchbesprechung von Ronald Pohl, der es schafft, auf das Buch auf eine Weise einzugehen – nun, es wurde in den vorhergehenden Kapiteln davon ausführlich erzählt, so daß es nicht ein weiteres Mal erzählt zu werden braucht …

Es ist doch eine interessante Reaktion des Ronald Pohl, also die Reaktion in Österreich auf dieses Buch, was etwa Pohl für seine Buchbesprechung auswählt …

Es blieb Philosophen wie Johann Gottfried Herder vorbehalten, das Wirksamwerden eines „Geistes“ zu behaupten, der sich in Sprache und Literatur verkörpert.

So Pohl in seinem Absatz „Nationalgeister“. Und Appiah in seinem Kapitel „Land“:

Das Verständnis des Nationalcharakters veränderte sich durch das Bestreben, hier etwas Spirituelles zu feiern, die Seele oder den Geist des Volkes – oder den „Volksgeist“, um hier einen Ausdruck zu verwenden, der den Gedanken erfasste, der sich in der deutschen Philosophie entwickelte. Hegel dürfte der erste Philosoph gewesen sein, der diesen Ausdruck verwendete, doch der Gedanke eines Nationalgeists findet sich bereits in den Schriften des großen deutschen romantischen Philosophen Johann Gottfried Herder.

In der literarischen und philosophischen Bewegung, mit der die europäische Romantik begann und die wegen ihrer stürmischen Stimmungswechsel als
Sturm und Drang bezeichnet wird, erkundete Herder den Gedanken, das deutsche Volk werde von einem Geist zusammengehalten, der vor allem in der deutschen Sprache und Literatur verkörpert sei[.]

Das Seltsamste oder das Kenntlichste an der pohlschen Buchbesprechung ist das völlige Fehlen eines Hinweises auf das bei weitem längste und wohl entscheidendste Kapitel in diesem Buch, nämlich auf das Kapitel „Klasse“. Es sei denn, bei großzügigster Betrachtung, Pohl bezieht sich mit seinem Absatz „Hilfen“ auf dieses Kapitel, jedoch, dann wurde das umfangreichste Kapitel „Klasse“ von ihm vollkommen mißgelesen. Die Kapitelüberschrift „Klasse“ kann, kurz zusammengefaßt, in keiner Weise durch „Hilfen“ ersetzt werden, es verkehrte den Inhalt dieses Kapitels vollkommen in sein Gegenteil.

In diesem Kapitel „Klasse“ ist auch Johann Gottfried Herder wieder anzutreffen, mit einer Ansicht, die Pohl für seine Buchbesprechung nicht aussuchte, er wählte stattdessen das Geschwefel der „Nationalgeister“.

Bei der Schaffung eines Auswahlsystems für berufliche Positionen oder Bildungschancen kann man daher nicht fragen, wer dieser Chancen am ehesten würdig wäre, da es, wie Michael Young in seinem fiktiven „Chelsea Manifesto“ erklärt, keinen einheitlichen Maßstab für eine derartige Rangordnung gibt. Da wir alle vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen, kommt es letztlich gar nicht darauf an, wie wir im Vergleich mit allen anderen abschneiden. Wir brauchen nichts zu finden, in dem wir die Besten wären. Wichtig ist allein, dass wir unser Bestes tun. Jeder von uns, schrieb einst Herder und brachte damit eines der großen Leitmotive der Romantik zum Ausdruck, hat sein eigenes Maß.

Wem fällt hierzu nicht gleich die aktuelle Aufregung um die „Ergebnisse“ der „Pisa-Studie 2019“ ein, auch in Österreich, die Erschütterung, die Bestürzung, in der „Rangordnung“ nicht … was für eine verplemperte Zeit mit diesen „Vergleichen“!

In dem Kapitel „Klasse“ wird nicht wenig von Michael Young berichtet, und auch mit ihm kann ein Blick auf Österreich geworfen werden, in dem einige von seiner „Meritokratie“ träumen, träumen eben, aber nicht verstehen …

Und es gibt Variationen dieses Satirewortes, eine ist erst vor kurzem aufgetaucht, in Österreich, in ebendieser pohlschen Tageszeitung österreichischen Qualitätszuschnitts, im Artikel einer Frau, die sich auf ein Buch bezieht, das nicht als Satire geschrieben wurde (obgleich es durchaus …), in einem Artikel also, von dem nicht gesagt werden kann, ist es eine Buchbesprechung als Artikel, ist es ein Artikel mit Buchbesprechung, eine Empfehlung zur Lektüre soll es wohl sein …