„Ihr wißt selbst nicht, wie reich ihr seid, über welche gewaltigen Mittel ihr verfügt“

„Es unterliegt keinem Zweifel, daß die große Masse der Abhängigen im heutigen Staatsleben in jeder Beziehung maßgebend ist, daß sie in allen Erscheinungen der Volkswirtschaft das ausschlaggebende Element bildet; sie ist der größte Produzent, der größte Konsument, der größte Steuerzahler und der größte Kapitalist.“

Es wird sich wohl kaum mehr – dabei ist es kurz erst her – an die für kurz gewesene Ministerin in Österreich erinnern, die meinte zu wissen, wer die Arbeit schaffe

Gerade in der gegenwärtigen Situation ist es nicht verfehlt, ein Buch aufzuschlagen, das vor 117 Jahren veröffentlicht wurde. Geschrieben wurde es von Rudolf Diesel. Sie kennen das Produkt von ihm. Vielleicht haben Sie sogar ein mit seinem Motor ausgestattetes Auto, mit dem Sie zur Arbeit fahren.

1903 veröffentlicht Rudolf Diesel:

„Solidarismus. Natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen.“

„Es unterliegt keinem Zweifel, daß die große Masse der Abhängigen im heutigen Staatsleben in jeder Beziehung maßgebend ist, daß sie in allen Erscheinungen der Volkswirtschaft das ausschlaggebende Element bildet; sie ist der größte Produzent, der größte Konsument, der größte Steuerzahler und der größte Kapitalist.“

Gerade in der gegenwärtigen Situation ist es dringend geraten, dieses Buch von Rudolf Diesel aufzuschlagen. In einer Situation, in der nicht wenige meinen, es ist hoch an der Zeit über eine Änderung der Wirtschaftsordnung nachzudenken, eine Veränderung dringend vonnöten ist.

Mitten in dieser Situation wird aber auch schon erkennbar, wer wieder die Last zu tragen haben wird, wem diese Krise aufgebürdet werden wird, wieder einmal.

Ihre dafür im Voraus schon gegebene Belohnung der Orden des nationalen Kraftaktes für die in dieser, auch in dieser Krise ausgegebene Order des nationalen Kraftaktes. Das wird die gesamte Belohnung also wieder einmal sein, eine Auszeichnung dafür, den Befehl des nationalen Kraftaktes pflichtvereidet wieder einmal erfüllt zu haben. Order und Orden, mit deren Herkunft von einem lateinischen Wort in der Bedeutung von Ordnung, Ruhe. Es muß Ordnung herrschen im Land. Es muß Ruhe herrschen im Land. Ruhe und Ordnung in geschlossener Reihe sind stets die begehrten Ziele des Stands, der Klasse, die zum nationalen Kraftakt vergattert.

Zu welchen Lösungen vor 117 Jahren Rudolf Diesel kommt, nun, als eine der Anleihen für die Gegenwart durchaus eine zu berücksichtigende, eine, die einfließen kann in die längst überfällige Veränderung der Wirtschaftsordnung, nicht nur in Österreich, sondern tatsächlich weltweit.

Die Lösung, wie sie Rudolf Diesel in „Solidarismus“ vorschlägt, ist zum Lesen in ihrer Gesamtheit zu empfehlen. Stoßen Sie sich dabei aber nicht an so mancher Formulierung, es ist ein Buch, das der Sprache vor 117 Jahren verpflichtet ist.

Es ist nicht die Intention, hier die Lösung von Rudolf Diesel zu propagieren, auch wenn „Solidarismus“ reich an Anregungen ist, die für eine dringend notwendige Veränderung der globalen Wirtschaftsordnung nützliche und nutzbringende Anregungen sind.

Im Mittelpunkt sollen hier die von Rudolf Diesel verwendeten Statistiken sein, die er zur klaren und schlüssigen Argumentation seiner Lösung heranzieht.

Es sind Statistiken, die aufzeigen, wie vor rund 120 Jahren es darum bestellt war, beispielsweise um die Verteilung des Vermögens, um die Steuerleistung, um den Konsum, um die Spareinlagen.

Die Statistiken von vor 120 Jahren von Rudolf Diesel beziehen sich auf Deutschland. Werden zu diesen Statistiken als Vergleich die Zahlen der Gegenwart aus Österreich gegenübergestellt, können nur mit größtem Erstaunen Fragen gestellt werden. Beispielsweise.

Wieso wollen die Menschen in Österreich, um bei diesem Land beispielhaft zu bleiben, nicht wissen, über welche gewaltige Mittel sie verfügen, und was sie mit diesen Mitteln für eine für sie positive Wirtschaftsordnung und Gesellschaftsordnung etablieren könnten?

Die gesamten Spareinlagen der Menschen in Österreich übertreffen bei weitem das Vermögen der sogenannten Reichsten in diesem Land.

Zu den von Rudolf Diesel vor 120 Jahren angeführten Statistiken fallen die gegenwärtigen Statistiken aus Österreich ein. Erstaunlich daran, wie die prozentualen Verteilungen einander im Grunde gleichen, in 120 Jahren es nicht zu enormen Verschiebungen, Veränderungen gekommen ist.

Vor 120 Jahren führt bereit Rudolf Diesel diesen einen berühmten Prozentsatz an, von dem heute alle Welt spricht: „1 Prozent der Gesamtbevölkerung im Besitze von 80 bis 85 Prozent des Vermögens“ … Um beim Beispiel Österreich zu bleiben, könnte gesagt werden, was für ein Fortschritt. Denn. Immerhin besitzen nun, 120 Jahre später, rund 10 Prozent, haben 120 Jahre später doch 10 Prozent mehr als die restlichen 90 Prozent gemeinsam, und der Anteil des einen reichsten Prozentes beträgt nur mehr 40 Prozent, und 50 Prozent der Menschen teilen sich gar stattliche 4 Prozent des Vermögens.

All die Chimären, um es kurz zu machen, die heute noch verbreitet werden, hat auch ein Rudolf Diesel bereits vor 117 Jahren als Chimären bloßgelegt.

Etwa die Chimäre über die Steuerleistungen. Wer heute die größten Steuerleistungen zu erbringen hat, sind genau jene, die bereits vor 120 Jahren die größten Steuerleistungen zu erbringen hatten.

Was für eine Einbildung nicht nur der einen für kurz gewesenen Ministerin der absoluten Wichtigkeit und vollkommenen Vorrangstellung der Wirtschaft. Was wäre die Wirtschaft ohne die Menschen, die für die Wirtschaft produzieren und zugleich das von ihnen selber Produzierte konsumieren?

Es gibt all die gegenwärtigen Statistiken auch aus Österreich, die all das belegen, und diese könnten hier auch angeführt werden.

Aber wozu?

Diese sind ohnehin bekannt. Aber diese wollen nicht wahrgenommen werden.

Es werden lieber weiterhin die Kälber der Chimären angebetet.

Es müssen nicht die aktuellen Statistiken angeführt werden, vor allem, weil diese im Grunde nichts anderes enthalten, als das, was diese beispielsweise schon vor 120 Jahre enthielten, belegten, als Grundlage zum Handeln, also zur endlichen Abkehr von den unverständlich nach wie vor geltenden Ordnungen, deren Fundament Chimären sind.

„Es unterliegt keinem Zweifel, daß die große Masse der Abhängigen im heutigen Staatsleben in jeder Beziehung maßgebend ist, daß sie in allen Erscheinungen der Volkswirtschaft das ausschlaggebende Element bildet; sie ist der größte Produzent, der größte Konsument, der größte Steuerzahler und der größte Kapitalist.“

Als Produzent.

Für die Produktion bedarf diese Behauptung eigentlich keines Beweises; da es Tatsache ist, daß für die große Masse die Familienhäupter unter 3000 Mark Jahreseinkommen haben, so folgt daraus, daß diese 97% der Bevölkerung arbeiten müssen, um zu leben, und daß sie somit mindestens 97% der Gesamtarbeit des Landes wirklich leisten.

Als Konsument.

Nicht ebenso selbstverständlich ist das Verhältnis für den Konsum. Hier herrschte sogar bis in die neuere Zeit hinein die Ansicht, daß der Verbrauch der bemittelten Minorität weit größer sei als derjenige der unbemittelten Massen. Dieser gründliche volkswirtschaftliche Irrtum ist heute widerlegt. R. E. May hat in seinem 1900 erschienenen Werk: ‚Das Verhältnis des Verbrauchs der Massen zu demjenigen der Wohlhabenden und Reichen‘ nachgewiesen, daß der Verbrauch der großen Masse (als welche er alle Einkommen unter 3000 Mark ansieht) sechsmal so groß ist als derjenige der Wohlhabenden und Reichen (über 3000 Mark Einkommen). Würde der Konsum der letzteren plötzlich verschwinden, so würde die Volkswirtschaft das selbstverständlich spüren, aber ein durchgreifender Schaden, ja eine Krisis würde damit kaum verbunden sein. Maßgebend für das Gedeihen einer Volkswirtschaft ist danach der Konsum der großen Masse der Abhängigen. Daraus erhellt die eminente Wichtigkeit der Kaufkraft der untern Einkommensschichten und die ungeheure Macht der vereinten Kaufkraft dieser Schichten; eine verhältnismäßig kleine Verringerung dieser Kaufkraft führt sofort eine schwere Krisis herbei, und eine geringe Erhöhung derselben ist für das Gedeihen der Volkswirtschaft, also für die Gesamtwohlfahrt, unvergleichlich wichtiger als das Ansammeln noch so großer Einzelvermögen oder als das Erschließen noch so großer ausländischer Absatzgebiete; denn auch der Konsum des Außenhandels ist im Verhältnis zum inländischen Verbrauch der großen Masse viel geringer, als man gemeinhin annimmt; so beträgt in Deutschland die Gesamtausfuhr pro Kopf jährlich 70 Mark, der inländische Verbrauch pro Kopf mindestens 200 Mark [23], d. h. mindestens 3 / 4 des ganzen Verbrauchs. (Siehe G. Maier, Soziale Bewegungen, 1902.) Diese Zahlen beweisen, daß die große Masse der Produzenten eines Landes der Hauptsache nach ihr eigener Konsument ist. Möchte doch das Bewußtsein unseren maßgebenden Faktoren in Fleisch und Blut übergehen, daß die Blüte einer Volkswirtschaft direkt proportional ist der Kaufkraft der großen Masse, und daß die Ankündigung des Anwachsens des Durchschnittseinkommens der großen Masse um 5 oder 10% für die Beurteilung der industriellen und landwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes ungleich mehr bedeutet als die Aufzählung noch so vieler erstaunlich hoher Steuerzahler.

Als Kapitalist.

Im Anhang 4 wurde bewiesen, daß die Gesamtsumme der Spareinlagen der kleinen Sparer in Deutschland wenigstens 12 bis 14 Milliarden Mark beträgt. Vergleicht man diese Summe mit den Kapitalien der größten amerikanischen Trusts (Anhang 7), so zeigt sich das überraschende Ergebnis, daß die deutschen Kleinsparer dreimal so viel Kapital besitzen als der gewaltigste Trust der Welt, der amerikanische Stahltrust, und siebenmal so viel Kapital wie der allmächtige Petroleumtrust, welcher allen Kulturländern seine Bedingungen diktiert. Es folgt daraus, daß die Kleinsparer eines einzigen Landes als Gesamtheit der größte Kapitalist sind, größer und mächtiger als selbst die gewaltigsten Kapitalvereinigungen, vor denen die ganze Welt das Knie beugt, und denen die Industrien aller Länder tributpflichtig sind.

Als Steuerzahler.

Wie man früher irrtümlich annahm, daß die Wohlhabenden und Reichen die größten Verbraucher seien, so nimmt man heute noch an, daß sie den größten Teil der Steuern eines Landes aufbringen. Die Ansicht, daß die Steuern der Hauptsache nach von den sogenannten »leistungsfähigen Schultern« getragen werden, daß ein großer Teil der Bevölkerung überhaupt steuerfrei sei, ist allgemein verbreitet, und doch ist sie ein schwerer Irrtum. Diese Ansicht trifft einigermaßen zu nur für die direkten Steuern, unter welchen die wichtigste die Einkommensteuer ist. So betrug im Jahre 1901 [24] die Gesamteinkommensteuer der physischen Zensiten in Preußen 168,13 Millionen Mark. Hiervon entfielen auf Zensiten mit über 3000 Mark Jahreseinkommen 114,01 Millionen Mark. Demnach beträgt die Leistung der Zensiten unter 3000 Mark Einkommen 54,12 Millionen Mark. Es bezahlt also von dieser Steuer die große Masse (97% der Bevölkerung) nur rund 1 / 3 , und die übrigen 3% der Bevölkerung 2 / 3 . Ganz anders aber gestaltet sich das Bild, wenn man die zweite wichtigste Steuergruppe, die indirekten Steuern in Betracht zieht; diese sind der Hauptsache nach Verbrauchssteuern, Zölle, in süddeutschen Staaten Weinsteuer, Fleisch- und besonders Biersteuer u. dgl., dieselben hängen nicht vom Einkommen, sondern vom Verbrauch pro Kopf an alltäglichen Lebensmitteln ab, sind also im wesentlichen pro Kopf für alle gleich; allenfalls könnte man annehmen, daß die große Masse hiervon 6 / 7 und der Rest der Bevölkerung 1 / 7 leistet, weil sich der Konsum dieser beiden Gruppen, wie vorhin gezeigt wurde, so verhält. Nach einer Abhandlung des badischen Finanzministers Dr. Buchenberger entfallen nun auf den Kopf der Bevölkerung in den letzten Jahren aus den zwei wichtigsten Steuerarten: in Preußen in Bayern

1. an direkten Steuern 6,07 M. 5,90 M.
2. an Zöllen und Verbrauchssteuern 15,28 “ 21,06 „
zusammen 21,35 M. 26,96 M.

Nimmt man für Preußen heute eine Einwohnerzahl von rund 34 1 / 2 Millionen und für Bayern von 6 Millionen an, so bringen diese beiden Steuerarten ungefähr folgende Summen: in Preußen in Bayern

1. direkte Steuern 210 Mill. M. 36 Mill. M.
2. Zölle und Verbrauchssteuern 530 “ “ 126 “ „
zusammen 740 Mill. M. 162 Mill. M.

Nun entfallen auf die große Masse (unter 3000 Mark Einkommen) wie wir sahen, von der Steuer 1 1 / 3 , von Steuer 2 6 / 7 . Demnach gestaltet sich die Steuerverteilung wie folgt: in Preußen in Bayern

auf die große Masse (unter 3000 M. Einkommen) 70 + 455 = 525 Mill. 12 + 108 = 120 Mill.
auf die Wohlhabenden und Reichen (über 3000 M. Einkommen) 140 + 75 = 215 “ 24 + 18 = 42 „
zusammen740 Mill. 162 Mill.

Die große Masse trägt demnach in Preußen 5 / 6 , in Bayern 3 / 4 der beiden wichtigsten Steuern, trotz der Einkommensteuerfreiheit von 65% der Bevölkerung und trotz der zum Teil bedeutenden Leistungen einzelner sehr bemittelter Steuerzahler. Die Besteuerung der großen Massen ist demnach die wesentlichste, ja die ausschlaggebende Einnahmequelle der Staaten. Diese große Masse als Gesamtheit ist der größte Steuerzahler.

Daß dies auch für die schwerste aller Steuern, den Militärdienst, zutrifft, ist selbstverständlich, da die große Masse, entsprechend ihrer Zahl, auch hierzu 97% der Gesamtlast liefert. Von der großen Masse hängt die militärische Macht des Staates ab. Die große Masse ist also in allen wichtigen Dingen der ausschlaggebende Faktor im Staate und in der Volkswirtschaft. Daß aber der Einfluß dieses größten Teils der Bevölkerung, seine Vertretung im Parlament, seine rechtliche Stellung und sein Anteil an den Segnungen der Kultur nicht dieser maßgebenden Stellung und überwiegenden Leistung entspricht, muß jeder rechtlich Denkende zugeben. Wenn aber diese Masse trotzdem heute eine so durchaus überwiegende Leistung aufweist, wieviel mehr müßte das der Fall sein, wenn man dieselbe durch mehr Anteil an den Segnungen der Kultur geistig und körperlich leistungsfähiger machte. Je höher das Niveau ist, auf welchem die Masse steht, desto höher ist die Leistung, die Macht und das Ansehen des Landes. Das ist der logische Schluß aus diesem nackten Zahlenmaterial.“